Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Impfzwang und seine Durchführung.

lich abgeschlagen wurde, und endlich mußte ihm nach den obigen Ansichten an¬
gedroht werden, daß die Durchführung der Impfung seiner Kinder erzwungen
werden würde. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden in allen Instanzen
zurückgewiesen, und die Impfung der Kinder wurde vollzogen. Da eine hiergegen
erhobene Beschwerde bei der dienstlich vorgesetzten Behörde von dieser wieder ab¬
gewiesen wurde, so machte der betreffende Familienvater den Versuch, die Ent¬
scheidung der Gerichte anzurufen, indem er gegen die beteiligten Beamten und
den Jmpfarzt Strafantrag wegen Amtsmißbrauch, Körperverletzung n. s. w.
stellte und diesen Antrag, nachdem er vom Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt
zurückgewiesen worden war, nach § 170 der Strafprozeßordnung bei dem Ober¬
landesgericht wiederholte. Auch dieser Versuch schlug fehl, indem u. a. der
Oberstaatsanwalt in seinem vom Oberlandesgcricht einfach bestätigten Bescheide
dahingestellt sein ließ, ob die Frage der Zulässigkeit der Zwangsimpfung von
den Justizbehörden auf dem Wege der Rechtsprechung zu entscheiden sei und
nicht vielmehr lediglich der Entscheidung der Verwaltungsbehörden unterliege.

Der Gedankengang aber, auf den ich selbst und meine vorgesetzten Be¬
hörden zu unsern Entscheidungen kamen, war folgender.

Der Entwurf des Jmpfgesetzes, den der Bnndesrat dem Reichstage vor¬
legte, enthielt in Z 14 die Bestimmung, daß beim Ausbruch der Blattern¬
krankheit durch die zuständige Behörde angeordnet werden könne, daß alle Ein¬
wohner jedes von der Krankheit befallenen Ortes oder ein Teil derselben ohne
Rücksicht auf frühere Impfungen binnen einer bestimmten Frist sich der Impfung
unterziehen müssen, und drohte gleichzeitig in § 16 bei Nichtbefolgung der amt¬
lichen Aufforderung zur Vornahme der Jmpfung oder Wiederimpfung Er¬
zwingung derselben durch Zuführung zur Impfstelle an.

Bei diesen Paragraphen setzte der Widerspruch gegen das Jmpfwesen bei
den Rcichstagsverhandlungcn wesentlich ein. Z 14 der Vorlage, betreffend den
Impfzwang im Falle einer Epidemie, wurde in der zweiten Lesung nach langer
Debatte mit dem Zusatz angenommen, daß die Versäumung dieser Jmpfung
nicht Zwaugsimpfuug, sondern nur eine Geldstrafe nach sich ziehen solle. In
dritter Lesung wurde aber dieser Paragraph vollständig gestrichen, sodaß außer
für Kinder im ersten Jahre nach ihrem Geburtsjahre und im zwölften Lebens¬
jahre ein Impfzwang für niemand besteht, und hiermit sind, da nach Art. 2
der Reichsverfassung das Reichsrecht dem Landrechte vorgeht, alle etwa in den
einzelnen Landesgesctzgebungcn enthaltenen Bestimmungen, welche für Erwachsene
überhaupt oder wenigstens zur Zeit von Epidemien Impfzwang vorschreiben,
aufgehoben.

Anders verhält es sich mit § 15 des Entwurfs, welcher die Zwangs¬
impfung ausdrücklich vorschrieb. Dieser Paragraph ist in der zweiten Beratung
vollständig durch den Reichstag beseitigt worden, aber es ist in das von der
Negierung angenommene Gesetz keine Bestimmung eingefügt worden, welche die


Der Impfzwang und seine Durchführung.

lich abgeschlagen wurde, und endlich mußte ihm nach den obigen Ansichten an¬
gedroht werden, daß die Durchführung der Impfung seiner Kinder erzwungen
werden würde. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden in allen Instanzen
zurückgewiesen, und die Impfung der Kinder wurde vollzogen. Da eine hiergegen
erhobene Beschwerde bei der dienstlich vorgesetzten Behörde von dieser wieder ab¬
gewiesen wurde, so machte der betreffende Familienvater den Versuch, die Ent¬
scheidung der Gerichte anzurufen, indem er gegen die beteiligten Beamten und
den Jmpfarzt Strafantrag wegen Amtsmißbrauch, Körperverletzung n. s. w.
stellte und diesen Antrag, nachdem er vom Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt
zurückgewiesen worden war, nach § 170 der Strafprozeßordnung bei dem Ober¬
landesgericht wiederholte. Auch dieser Versuch schlug fehl, indem u. a. der
Oberstaatsanwalt in seinem vom Oberlandesgcricht einfach bestätigten Bescheide
dahingestellt sein ließ, ob die Frage der Zulässigkeit der Zwangsimpfung von
den Justizbehörden auf dem Wege der Rechtsprechung zu entscheiden sei und
nicht vielmehr lediglich der Entscheidung der Verwaltungsbehörden unterliege.

