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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht im Tsutoburger lvalde.

keinem Zweifel. Auch insofern er durch seine Sorglosigkeit sich und die Legionen
in jene unheilvolle Lage gebracht hat, ist der Tadel der Schriftsteller voll¬
ständig gerechtfertigt. Daß es dem Varus indessen an persönlichem Mut gefehlt
habe, läßt sich nach den Überlieferungen der römischen Kriegsgeschichte und nach
der Pietät, die ihm die Seinen bis zum Schluß bewahrten, kaum annehmen.
Auch wird dieser Vorwurf dadurch widerlegt, daß der Feldherr sich mi dem
Kampfe persönlich beteiligte und dabei verwundet wurde, sowie dadurch, daß er
sich schließlich selbst den Tod gab. Wenn er also den Kampf auf die feindlichen
Stellungen bei Iburg unterließ, so findet diese Thatsache in den örtlichen Ver¬
hältnissen ihre genügende Erklärung. Er durfte einen solchen Angriff gar nicht
unternehmen. Für ihn kam es nur darauf an, so rasch als möglich sich
einem Terrain zu entwinden, auf dem er von allen Seiten angegriffen wurde.
War also nach Süden nicht durchzubrechen, so blieb kein andrer Ausweg, als
nach Westen weiterzuziehen. Jedenfalls handelte es sich darum, zunächst eine
solche Örtlichkeit zu gewinnen, welche ihm einen größeren Schutz gewährte und
die Herstellung eines festen Lagers ermöglichte. Das Weitere mochte sich
dann finden.

Dies wurde erreicht, wenn sich Varus mit seinem Heere auf den nahe¬
liegenden Uhrberg nordwestlich von Iburg zurückzog, zu welchem der Weg
langsam ansteigt. Er zieht sich dann an dem südlichen AbHange des Berges,
später auf der Höhe der sogenannten Hülf-Egge hin. Da der Rücken dieser
Berge sich ungefähr in der Mitte zwischen dem Dörenberge nebst seinen west¬
lichen Fortsetzungen einerseits und dem sogenannten langen Berge anderseits
hält und der Kamm der Höhen auch an denjenigen Stellen, wo der Weg auf
denselben nicht weiterführt, leicht von römischen Heeresabteilungen besetzt werden
konnte, so war man wenigstens in dieser Gegend vor dem unmittelbaren Angriffe
der Feinde geschützt. Dahinter, am westlichen Ende der Hülf-Egge, südöstlich
von Hagen, senkt sich das Erdreich wieder gefällig zum Thale hinab. Hier war
auch wieder offnes Feld, und die Bäche in der Nähe spendeten Trinkwasser
für Menschen und Vieh. Hier würde ein geeigneter Platz für ein Lager vor¬
handen gewesen sein. Doch ist es nicht ausgeschlossen, daß das römische Heer
bereits vorher, etwa an den südlichen oder südöstlichen Abhängen des Uhrberges,
sein Lager aufgeschlagen hat. Die Wahl eines frühern oder spätern Platzes
wird davon abgehangen haben, ob es den Römern möglich gewesen ist, sich noch
an demselben Tage bis in die Nähe von Hagen durchzuschlagen oder nicht.

Das Heer des Varus zog sich also aus seiner unheilvollen Lage zunächst,
so gut es ging, heraus, indem es nordwestlich von Iburg entweder in näherer
oder weiterer Entfernung ein Lager aufschlug. So war man für die nächste
Nacht notdürftig gesichert. Dachte man aber über das künftige Schicksal des
Heeres nach und fragte sich, was nun werden würde, so konnte man zu keinem
andern Ergebnis kommen, als den Marsch in westlicher Richtung noch weiter


Grenzboten II. 1337. 7s
Die Schlacht im Tsutoburger lvalde.

keinem Zweifel. Auch insofern er durch seine Sorglosigkeit sich und die Legionen
in jene unheilvolle Lage gebracht hat, ist der Tadel der Schriftsteller voll¬
ständig gerechtfertigt. Daß es dem Varus indessen an persönlichem Mut gefehlt
habe, läßt sich nach den Überlieferungen der römischen Kriegsgeschichte und nach
der Pietät, die ihm die Seinen bis zum Schluß bewahrten, kaum annehmen.
Auch wird dieser Vorwurf dadurch widerlegt, daß der Feldherr sich mi dem
Kampfe persönlich beteiligte und dabei verwundet wurde, sowie dadurch, daß er
sich schließlich selbst den Tod gab. Wenn er also den Kampf auf die feindlichen
Stellungen bei Iburg unterließ, so findet diese Thatsache in den örtlichen Ver¬
hältnissen ihre genügende Erklärung. Er durfte einen solchen Angriff gar nicht
unternehmen. Für ihn kam es nur darauf an, so rasch als möglich sich
einem Terrain zu entwinden, auf dem er von allen Seiten angegriffen wurde.
War also nach Süden nicht durchzubrechen, so blieb kein andrer Ausweg, als
nach Westen weiterzuziehen. Jedenfalls handelte es sich darum, zunächst eine
solche Örtlichkeit zu gewinnen, welche ihm einen größeren Schutz gewährte und
die Herstellung eines festen Lagers ermöglichte. Das Weitere mochte sich
dann finden.

