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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

Das dritte Kapitel des zweiten Buches, das von Spanien und Portugal
in den letzten vierziger Jahren handelt, in deren Angelegenheiten Herzog Ernst
sich ebenfalls zu thun machte, glauben wir wieder beiseite lassen zu können.
Dagegen bringt das dritte Buch, dus sich mit Erinnerungen aus den Jahren
1848 und 1849 beschäftigt, namentlich in seinem ersten Abschnitte eine Anzahl
von Bildern und Berichten, welche ungemein lebendig veranschaulichen, wie die
damalige Bewegung in den thüringischen Kleinstaaten beschaffen war, und von
denen einige, nach eigner Beobachtung des Herzogs entworfen, in ihrer Art
kleine Kabinetsstücke genannt werden müssen. Hier erscheint der rührige Fürst
sowohl als Handelnder wie als Erzähler ganz in seinem Elemente, während
uns, wenn er sich mit hoher Politik befaßt, in der Regel zu Mute ist, als ob
er sich hier außerhalb seines eigentlichen Berufes befände und mehr oder minder
als Dilettant höhern Stils urteilte und arbeitete. In den ersten Märztagen
von 1848 hielt jene Bewegung sich in den Landen des Herzogs noch in den
Schranken der Mäßigung und unterthäniger Loyalität, wie die S. 197 ff. mit¬
geteilte blühend stilisirte Adresse der Koburger zeigt. Aber bald wurde es
wesentlich anders, und antimonarchische, sozialistische und anarchische Bestre¬
bungen machten sich ungestüm bemerkbar. Zahlreiche Volksversammlungen
wurden abgehalten, von allen Seiten regnete es Petitionen und Resolutionen,
man forderte sofortige Beseitigung aller Feudallasten, der Ständeunterschiede,
des erblichen Rechtes bei der Landesvertretung, Einverleibung des Dvmanial-
vcrmögens in das Staatsgut, Besetzung der Staatsämter mit "volkstümlichen
Männern," worunter gewöhnlich redefertige Advokaten verstanden wurden,
Durchführung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der gesamten Verwaltung,
Sicherstellung der Holzbedürfnisse des Volkes, Abschaffung des Jagdrechts, Auf¬
hebung der Verbranchssteuern u. dergl. Anfaugs hatte das noch seine komische
Seite, es währte aber nicht lange, so hatten sich die Dinge derart verschlimmert,
daß der Herzog in fast verzweifelter Stimmung an seinen königlichen Oheim in
Brüssel schrieb: "Wir leben in einer furchtbaren Zeit. Innere und äußere
Stürme haben den Organismus aller deutschen Staaten zertrümmert, die Ge¬
setzlichkeit ist verschwunden, und die Gewalt der Menge macht sich allein geltend.
Die Regierungen müssen sich in Lagen schicken, die an das Schimpfliche grenzen.
Ich habe auch nicht die geringste Hoffnung, da das allgemeine Vertrauen zu
irgend einer Regierungsform geschwunden und dafür eine allgemeine Mut¬
losigkeit auf der einen und eine durchgehende Zügellosigkeit auf der andern
Seite eingetreten ist. . . . Alle die, welche noch vor drei Wochen aus Furcht
vor eiuer Reaktion die Regierungen mit frechem Ungestüm hinderten, die Ge¬
setzlichkeit und Gewalt aufrecht zu erhalten, treten jetzt mit der nämlichen Bru¬
talität auf und fordern von uns, wo die Gewalt gleich Null geworden ist, der
Anarchie zu steuern, aber niemand gehorcht mehr." Daß es nicht ganz so arg
war, beweist zunächst der Schluß des Schreibens, wo der Herzog, sich be-


