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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Tonleiter im Musikunterricht,

Von jeher hat allen Theoretikern der in der diatonischen Durtonleiter, der
einzigen vom Verfasser berücksichtigten, vorhandene sogenannte Tritonus, die
Folge dreier ganzen Töne, welche als solche umfänglich ist, viel zu schaffen ge¬
macht und auch mich seiner Zeit bewogen, Untersuchungen anzustellen. Die
Frucht derselben war eine (Leipzig, 1880, bei F. E. C> Leuckart) erschienene
Schrift: "Die Beseitigung des Tritonus," in der ich meine Ansichten eingehend
aussprach und auf die ich hier zurückkommen möchte.

Der Verfasser unsers Artikels hat nämlich eine ganz entschiedene Ahnung
von der Unnatürlichkeit der Tonzusammenstellung in der Tonleiter und kommt
bei Gelegenheit der abwcirtsführendcn Skala zu einer Notirung, die sich teil¬
weise mit der meinigen deckt. Moritz Hauptmann hat in seinem epochemachenden
Buche die Frage ganz nahe gestreift, aber doch nicht das Schlußwort ausge¬
sprochen, wahrscheinlich in dem Glauben, daß die einmal seit Jahrhunderten ein¬
geführte, vom Grundton nach der Oktave führende Tonleiter nicht mehr zu er¬
schüttern, in der Praxis durch nichts neues zu ersetzen sei. Gleichwohl sagt er
an einer Stelle, daß der Leiteton in der harmonischen Verbindung unter dem
Grundtone, also nicht sieben Stufen höher unter der Oktave liegend, angenommen
werden müsse. Der Verfasser unsers Aufsatzes führt die abwärts gehende Ton¬
leiter von der Oktave zum Grundton, über diesen hinaus zum Leiteton als
unterster Note und von da zurück in den Grundton. Hier hat ihn das ganz
richtige Gefühl geleitet, daß der Leiteton unter dem Grundton zu denken ist
und in <Ü-Äur also die Tonleiter durch v-u-o erst befriedigenden Schluß findet.

Es gilt nun aber, in unerschrockener Weise die sich notwendig ergebende
Konsequenz zu ziehen und damit den Glauben, in der Natur sei etwas unnatür¬
liches begründet, ein- für allemal zu vernichten.

Die natürliche Tonleiter führt eben nicht vom Grundtone zur Oktave,
heißt also nicht in Oäur o, Ä, "z, k, A, a, 1i, v; sondern diese Zusammenstellung
ist ein willkürliches, künstliches Produkt, hervorgegangen aus dem Bestreben,
die höhere Oktave mit der tiefern zu verbinden.

Vielmehr ist die von der Natur gegebene Tonleiter ganz einfach aus den
ersten natürlichsten Dreiklangsverbindungen zu erklären (Tonica und Ober¬
dominante, Tonica und Nnterdomincmte), welche sich in OÄnr folgendermaßen
darstellen:



Wir finden hier die Sekuudenschritte v-u, <z-ä, c--t'. Z-a. und können hieraus
die wirklich von der Natur gewollt? Tonleiter bilden, die nicht vom Grundton
nach der Oktave hinaufstrebt, sondern vom Grnndto" beginnend bis zur sechsten
Stufe aufwärts geführt wird, dann sich zum Grundton zurückwendet, den dar¬
unter liegenden Leiteton berührt und von da aus den Schlußgrundtvn er-


Die Tonleiter im Musikunterricht,

Von jeher hat allen Theoretikern der in der diatonischen Durtonleiter, der
einzigen vom Verfasser berücksichtigten, vorhandene sogenannte Tritonus, die
Folge dreier ganzen Töne, welche als solche umfänglich ist, viel zu schaffen ge¬
macht und auch mich seiner Zeit bewogen, Untersuchungen anzustellen. Die
Frucht derselben war eine (Leipzig, 1880, bei F. E. C> Leuckart) erschienene
Schrift: „Die Beseitigung des Tritonus," in der ich meine Ansichten eingehend
aussprach und auf die ich hier zurückkommen möchte.

Der Verfasser unsers Artikels hat nämlich eine ganz entschiedene Ahnung
von der Unnatürlichkeit der Tonzusammenstellung in der Tonleiter und kommt
bei Gelegenheit der abwcirtsführendcn Skala zu einer Notirung, die sich teil¬
weise mit der meinigen deckt. Moritz Hauptmann hat in seinem epochemachenden
Buche die Frage ganz nahe gestreift, aber doch nicht das Schlußwort ausge¬
sprochen, wahrscheinlich in dem Glauben, daß die einmal seit Jahrhunderten ein¬
geführte, vom Grundton nach der Oktave führende Tonleiter nicht mehr zu er¬
schüttern, in der Praxis durch nichts neues zu ersetzen sei. Gleichwohl sagt er
an einer Stelle, daß der Leiteton in der harmonischen Verbindung unter dem
Grundtone, also nicht sieben Stufen höher unter der Oktave liegend, angenommen
werden müsse. Der Verfasser unsers Aufsatzes führt die abwärts gehende Ton¬
leiter von der Oktave zum Grundton, über diesen hinaus zum Leiteton als
unterster Note und von da zurück in den Grundton. Hier hat ihn das ganz
richtige Gefühl geleitet, daß der Leiteton unter dem Grundton zu denken ist
und in <Ü-Äur also die Tonleiter durch v-u-o erst befriedigenden Schluß findet.

