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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Impfzwang und seine Durchführung.

wenn auch mit Unrecht, angesehen wird. Er sagte nämlich: "Von einem abso¬
luten Zwang der Impfung ist schon gar nicht mehr die Rede, denn der Zwang,
wie er nach den Veränderungen der zweiten Lesung erscheint, ist, wenn Sie
so wollen, nichts weiter als eine Steuer, die auf das Nichtimpfen gelegt ist, es
sind bloß Geldstrafen, die von dem Richter je nach den Verhältnissen bemessen
werden können, also der absolute Zwang existirt nicht." Diese Rede fand aber
keinen Wiederhall im Reichstage. Merkte erklärte vielmehr das Gesetz nach wie
vor als ein Jmpfzwangsgesetz, welches der Zwang "wie ein roter Faden von
Anfang bis zu Ende" durchziehe. Löwe begründete dann den Antrag, das
Gesetz nicht als ein solches "über den Impfzwang" zu bezeichnen, sondern ihm
die Überschrift "Jmpfgcsetz" zu geben, nicht etwa damit, daß der Impfzwang
beseitigt sei, sondern damit, daß der Impfzwang nur einen Teil desjenigen aus¬
mache, was das Gesetz regeln wolle, dus Gesetz dagegen das ganze Jmpfwesen
regete, und daher die Bezeichnung "Jmpfgcsetz" zutreffender sei, eine Äußerung,
der der Vertreter des Bundesrath, Staatsminister Delbrück, welcher sich zu allen
übrigen erwähnten Bemerkungen vollkommen schweigend Verhalten hatte, aus¬
drücklich zustimmte.

sonach dürfte für den Geltungsbezirk des Neichsimpfgesetzes nachgewiesen
sein, daß die Zwaugsimpfnng für Kinder und Schüler nicht verworfen, sondern,
wenn auch nach der oben gegebenen Entstehungsgeschichte des Gesetzes nur still¬
schweigend, zugelassen ist. Das preußische Partikularrecht aber gestattet sie aus¬
drücklich, ohne, was nach der Reichsverfassung unzulässig wäre, damit in das
Gebiet des Neichsimpfgesetzes einzugreifen, sondern indem sie es erläutert.

Ich habe oben gezeigt, daß (in § 4 des Jmpfgesetzes) vorgeschrieben ist,
eine gesetzwidrig unterlassene Impfung solle innerhalb einer von der zuständigen
Behörde zu bestimmenden Frist nachgeholt werden; es ist also den Behörden
aufgegeben, diese Nachimpfung zu bewirken. Nun sollen nach § 132 des preußi¬
schen LandesverwaltnngSgesctzes die (in diesem Falle zuständigen) Ortspolizei-
bchördcu die von ihnen in Ausübung ihrer obrigkeitlichen Gewalt getroffenen,
durch ihre gesetzlichen Befugnisse gerechtfertigten Anordnungen durch Zwangs¬
mittel durchführen. Wenn es möglich ist, die zu erzwingende Handlung
durch einen dritten vornehmen zu lassen, soll es auf diesem Wege geschehen;
wenn dies unmöglich ist und der Verpflichtete die Kosten der Herstellung durch
einen Dritten nicht zahlen kann oder wenn eine Unterlassung erzwungen werden
soll, ist es durch Androhung von Geld- oder im Uuvermögensfalle von Haftstrasen
zu erwirken; wenn es dagegen endlich feststeht, daß die Anordnung auf einem
andern Wege unausführbar ist, soll unmittelbarer Zwang angewandt werden.
Daß die Impfung von der Polizeibehörde erzwungen werden soll, steht fest; es
ist sicher, daß die Handlung nicht durch einen Dritten vorgenommen werden kann,
von der Erzwingung einer Unterlassung kann man auch nicht reden, folglich
bleibt nur der unmittelbare Zwang übrig, der anch nicht etwa dadurch ausge-