Der Gedankengang aber, auf den ich selbst und meine vorgesetzten Be¬
hörden zu unsern Entscheidungen kamen, war folgender.

Der Entwurf des Jmpfgesetzes, den der Bnndesrat dem Reichstage vor¬
legte, enthielt in Z 14 die Bestimmung, daß beim Ausbruch der Blattern¬
krankheit durch die zuständige Behörde angeordnet werden könne, daß alle Ein¬
wohner jedes von der Krankheit befallenen Ortes oder ein Teil derselben ohne
Rücksicht auf frühere Impfungen binnen einer bestimmten Frist sich der Impfung
unterziehen müssen, und drohte gleichzeitig in § 16 bei Nichtbefolgung der amt¬
lichen Aufforderung zur Vornahme der Jmpfung oder Wiederimpfung Er¬
zwingung derselben durch Zuführung zur Impfstelle an.

Bei diesen Paragraphen setzte der Widerspruch gegen das Jmpfwesen bei
den Rcichstagsverhandlungcn wesentlich ein. Z 14 der Vorlage, betreffend den
Impfzwang im Falle einer Epidemie, wurde in der zweiten Lesung nach langer
Debatte mit dem Zusatz angenommen, daß die Versäumung dieser Jmpfung
nicht Zwaugsimpfuug, sondern nur eine Geldstrafe nach sich ziehen solle. In
dritter Lesung wurde aber dieser Paragraph vollständig gestrichen, sodaß außer
für Kinder im ersten Jahre nach ihrem Geburtsjahre und im zwölften Lebens¬
jahre ein Impfzwang für niemand besteht, und hiermit sind, da nach Art. 2
der Reichsverfassung das Reichsrecht dem Landrechte vorgeht, alle etwa in den
einzelnen Landesgesctzgebungcn enthaltenen Bestimmungen, welche für Erwachsene
überhaupt oder wenigstens zur Zeit von Epidemien Impfzwang vorschreiben,
aufgehoben.

