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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Impfzwang und seine Dnrchfiihrung.

Zwangsimpsuug ausdrücklich für unzulässig erklärte. Demnach wäre nach dem
Wortlaut des Gesetzes die Zulässigkeit nicht ausgeschlossen. Will man aber
nach der jetzt beliebten Methode zur Erläuterung der Gesetze auf die Debatten
des Reichstages zurückgreifen, so kommen nur die Reden der Abgeordneten
Löwe, Laster, Abeken und Merkle in Betracht. Löwe sprach sich in erster und
zweiter Lesung dahin aus, daß die Anordnung der Zwangsimpfnng zwar ge¬
setzlich zulässig, aber nicht empfehlenswert sei. Laster sagte in der Debatte über
§ 14 des Entwurfs (welcher die Zwangsimpfung Erwachsener für zulässig er¬
klärte): "Wenn wir die Vorführung gestatten bei minderjährigen Personen, so
ist dies eben bloß deswegen gerechtfertigt, weil wir annehmen, daß diejenigen,
denen sie zur Pflege empfohlen sind, nicht ihrer Pflicht genügen, und der Staat
tritt an die Stelle der Väter und Pfleger, und wir setzen vornns, daß die Un¬
mündigen freiwillig die Impfung an sich vornehmen lassen." Er sprach sich
also für die Zwangsimpfung gegenüber Minderjährigen aus und verlangte sogar,
daß der Staat für sie eintrete zum Schutze gegen ihre pflichtvergessenen Eltern
und Pfleger. Auch Abeken sprach sich in diesem Sinne aus, indem er sagte:
"Soviel wenigstens glaube ich, daß mancher, der sich, wenn auch mit schwerem
Herzen, für die zwangsweise Impfung der Minderjährigen entschieden hat, sich
schwerlich mit § 14 ^nämlich der Zwcmgsimpfnng Erwachsenes einverstanden
erklären wird."

Wurde trotzdem, daß eigentlich niemand gegen § 15, soweit dieser die
Zwangsimpfung der Kinder anordnete, sprach, diese vielmehr von den auf¬
getretenen Rednern als zulässig erklärt wurde, dieser Paragraph des Entwurfs
beseitigt, so kann man nicht annehmen, daß der Reichstag die Zwangsimpfnng
der Kinder verwerfen wollte, sondern höchstens, daß man eine darauf abzielende
Bestimmung für unnötig hielt, da ja der Impfzwang der Kinder an sich fest¬
stand; namentlich muß man dies von Laster annehmen, der, obgleich er sich,
wie gezeigt, für den Impfzwang gegenüber Kindern und Schülern ausgesprochen
hatte, doch gegen H 15 des Entwurfs stimmte. Daß man diesen Z 15 be¬
seitigte, erklärt sich daraus, daß man damals den Z 14 über den Impfzwang
für Erwachsene noch nicht aus dem Gesetz beseitigt hatte -- es handelt sich
immer um die zweite Lesung --, und da man für diese Erwachsenen die Zwangs¬
impfung beseitigt hatte, so mußte Z 15 fallen; man hatte höchstens die Wahl,
ob man ihn ausdrücklich für die Kinder aufrecht erhalten oder als überflüssig
ganz streichen wollte. Man wählte das letztere, indem man davon ausging,
daß, da bei der Festsetzung des Impfzwanges für Kinder und Schüler die
Zwangsimpfung nicht ausgeschlossen war (im Gegensatz zu dem damals an¬
genommenen § 14 der Vorlage), sie bei diesen unter Berücksichtigung des K 14
zulässig und eine Bestimmung darüber unnötig sei.

In der dritten Lesung hielt dann wieder Löwe eine Rede, welche von den
Jmpfgegnern als das Palladium bezüglich der Auslegung des Jmpfgesetzcs,


Grenzboten I. 1888. 29
Der Impfzwang und seine Dnrchfiihrung.

Zwangsimpsuug ausdrücklich für unzulässig erklärte. Demnach wäre nach dem
Wortlaut des Gesetzes die Zulässigkeit nicht ausgeschlossen. Will man aber
nach der jetzt beliebten Methode zur Erläuterung der Gesetze auf die Debatten
des Reichstages zurückgreifen, so kommen nur die Reden der Abgeordneten
Löwe, Laster, Abeken und Merkle in Betracht. Löwe sprach sich in erster und
zweiter Lesung dahin aus, daß die Anordnung der Zwangsimpfnng zwar ge¬
setzlich zulässig, aber nicht empfehlenswert sei. Laster sagte in der Debatte über
§ 14 des Entwurfs (welcher die Zwangsimpfung Erwachsener für zulässig er¬
klärte): „Wenn wir die Vorführung gestatten bei minderjährigen Personen, so
ist dies eben bloß deswegen gerechtfertigt, weil wir annehmen, daß diejenigen,
denen sie zur Pflege empfohlen sind, nicht ihrer Pflicht genügen, und der Staat
tritt an die Stelle der Väter und Pfleger, und wir setzen vornns, daß die Un¬
mündigen freiwillig die Impfung an sich vornehmen lassen." Er sprach sich
also für die Zwangsimpfung gegenüber Minderjährigen aus und verlangte sogar,
daß der Staat für sie eintrete zum Schutze gegen ihre pflichtvergessenen Eltern
und Pfleger. Auch Abeken sprach sich in diesem Sinne aus, indem er sagte:
„Soviel wenigstens glaube ich, daß mancher, der sich, wenn auch mit schwerem
Herzen, für die zwangsweise Impfung der Minderjährigen entschieden hat, sich
schwerlich mit § 14 ^nämlich der Zwcmgsimpfnng Erwachsenes einverstanden
erklären wird."