Der Impfzwang und seine Durchführung.

wenn auch mit Unrecht, angesehen wird. Er sagte nämlich: „Von einem abso¬
luten Zwang der Impfung ist schon gar nicht mehr die Rede, denn der Zwang,
wie er nach den Veränderungen der zweiten Lesung erscheint, ist, wenn Sie
so wollen, nichts weiter als eine Steuer, die auf das Nichtimpfen gelegt ist, es
sind bloß Geldstrafen, die von dem Richter je nach den Verhältnissen bemessen
werden können, also der absolute Zwang existirt nicht." Diese Rede fand aber
keinen Wiederhall im Reichstage. Merkte erklärte vielmehr das Gesetz nach wie
vor als ein Jmpfzwangsgesetz, welches der Zwang „wie ein roter Faden von
Anfang bis zu Ende" durchziehe. Löwe begründete dann den Antrag, das
Gesetz nicht als ein solches „über den Impfzwang" zu bezeichnen, sondern ihm
die Überschrift „Jmpfgcsetz" zu geben, nicht etwa damit, daß der Impfzwang
beseitigt sei, sondern damit, daß der Impfzwang nur einen Teil desjenigen aus¬
mache, was das Gesetz regeln wolle, dus Gesetz dagegen das ganze Jmpfwesen
regete, und daher die Bezeichnung „Jmpfgcsetz" zutreffender sei, eine Äußerung,
der der Vertreter des Bundesrath, Staatsminister Delbrück, welcher sich zu allen
übrigen erwähnten Bemerkungen vollkommen schweigend Verhalten hatte, aus¬
drücklich zustimmte.

sonach dürfte für den Geltungsbezirk des Neichsimpfgesetzes nachgewiesen
sein, daß die Zwaugsimpfnng für Kinder und Schüler nicht verworfen, sondern,
wenn auch nach der oben gegebenen Entstehungsgeschichte des Gesetzes nur still¬
schweigend, zugelassen ist. Das preußische Partikularrecht aber gestattet sie aus¬
drücklich, ohne, was nach der Reichsverfassung unzulässig wäre, damit in das
Gebiet des Neichsimpfgesetzes einzugreifen, sondern indem sie es erläutert.

Ich habe oben gezeigt, daß (in § 4 des Jmpfgesetzes) vorgeschrieben ist,
eine gesetzwidrig unterlassene Impfung solle innerhalb einer von der zuständigen
Behörde zu bestimmenden Frist nachgeholt werden; es ist also den Behörden
aufgegeben, diese Nachimpfung zu bewirken. Nun sollen nach § 132 des preußi¬
schen LandesverwaltnngSgesctzes die (in diesem Falle zuständigen) Ortspolizei-
bchördcu die von ihnen in Ausübung ihrer obrigkeitlichen Gewalt getroffenen,
durch ihre gesetzlichen Befugnisse gerechtfertigten Anordnungen durch Zwangs¬
mittel durchführen. Wenn es möglich ist, die zu erzwingende Handlung
durch einen dritten vornehmen zu lassen, soll es auf diesem Wege geschehen;
wenn dies unmöglich ist und der Verpflichtete die Kosten der Herstellung durch
einen Dritten nicht zahlen kann oder wenn eine Unterlassung erzwungen werden
soll, ist es durch Androhung von Geld- oder im Uuvermögensfalle von Haftstrasen
zu erwirken; wenn es dagegen endlich feststeht, daß die Anordnung auf einem
andern Wege unausführbar ist, soll unmittelbarer Zwang angewandt werden.
Daß die Impfung von der Polizeibehörde erzwungen werden soll, steht fest; es
ist sicher, daß die Handlung nicht durch einen Dritten vorgenommen werden kann,
von der Erzwingung einer Unterlassung kann man auch nicht reden, folglich
bleibt nur der unmittelbare Zwang übrig, der anch nicht etwa dadurch ausge-