Es gilt nun aber, in unerschrockener Weise die sich notwendig ergebende
Konsequenz zu ziehen und damit den Glauben, in der Natur sei etwas unnatür¬
liches begründet, ein- für allemal zu vernichten.

Die natürliche Tonleiter führt eben nicht vom Grundtone zur Oktave,
heißt also nicht in Oäur o, Ä, «z, k, A, a, 1i, v; sondern diese Zusammenstellung
ist ein willkürliches, künstliches Produkt, hervorgegangen aus dem Bestreben,
die höhere Oktave mit der tiefern zu verbinden.

Vielmehr ist die von der Natur gegebene Tonleiter ganz einfach aus den
ersten natürlichsten Dreiklangsverbindungen zu erklären (Tonica und Ober¬
dominante, Tonica und Nnterdomincmte), welche sich in OÄnr folgendermaßen
darstellen:



Wir finden hier die Sekuudenschritte v-u, <z-ä, c--t'. Z-a. und können hieraus
die wirklich von der Natur gewollt? Tonleiter bilden, die nicht vom Grundton
nach der Oktave hinaufstrebt, sondern vom Grnndto» beginnend bis zur sechsten
Stufe aufwärts geführt wird, dann sich zum Grundton zurückwendet, den dar¬
unter liegenden Leiteton berührt und von da aus den Schlußgrundtvn er-


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[0645] Die Tonleiter im Musikunterricht, Von jeher hat allen Theoretikern der in der diatonischen Durtonleiter, der einzigen vom Verfasser berücksichtigten, vorhandene sogenannte Tritonus, die Folge dreier ganzen Töne, welche als solche umfänglich ist, viel zu schaffen ge¬ macht und auch mich seiner Zeit bewogen, Untersuchungen anzustellen. Die Frucht derselben war eine (Leipzig, 1880, bei F. E. C> Leuckart) erschienene Schrift: „Die Beseitigung des Tritonus," in der ich meine Ansichten eingehend aussprach und auf die ich hier zurückkommen möchte. Der Verfasser unsers Artikels hat nämlich eine ganz entschiedene Ahnung von der Unnatürlichkeit der Tonzusammenstellung in der Tonleiter und kommt bei Gelegenheit der abwcirtsführendcn Skala zu einer Notirung, die sich teil¬ weise mit der meinigen deckt. Moritz Hauptmann hat in seinem epochemachenden Buche die Frage ganz nahe gestreift, aber doch nicht das Schlußwort ausge¬ sprochen, wahrscheinlich in dem Glauben, daß die einmal seit Jahrhunderten ein¬ geführte, vom Grundton nach der Oktave führende Tonleiter nicht mehr zu er¬ schüttern, in der Praxis durch nichts neues zu ersetzen sei. Gleichwohl sagt er an einer Stelle, daß der Leiteton in der harmonischen Verbindung unter dem Grundtone, also nicht sieben Stufen höher unter der Oktave liegend, angenommen werden müsse. Der Verfasser unsers Aufsatzes führt die abwärts gehende Ton¬ leiter von der Oktave zum Grundton, über diesen hinaus zum Leiteton als unterster Note und von da zurück in den Grundton. Hier hat ihn das ganz richtige Gefühl geleitet, daß der Leiteton unter dem Grundton zu denken ist und in <Ü-Äur also die Tonleiter durch v-u-o erst befriedigenden Schluß findet. Es gilt nun aber, in unerschrockener Weise die sich notwendig ergebende Konsequenz zu ziehen und damit den Glauben, in der Natur sei etwas unnatür¬ liches begründet, ein- für allemal zu vernichten. Die natürliche Tonleiter führt eben nicht vom Grundtone zur Oktave, heißt also nicht in Oäur o, Ä, «z, k, A, a, 1i, v; sondern diese Zusammenstellung ist ein willkürliches, künstliches Produkt, hervorgegangen aus dem Bestreben, die höhere Oktave mit der tiefern zu verbinden. Vielmehr ist die von der Natur gegebene Tonleiter ganz einfach aus den ersten natürlichsten Dreiklangsverbindungen zu erklären (Tonica und Ober¬ dominante, Tonica und Nnterdomincmte), welche sich in OÄnr folgendermaßen darstellen: [Abbildung] Wir finden hier die Sekuudenschritte v-u, <z-ä, c--t'. Z-a. und können hieraus die wirklich von der Natur gewollt? Tonleiter bilden, die nicht vom Grundton nach der Oktave hinaufstrebt, sondern vom Grnndto» beginnend bis zur sechsten Stufe aufwärts geführt wird, dann sich zum Grundton zurückwendet, den dar¬ unter liegenden Leiteton berührt und von da aus den Schlußgrundtvn er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/645>, abgerufen am 17.09.2024.