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

Das dritte Kapitel des zweiten Buches, das von Spanien und Portugal
in den letzten vierziger Jahren handelt, in deren Angelegenheiten Herzog Ernst
sich ebenfalls zu thun machte, glauben wir wieder beiseite lassen zu können.
Dagegen bringt das dritte Buch, dus sich mit Erinnerungen aus den Jahren
1848 und 1849 beschäftigt, namentlich in seinem ersten Abschnitte eine Anzahl
von Bildern und Berichten, welche ungemein lebendig veranschaulichen, wie die
damalige Bewegung in den thüringischen Kleinstaaten beschaffen war, und von
denen einige, nach eigner Beobachtung des Herzogs entworfen, in ihrer Art
kleine Kabinetsstücke genannt werden müssen. Hier erscheint der rührige Fürst
sowohl als Handelnder wie als Erzähler ganz in seinem Elemente, während
uns, wenn er sich mit hoher Politik befaßt, in der Regel zu Mute ist, als ob
er sich hier außerhalb seines eigentlichen Berufes befände und mehr oder minder
als Dilettant höhern Stils urteilte und arbeitete. In den ersten Märztagen
von 1848 hielt jene Bewegung sich in den Landen des Herzogs noch in den
Schranken der Mäßigung und unterthäniger Loyalität, wie die S. 197 ff. mit¬
geteilte blühend stilisirte Adresse der Koburger zeigt. Aber bald wurde es
wesentlich anders, und antimonarchische, sozialistische und anarchische Bestre¬
bungen machten sich ungestüm bemerkbar. Zahlreiche Volksversammlungen
wurden abgehalten, von allen Seiten regnete es Petitionen und Resolutionen,
man forderte sofortige Beseitigung aller Feudallasten, der Ständeunterschiede,
des erblichen Rechtes bei der Landesvertretung, Einverleibung des Dvmanial-
vcrmögens in das Staatsgut, Besetzung der Staatsämter mit „volkstümlichen
Männern," worunter gewöhnlich redefertige Advokaten verstanden wurden,
Durchführung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der gesamten Verwaltung,
Sicherstellung der Holzbedürfnisse des Volkes, Abschaffung des Jagdrechts, Auf¬
hebung der Verbranchssteuern u. dergl. Anfaugs hatte das noch seine komische
Seite, es währte aber nicht lange, so hatten sich die Dinge derart verschlimmert,
daß der Herzog in fast verzweifelter Stimmung an seinen königlichen Oheim in
Brüssel schrieb: „Wir leben in einer furchtbaren Zeit. Innere und äußere
Stürme haben den Organismus aller deutschen Staaten zertrümmert, die Ge¬
setzlichkeit ist verschwunden, und die Gewalt der Menge macht sich allein geltend.
Die Regierungen müssen sich in Lagen schicken, die an das Schimpfliche grenzen.
Ich habe auch nicht die geringste Hoffnung, da das allgemeine Vertrauen zu
irgend einer Regierungsform geschwunden und dafür eine allgemeine Mut¬
losigkeit auf der einen und eine durchgehende Zügellosigkeit auf der andern
Seite eingetreten ist. . . . Alle die, welche noch vor drei Wochen aus Furcht
vor eiuer Reaktion die Regierungen mit frechem Ungestüm hinderten, die Ge¬
setzlichkeit und Gewalt aufrecht zu erhalten, treten jetzt mit der nämlichen Bru¬
talität auf und fordern von uns, wo die Gewalt gleich Null geworden ist, der
Anarchie zu steuern, aber niemand gehorcht mehr." Daß es nicht ganz so arg
war, beweist zunächst der Schluß des Schreibens, wo der Herzog, sich be-


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[0239] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst. Das dritte Kapitel des zweiten Buches, das von Spanien und Portugal in den letzten vierziger Jahren handelt, in deren Angelegenheiten Herzog Ernst sich ebenfalls zu thun machte, glauben wir wieder beiseite lassen zu können. Dagegen bringt das dritte Buch, dus sich mit Erinnerungen aus den Jahren 1848 und 1849 beschäftigt, namentlich in seinem ersten Abschnitte eine Anzahl von Bildern und Berichten, welche ungemein lebendig veranschaulichen, wie die damalige Bewegung in den thüringischen Kleinstaaten beschaffen war, und von denen einige, nach eigner Beobachtung des Herzogs entworfen, in ihrer Art kleine Kabinetsstücke genannt werden müssen. Hier erscheint der rührige Fürst sowohl als Handelnder wie als Erzähler ganz in seinem Elemente, während uns, wenn er sich mit hoher Politik befaßt, in der Regel zu Mute ist, als ob er sich hier außerhalb seines eigentlichen Berufes befände und mehr oder minder als Dilettant höhern Stils urteilte und arbeitete. In den ersten Märztagen von 1848 hielt jene Bewegung sich in den Landen des Herzogs noch in den Schranken der Mäßigung und unterthäniger Loyalität, wie die S. 197 ff. mit¬ geteilte blühend stilisirte Adresse der Koburger zeigt. Aber bald wurde es wesentlich anders, und antimonarchische, sozialistische und anarchische Bestre¬ bungen machten sich ungestüm bemerkbar. Zahlreiche Volksversammlungen wurden abgehalten, von allen Seiten regnete es Petitionen und Resolutionen, man forderte sofortige Beseitigung aller Feudallasten, der Ständeunterschiede, des erblichen Rechtes bei der Landesvertretung, Einverleibung des Dvmanial- vcrmögens in das Staatsgut, Besetzung der Staatsämter mit „volkstümlichen Männern," worunter gewöhnlich redefertige Advokaten verstanden wurden, Durchführung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der gesamten Verwaltung, Sicherstellung der Holzbedürfnisse des Volkes, Abschaffung des Jagdrechts, Auf¬ hebung der Verbranchssteuern u. dergl. Anfaugs hatte das noch seine komische Seite, es währte aber nicht lange, so hatten sich die Dinge derart verschlimmert, daß der Herzog in fast verzweifelter Stimmung an seinen königlichen Oheim in Brüssel schrieb: „Wir leben in einer furchtbaren Zeit. Innere und äußere Stürme haben den Organismus aller deutschen Staaten zertrümmert, die Ge¬ setzlichkeit ist verschwunden, und die Gewalt der Menge macht sich allein geltend. Die Regierungen müssen sich in Lagen schicken, die an das Schimpfliche grenzen. Ich habe auch nicht die geringste Hoffnung, da das allgemeine Vertrauen zu irgend einer Regierungsform geschwunden und dafür eine allgemeine Mut¬ losigkeit auf der einen und eine durchgehende Zügellosigkeit auf der andern Seite eingetreten ist. . . . Alle die, welche noch vor drei Wochen aus Furcht vor eiuer Reaktion die Regierungen mit frechem Ungestüm hinderten, die Ge¬ setzlichkeit und Gewalt aufrecht zu erhalten, treten jetzt mit der nämlichen Bru¬ talität auf und fordern von uns, wo die Gewalt gleich Null geworden ist, der Anarchie zu steuern, aber niemand gehorcht mehr." Daß es nicht ganz so arg war, beweist zunächst der Schluß des Schreibens, wo der Herzog, sich be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/239>, abgerufen am 27.06.2024.