Anders verhält es sich mit § 15 des Entwurfs, welcher die Zwangs¬
impfung ausdrücklich vorschrieb. Dieser Paragraph ist in der zweiten Beratung
vollständig durch den Reichstag beseitigt worden, aber es ist in das von der
Negierung angenommene Gesetz keine Bestimmung eingefügt worden, welche die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202331"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Impfzwang und seine Durchführung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_858" prev="#ID_857"> lich abgeschlagen wurde, und endlich mußte ihm nach den obigen Ansichten an¬<lb/>
gedroht werden, daß die Durchführung der Impfung seiner Kinder erzwungen<lb/>
werden würde. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden in allen Instanzen<lb/>
zurückgewiesen, und die Impfung der Kinder wurde vollzogen. Da eine hiergegen<lb/>
erhobene Beschwerde bei der dienstlich vorgesetzten Behörde von dieser wieder ab¬<lb/>
gewiesen wurde, so machte der betreffende Familienvater den Versuch, die Ent¬<lb/>
scheidung der Gerichte anzurufen, indem er gegen die beteiligten Beamten und<lb/>
den Jmpfarzt Strafantrag wegen Amtsmißbrauch, Körperverletzung n. s. w.<lb/>
stellte und diesen Antrag, nachdem er vom Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt<lb/>
zurückgewiesen worden war, nach § 170 der Strafprozeßordnung bei dem Ober¬<lb/>
landesgericht wiederholte. Auch dieser Versuch schlug fehl, indem u. a. der<lb/>
Oberstaatsanwalt in seinem vom Oberlandesgcricht einfach bestätigten Bescheide<lb/>
dahingestellt sein ließ, ob die Frage der Zulässigkeit der Zwangsimpfung von<lb/>
den Justizbehörden auf dem Wege der Rechtsprechung zu entscheiden sei und<lb/>
nicht vielmehr lediglich der Entscheidung der Verwaltungsbehörden unterliege.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_859"> Der Gedankengang aber, auf den ich selbst und meine vorgesetzten Be¬<lb/>
hörden zu unsern Entscheidungen kamen, war folgender.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_860"> Der Entwurf des Jmpfgesetzes, den der Bnndesrat dem Reichstage vor¬<lb/>
legte, enthielt in Z 14 die Bestimmung, daß beim Ausbruch der Blattern¬<lb/>
krankheit durch die zuständige Behörde angeordnet werden könne, daß alle Ein¬<lb/>
wohner jedes von der Krankheit befallenen Ortes oder ein Teil derselben ohne<lb/>
Rücksicht auf frühere Impfungen binnen einer bestimmten Frist sich der Impfung<lb/>
unterziehen müssen, und drohte gleichzeitig in § 16 bei Nichtbefolgung der amt¬<lb/>
lichen Aufforderung zur Vornahme der Jmpfung oder Wiederimpfung Er¬<lb/>
zwingung derselben durch Zuführung zur Impfstelle an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_861"> Bei diesen Paragraphen setzte der Widerspruch gegen das Jmpfwesen bei<lb/>
den Rcichstagsverhandlungcn wesentlich ein. Z 14 der Vorlage, betreffend den<lb/>
Impfzwang im Falle einer Epidemie, wurde in der zweiten Lesung nach langer<lb/>
Debatte mit dem Zusatz angenommen, daß die Versäumung dieser Jmpfung<lb/>
nicht Zwaugsimpfuug, sondern nur eine Geldstrafe nach sich ziehen solle. In<lb/>
dritter Lesung wurde aber dieser Paragraph vollständig gestrichen, sodaß außer<lb/>
für Kinder im ersten Jahre nach ihrem Geburtsjahre und im zwölften Lebens¬<lb/>
jahre ein Impfzwang für niemand besteht, und hiermit sind, da nach Art. 2<lb/>
der Reichsverfassung das Reichsrecht dem Landrechte vorgeht, alle etwa in den<lb/>
einzelnen Landesgesctzgebungcn enthaltenen Bestimmungen, welche für Erwachsene<lb/>
überhaupt oder wenigstens zur Zeit von Epidemien Impfzwang vorschreiben,<lb/>
aufgehoben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_862" next="#ID_863"> Anders verhält es sich mit § 15 des Entwurfs, welcher die Zwangs¬<lb/>
impfung ausdrücklich vorschrieb. Dieser Paragraph ist in der zweiten Beratung<lb/>
vollständig durch den Reichstag beseitigt worden, aber es ist in das von der<lb/>
Negierung angenommene Gesetz keine Bestimmung eingefügt worden, welche die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] Der Impfzwang und seine Durchführung. lich abgeschlagen wurde, und endlich mußte ihm nach den obigen Ansichten an¬ gedroht werden, daß die Durchführung der Impfung seiner Kinder erzwungen werden würde. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden in allen Instanzen zurückgewiesen, und die Impfung der Kinder wurde vollzogen. Da eine hiergegen erhobene Beschwerde bei der dienstlich vorgesetzten Behörde von dieser wieder ab¬ gewiesen wurde, so machte der betreffende Familienvater den Versuch, die Ent¬ scheidung der Gerichte anzurufen, indem er gegen die beteiligten Beamten und den Jmpfarzt Strafantrag wegen Amtsmißbrauch, Körperverletzung n. s. w. stellte und diesen Antrag, nachdem er vom Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt zurückgewiesen worden war, nach § 170 der Strafprozeßordnung bei dem Ober¬ landesgericht wiederholte. Auch dieser Versuch schlug fehl, indem u. a. der Oberstaatsanwalt in seinem vom Oberlandesgcricht einfach bestätigten Bescheide dahingestellt sein ließ, ob die Frage der Zulässigkeit der Zwangsimpfung von den Justizbehörden auf dem Wege der Rechtsprechung zu entscheiden sei und nicht vielmehr lediglich der Entscheidung der Verwaltungsbehörden unterliege. Der Gedankengang aber, auf den ich selbst und meine vorgesetzten Be¬ hörden zu unsern Entscheidungen kamen, war folgender. Der Entwurf des Jmpfgesetzes, den der Bnndesrat dem Reichstage vor¬ legte, enthielt in Z 14 die Bestimmung, daß beim Ausbruch der Blattern¬ krankheit durch die zuständige Behörde angeordnet werden könne, daß alle Ein¬ wohner jedes von der Krankheit befallenen Ortes oder ein Teil derselben ohne Rücksicht auf frühere Impfungen binnen einer bestimmten Frist sich der Impfung unterziehen müssen, und drohte gleichzeitig in § 16 bei Nichtbefolgung der amt¬ lichen Aufforderung zur Vornahme der Jmpfung oder Wiederimpfung Er¬ zwingung derselben durch Zuführung zur Impfstelle an. Bei diesen Paragraphen setzte der Widerspruch gegen das Jmpfwesen bei den Rcichstagsverhandlungcn wesentlich ein. Z 14 der Vorlage, betreffend den Impfzwang im Falle einer Epidemie, wurde in der zweiten Lesung nach langer Debatte mit dem Zusatz angenommen, daß die Versäumung dieser Jmpfung nicht Zwaugsimpfuug, sondern nur eine Geldstrafe nach sich ziehen solle. In dritter Lesung wurde aber dieser Paragraph vollständig gestrichen, sodaß außer für Kinder im ersten Jahre nach ihrem Geburtsjahre und im zwölften Lebens¬ jahre ein Impfzwang für niemand besteht, und hiermit sind, da nach Art. 2 der Reichsverfassung das Reichsrecht dem Landrechte vorgeht, alle etwa in den einzelnen Landesgesctzgebungcn enthaltenen Bestimmungen, welche für Erwachsene überhaupt oder wenigstens zur Zeit von Epidemien Impfzwang vorschreiben, aufgehoben. Anders verhält es sich mit § 15 des Entwurfs, welcher die Zwangs¬ impfung ausdrücklich vorschrieb. Dieser Paragraph ist in der zweiten Beratung vollständig durch den Reichstag beseitigt worden, aber es ist in das von der Negierung angenommene Gesetz keine Bestimmung eingefügt worden, welche die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/232>, abgerufen am 28.09.2024.