Wurde trotzdem, daß eigentlich niemand gegen § 15, soweit dieser die
Zwangsimpfung der Kinder anordnete, sprach, diese vielmehr von den auf¬
getretenen Rednern als zulässig erklärt wurde, dieser Paragraph des Entwurfs
beseitigt, so kann man nicht annehmen, daß der Reichstag die Zwangsimpfnng
der Kinder verwerfen wollte, sondern höchstens, daß man eine darauf abzielende
Bestimmung für unnötig hielt, da ja der Impfzwang der Kinder an sich fest¬
stand; namentlich muß man dies von Laster annehmen, der, obgleich er sich,
wie gezeigt, für den Impfzwang gegenüber Kindern und Schülern ausgesprochen
hatte, doch gegen H 15 des Entwurfs stimmte. Daß man diesen Z 15 be¬
seitigte, erklärt sich daraus, daß man damals den Z 14 über den Impfzwang
für Erwachsene noch nicht aus dem Gesetz beseitigt hatte — es handelt sich
immer um die zweite Lesung —, und da man für diese Erwachsenen die Zwangs¬
impfung beseitigt hatte, so mußte Z 15 fallen; man hatte höchstens die Wahl,
ob man ihn ausdrücklich für die Kinder aufrecht erhalten oder als überflüssig
ganz streichen wollte. Man wählte das letztere, indem man davon ausging,
daß, da bei der Festsetzung des Impfzwanges für Kinder und Schüler die
Zwangsimpfung nicht ausgeschlossen war (im Gegensatz zu dem damals an¬
genommenen § 14 der Vorlage), sie bei diesen unter Berücksichtigung des K 14
zulässig und eine Bestimmung darüber unnötig sei.

In der dritten Lesung hielt dann wieder Löwe eine Rede, welche von den
Jmpfgegnern als das Palladium bezüglich der Auslegung des Jmpfgesetzcs,


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[0233] Der Impfzwang und seine Dnrchfiihrung. Zwangsimpsuug ausdrücklich für unzulässig erklärte. Demnach wäre nach dem Wortlaut des Gesetzes die Zulässigkeit nicht ausgeschlossen. Will man aber nach der jetzt beliebten Methode zur Erläuterung der Gesetze auf die Debatten des Reichstages zurückgreifen, so kommen nur die Reden der Abgeordneten Löwe, Laster, Abeken und Merkle in Betracht. Löwe sprach sich in erster und zweiter Lesung dahin aus, daß die Anordnung der Zwangsimpfnng zwar ge¬ setzlich zulässig, aber nicht empfehlenswert sei. Laster sagte in der Debatte über § 14 des Entwurfs (welcher die Zwangsimpfung Erwachsener für zulässig er¬ klärte): „Wenn wir die Vorführung gestatten bei minderjährigen Personen, so ist dies eben bloß deswegen gerechtfertigt, weil wir annehmen, daß diejenigen, denen sie zur Pflege empfohlen sind, nicht ihrer Pflicht genügen, und der Staat tritt an die Stelle der Väter und Pfleger, und wir setzen vornns, daß die Un¬ mündigen freiwillig die Impfung an sich vornehmen lassen." Er sprach sich also für die Zwangsimpfung gegenüber Minderjährigen aus und verlangte sogar, daß der Staat für sie eintrete zum Schutze gegen ihre pflichtvergessenen Eltern und Pfleger. Auch Abeken sprach sich in diesem Sinne aus, indem er sagte: „Soviel wenigstens glaube ich, daß mancher, der sich, wenn auch mit schwerem Herzen, für die zwangsweise Impfung der Minderjährigen entschieden hat, sich schwerlich mit § 14 ^nämlich der Zwcmgsimpfnng Erwachsenes einverstanden erklären wird." Wurde trotzdem, daß eigentlich niemand gegen § 15, soweit dieser die Zwangsimpfung der Kinder anordnete, sprach, diese vielmehr von den auf¬ getretenen Rednern als zulässig erklärt wurde, dieser Paragraph des Entwurfs beseitigt, so kann man nicht annehmen, daß der Reichstag die Zwangsimpfnng der Kinder verwerfen wollte, sondern höchstens, daß man eine darauf abzielende Bestimmung für unnötig hielt, da ja der Impfzwang der Kinder an sich fest¬ stand; namentlich muß man dies von Laster annehmen, der, obgleich er sich, wie gezeigt, für den Impfzwang gegenüber Kindern und Schülern ausgesprochen hatte, doch gegen H 15 des Entwurfs stimmte. Daß man diesen Z 15 be¬ seitigte, erklärt sich daraus, daß man damals den Z 14 über den Impfzwang für Erwachsene noch nicht aus dem Gesetz beseitigt hatte — es handelt sich immer um die zweite Lesung —, und da man für diese Erwachsenen die Zwangs¬ impfung beseitigt hatte, so mußte Z 15 fallen; man hatte höchstens die Wahl, ob man ihn ausdrücklich für die Kinder aufrecht erhalten oder als überflüssig ganz streichen wollte. Man wählte das letztere, indem man davon ausging, daß, da bei der Festsetzung des Impfzwanges für Kinder und Schüler die Zwangsimpfung nicht ausgeschlossen war (im Gegensatz zu dem damals an¬ genommenen § 14 der Vorlage), sie bei diesen unter Berücksichtigung des K 14 zulässig und eine Bestimmung darüber unnötig sei. In der dritten Lesung hielt dann wieder Löwe eine Rede, welche von den Jmpfgegnern als das Palladium bezüglich der Auslegung des Jmpfgesetzcs, Grenzboten I. 1888. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/233>, abgerufen am 27.06.2024.