Dies wurde erreicht, wenn sich Varus mit seinem Heere auf den nahe¬
liegenden Uhrberg nordwestlich von Iburg zurückzog, zu welchem der Weg
langsam ansteigt. Er zieht sich dann an dem südlichen AbHange des Berges,
später auf der Höhe der sogenannten Hülf-Egge hin. Da der Rücken dieser
Berge sich ungefähr in der Mitte zwischen dem Dörenberge nebst seinen west¬
lichen Fortsetzungen einerseits und dem sogenannten langen Berge anderseits
hält und der Kamm der Höhen auch an denjenigen Stellen, wo der Weg auf
denselben nicht weiterführt, leicht von römischen Heeresabteilungen besetzt werden
konnte, so war man wenigstens in dieser Gegend vor dem unmittelbaren Angriffe
der Feinde geschützt. Dahinter, am westlichen Ende der Hülf-Egge, südöstlich
von Hagen, senkt sich das Erdreich wieder gefällig zum Thale hinab. Hier war
auch wieder offnes Feld, und die Bäche in der Nähe spendeten Trinkwasser
für Menschen und Vieh. Hier würde ein geeigneter Platz für ein Lager vor¬
handen gewesen sein. Doch ist es nicht ausgeschlossen, daß das römische Heer
bereits vorher, etwa an den südlichen oder südöstlichen Abhängen des Uhrberges,
sein Lager aufgeschlagen hat. Die Wahl eines frühern oder spätern Platzes
wird davon abgehangen haben, ob es den Römern möglich gewesen ist, sich noch
an demselben Tage bis in die Nähe von Hagen durchzuschlagen oder nicht.

Das Heer des Varus zog sich also aus seiner unheilvollen Lage zunächst,
so gut es ging, heraus, indem es nordwestlich von Iburg entweder in näherer
oder weiterer Entfernung ein Lager aufschlug. So war man für die nächste
Nacht notdürftig gesichert. Dachte man aber über das künftige Schicksal des
Heeres nach und fragte sich, was nun werden würde, so konnte man zu keinem
andern Ergebnis kommen, als den Marsch in westlicher Richtung noch weiter


Grenzboten II. 1337. 7s
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[0625] Die Schlacht im Tsutoburger lvalde. keinem Zweifel. Auch insofern er durch seine Sorglosigkeit sich und die Legionen in jene unheilvolle Lage gebracht hat, ist der Tadel der Schriftsteller voll¬ ständig gerechtfertigt. Daß es dem Varus indessen an persönlichem Mut gefehlt habe, läßt sich nach den Überlieferungen der römischen Kriegsgeschichte und nach der Pietät, die ihm die Seinen bis zum Schluß bewahrten, kaum annehmen. Auch wird dieser Vorwurf dadurch widerlegt, daß der Feldherr sich mi dem Kampfe persönlich beteiligte und dabei verwundet wurde, sowie dadurch, daß er sich schließlich selbst den Tod gab. Wenn er also den Kampf auf die feindlichen Stellungen bei Iburg unterließ, so findet diese Thatsache in den örtlichen Ver¬ hältnissen ihre genügende Erklärung. Er durfte einen solchen Angriff gar nicht unternehmen. Für ihn kam es nur darauf an, so rasch als möglich sich einem Terrain zu entwinden, auf dem er von allen Seiten angegriffen wurde. War also nach Süden nicht durchzubrechen, so blieb kein andrer Ausweg, als nach Westen weiterzuziehen. Jedenfalls handelte es sich darum, zunächst eine solche Örtlichkeit zu gewinnen, welche ihm einen größeren Schutz gewährte und die Herstellung eines festen Lagers ermöglichte. Das Weitere mochte sich dann finden. Dies wurde erreicht, wenn sich Varus mit seinem Heere auf den nahe¬ liegenden Uhrberg nordwestlich von Iburg zurückzog, zu welchem der Weg langsam ansteigt. Er zieht sich dann an dem südlichen AbHange des Berges, später auf der Höhe der sogenannten Hülf-Egge hin. Da der Rücken dieser Berge sich ungefähr in der Mitte zwischen dem Dörenberge nebst seinen west¬ lichen Fortsetzungen einerseits und dem sogenannten langen Berge anderseits hält und der Kamm der Höhen auch an denjenigen Stellen, wo der Weg auf denselben nicht weiterführt, leicht von römischen Heeresabteilungen besetzt werden konnte, so war man wenigstens in dieser Gegend vor dem unmittelbaren Angriffe der Feinde geschützt. Dahinter, am westlichen Ende der Hülf-Egge, südöstlich von Hagen, senkt sich das Erdreich wieder gefällig zum Thale hinab. Hier war auch wieder offnes Feld, und die Bäche in der Nähe spendeten Trinkwasser für Menschen und Vieh. Hier würde ein geeigneter Platz für ein Lager vor¬ handen gewesen sein. Doch ist es nicht ausgeschlossen, daß das römische Heer bereits vorher, etwa an den südlichen oder südöstlichen Abhängen des Uhrberges, sein Lager aufgeschlagen hat. Die Wahl eines frühern oder spätern Platzes wird davon abgehangen haben, ob es den Römern möglich gewesen ist, sich noch an demselben Tage bis in die Nähe von Hagen durchzuschlagen oder nicht. Das Heer des Varus zog sich also aus seiner unheilvollen Lage zunächst, so gut es ging, heraus, indem es nordwestlich von Iburg entweder in näherer oder weiterer Entfernung ein Lager aufschlug. So war man für die nächste Nacht notdürftig gesichert. Dachte man aber über das künftige Schicksal des Heeres nach und fragte sich, was nun werden würde, so konnte man zu keinem andern Ergebnis kommen, als den Marsch in westlicher Richtung noch weiter Grenzboten II. 1337. 7s

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/625>, abgerufen am 17.09.2024.