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[0234] Der Impfzwang und seine Durchführung. wenn auch mit Unrecht, angesehen wird. Er sagte nämlich: „Von einem abso¬ luten Zwang der Impfung ist schon gar nicht mehr die Rede, denn der Zwang, wie er nach den Veränderungen der zweiten Lesung erscheint, ist, wenn Sie so wollen, nichts weiter als eine Steuer, die auf das Nichtimpfen gelegt ist, es sind bloß Geldstrafen, die von dem Richter je nach den Verhältnissen bemessen werden können, also der absolute Zwang existirt nicht." Diese Rede fand aber keinen Wiederhall im Reichstage. Merkte erklärte vielmehr das Gesetz nach wie vor als ein Jmpfzwangsgesetz, welches der Zwang „wie ein roter Faden von Anfang bis zu Ende" durchziehe. Löwe begründete dann den Antrag, das Gesetz nicht als ein solches „über den Impfzwang" zu bezeichnen, sondern ihm die Überschrift „Jmpfgcsetz" zu geben, nicht etwa damit, daß der Impfzwang beseitigt sei, sondern damit, daß der Impfzwang nur einen Teil desjenigen aus¬ mache, was das Gesetz regeln wolle, dus Gesetz dagegen das ganze Jmpfwesen regete, und daher die Bezeichnung „Jmpfgcsetz" zutreffender sei, eine Äußerung, der der Vertreter des Bundesrath, Staatsminister Delbrück, welcher sich zu allen übrigen erwähnten Bemerkungen vollkommen schweigend Verhalten hatte, aus¬ drücklich zustimmte. sonach dürfte für den Geltungsbezirk des Neichsimpfgesetzes nachgewiesen sein, daß die Zwaugsimpfnng für Kinder und Schüler nicht verworfen, sondern, wenn auch nach der oben gegebenen Entstehungsgeschichte des Gesetzes nur still¬ schweigend, zugelassen ist. Das preußische Partikularrecht aber gestattet sie aus¬ drücklich, ohne, was nach der Reichsverfassung unzulässig wäre, damit in das Gebiet des Neichsimpfgesetzes einzugreifen, sondern indem sie es erläutert. Ich habe oben gezeigt, daß (in § 4 des Jmpfgesetzes) vorgeschrieben ist, eine gesetzwidrig unterlassene Impfung solle innerhalb einer von der zuständigen Behörde zu bestimmenden Frist nachgeholt werden; es ist also den Behörden aufgegeben, diese Nachimpfung zu bewirken. Nun sollen nach § 132 des preußi¬ schen LandesverwaltnngSgesctzes die (in diesem Falle zuständigen) Ortspolizei- bchördcu die von ihnen in Ausübung ihrer obrigkeitlichen Gewalt getroffenen, durch ihre gesetzlichen Befugnisse gerechtfertigten Anordnungen durch Zwangs¬ mittel durchführen. Wenn es möglich ist, die zu erzwingende Handlung durch einen dritten vornehmen zu lassen, soll es auf diesem Wege geschehen; wenn dies unmöglich ist und der Verpflichtete die Kosten der Herstellung durch einen Dritten nicht zahlen kann oder wenn eine Unterlassung erzwungen werden soll, ist es durch Androhung von Geld- oder im Uuvermögensfalle von Haftstrasen zu erwirken; wenn es dagegen endlich feststeht, daß die Anordnung auf einem andern Wege unausführbar ist, soll unmittelbarer Zwang angewandt werden. Daß die Impfung von der Polizeibehörde erzwungen werden soll, steht fest; es ist sicher, daß die Handlung nicht durch einen Dritten vorgenommen werden kann, von der Erzwingung einer Unterlassung kann man auch nicht reden, folglich bleibt nur der unmittelbare Zwang übrig, der anch nicht etwa dadurch ausge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/234>, abgerufen am 28.09.2024.