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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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I>le Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

sinnend, im Widerspruche mit den obigen Angstrufen sagt: "Ich vermag noch
viel, weil man noch unbedingtes Vertrauen zu mir hat," sodann sein erfolgreiches
persönliches Einschreiten für Ordnung und Gesetz, welches sich auch auf benach¬
barte Staaten erstreckte, wo man den Kopf vollständig verloren hatte.

Recht ergötzlich ist in diesem Zusammenhange seine Schilderung der Art
nud Weise, wie er dem herzoglichen Vetter in Altenburg aus der Not half, in
die ihn die Revolution gebracht hatte. In Weimar erfuhr der Herzog, daß es
in Altenburg sehr arg hergehe und sogar das Leben des dortigen Fürsten ge¬
fährdet sei, nud in der äußersten Unruhe, in die ihn das versetzte, beschloß
er, sich durch deu Augenschein von der Sache zu überzeugen. In einem Kvupec
zweiter Klasse reiste er nach Altenburg ab und kam ziemlich unerkannt dort
an, wo er sich bei dem Wirt des Gasthauses, in dem er mit seinem Begleiter,
Sekretär Bruckner, speiste, nach der Lage der Dinge erkundigte und die Antwort
erhielt, man stehe in Altenburg am Vorabend der größten Ereignisse, es sei
ganz richtig, daß der Herzog gefangen und von aller Welt abgeschnitten sei.
"Auf die Frage, von wem, erwiederte der Mann mit dem Pathos eines Schul¬
meisters, welcher soeben die Schrecknisse der französischen Revolution und die
Leiden der Gefangenen des Tempels geschildert hat: "Er befindet sich in der Ge¬
walt der provisorischen Negierung und wird von der Nationalgarde bewacht." --
"Sollte es unmöglich sein, in das herzogliche Palais zu gelangen?" -- "Ganz
unmöglich," antwortete ohne Zaudern der Wirt, und als ich nunmehr nach dem
Oberhofmarschall von Minckwitz fragte, da ich denselben zu besuchen beabsichtigte,
versicherte er ebenso zuversichtlich, es werde gleichfalls ganz unmöglich sein,
denn auch Herr von Minckwitz werde in seinem Hause als Staatsgefangner
bewacht. . . . Trotz Brückners Abraten ging ich zu dem Hause des Oberhof¬
marschalls, wo ein Nationalgardist von nicht allzu militärisch-imposanten
Aussehen, wenn ich nicht irre, mit einer alten Hellebarde bewaffnet, mir im
Altenburger Dialekt, ziemlich gutmütig, deu Eintritt verweigerte. . . . Mit einer
sanften Bewegung schob ich ihn zur Seite und trat ein. Als ich dann vor
Minckwitz erschien, erschrak er aufs heftigste und fragte ängstlich nach meinem
Begehren, "Ich wünsche weiter nichts, als daß Sie mich sofort zum Herzoge
bringen," war meine kurze Antwort. ... Er weigerte sich, mit mir, wie er sich
ausdrückte, in den sichern Tod zu gehen, sodaß mir nichts übrig blieb, als mein
Glück allein zu versuchen. Die Auffahrt zu dem hochgelegnen Schlosse war
durch zwei große Barrikaden gesperrt, und die Wache hatte Befehl, niemand
aus- und einzulassen. Als ich anlangte, wollte ein guter Zufall, daß ein
Offizier von der Nationalgarde eben die Wache ablösen kam. Ich wendete
mich sofort an diesen und sagte ihm, wer ich wäre, und daß ich den Herzog
zu sprechen hätte. Meine sehr freundlichen Worte und der in keiner Weise
vorgesehene Fall, daß ein benachbarter Fürst sich zu einem Besuche des Herzogs
einfand, mochten den biedern Altenburger Bürgersmann in feiner revolutionären


I>le Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

sinnend, im Widerspruche mit den obigen Angstrufen sagt: „Ich vermag noch
viel, weil man noch unbedingtes Vertrauen zu mir hat," sodann sein erfolgreiches
persönliches Einschreiten für Ordnung und Gesetz, welches sich auch auf benach¬
barte Staaten erstreckte, wo man den Kopf vollständig verloren hatte.

Recht ergötzlich ist in diesem Zusammenhange seine Schilderung der Art
nud Weise, wie er dem herzoglichen Vetter in Altenburg aus der Not half, in
die ihn die Revolution gebracht hatte. In Weimar erfuhr der Herzog, daß es
in Altenburg sehr arg hergehe und sogar das Leben des dortigen Fürsten ge¬
fährdet sei, nud in der äußersten Unruhe, in die ihn das versetzte, beschloß
er, sich durch deu Augenschein von der Sache zu überzeugen. In einem Kvupec
zweiter Klasse reiste er nach Altenburg ab und kam ziemlich unerkannt dort
an, wo er sich bei dem Wirt des Gasthauses, in dem er mit seinem Begleiter,
Sekretär Bruckner, speiste, nach der Lage der Dinge erkundigte und die Antwort
erhielt, man stehe in Altenburg am Vorabend der größten Ereignisse, es sei
ganz richtig, daß der Herzog gefangen und von aller Welt abgeschnitten sei.
„Auf die Frage, von wem, erwiederte der Mann mit dem Pathos eines Schul¬
meisters, welcher soeben die Schrecknisse der französischen Revolution und die
Leiden der Gefangenen des Tempels geschildert hat: »Er befindet sich in der Ge¬
walt der provisorischen Negierung und wird von der Nationalgarde bewacht.« —
»Sollte es unmöglich sein, in das herzogliche Palais zu gelangen?« — »Ganz
unmöglich,« antwortete ohne Zaudern der Wirt, und als ich nunmehr nach dem
Oberhofmarschall von Minckwitz fragte, da ich denselben zu besuchen beabsichtigte,
versicherte er ebenso zuversichtlich, es werde gleichfalls ganz unmöglich sein,
denn auch Herr von Minckwitz werde in seinem Hause als Staatsgefangner
bewacht. . . . Trotz Brückners Abraten ging ich zu dem Hause des Oberhof¬
marschalls, wo ein Nationalgardist von nicht allzu militärisch-imposanten
Aussehen, wenn ich nicht irre, mit einer alten Hellebarde bewaffnet, mir im
Altenburger Dialekt, ziemlich gutmütig, deu Eintritt verweigerte. . . . Mit einer
sanften Bewegung schob ich ihn zur Seite und trat ein. Als ich dann vor
Minckwitz erschien, erschrak er aufs heftigste und fragte ängstlich nach meinem
Begehren, »Ich wünsche weiter nichts, als daß Sie mich sofort zum Herzoge
bringen,« war meine kurze Antwort. ... Er weigerte sich, mit mir, wie er sich
ausdrückte, in den sichern Tod zu gehen, sodaß mir nichts übrig blieb, als mein
Glück allein zu versuchen. Die Auffahrt zu dem hochgelegnen Schlosse war
durch zwei große Barrikaden gesperrt, und die Wache hatte Befehl, niemand
aus- und einzulassen. Als ich anlangte, wollte ein guter Zufall, daß ein
Offizier von der Nationalgarde eben die Wache ablösen kam. Ich wendete
mich sofort an diesen und sagte ihm, wer ich wäre, und daß ich den Herzog
zu sprechen hätte. Meine sehr freundlichen Worte und der in keiner Weise
vorgesehene Fall, daß ein benachbarter Fürst sich zu einem Besuche des Herzogs
einfand, mochten den biedern Altenburger Bürgersmann in feiner revolutionären


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/240>, abgerufen am 28.09.2024.