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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht im Teutoburger Walde.

Im Jahre 9 nach Christus aber stand ein durch den Marsch und sonstige An¬
strengungen ermüdetes Heer von nur drei Legionen, ein Heer, welches durch
den plötzlichen Überfall im Teutoburger Walde aufs höchste in Bestürzung ge¬
raten war, vor einer feindlichen Verteidigungslinie, in welcher die Arbeit der
Natur doch ein ganz andres Bollwerk geschaffen hatte, wie jener Wall der
Angrivarier war. Hier mußte schon deswegen jeder Angriff ungleich schwieriger
werden. Auch ist es möglich, daß dem Varus Maschinen, wie sie Germaniens
bei seinem Angriffe auf die Angrivarierschanzen benutzt hat, auf seinem Zuge
durch den Teutoburger Wald nicht zu Gebote standen.

Nun kam aber noch ein Umstand hinzu, der es geradezu als eine Toll¬
kühnheit erscheinen lassen mußte, wenn die Römer etwa einen Sturm auf den
Paß versucht hätten. Gerade vor Iburg münden nämlich eine Anzahl von
Straßen zusammen. Insbesondre läuft hierher von Norden die Straße von
Osnabrück, mit der sich die von Bvrgloh auf den Höhen unterhalb des Dören-
berges vereinigt. Ebenso wird von Nordwesten her ein Weg nach dem Passe
zu geführt haben. Deswegen war eben diese Gegend zu einem Versammlungs¬
orte des deutschen Heeres ganz wie geschaffen. Hier war es also, wo die Römer,
wenn sie in dem Thal vor Iburg angelangt waren, von allen Seiten angegriffen
werden konnten. Von allen Ecken und Enden, selbst auf Fußpfaden durch das
dichteste Gehölz, strömten die Deutschen hier zusammen, wie uns der Bericht
der Schriftsteller meldet. Hätten nun die Römer angesichts dieser Lage auf
den Paß von Iburg einen Sturm versucht, so würde sicher damals bereits die
Katastrophe eingetreten sein, welche später zum Untergange der römischen Le¬
gionen geführt hat. Denn während die Truppen gegen die Schanzen vorge¬
drungen wären, würden ihnen die Feinde von den nördlichen Höhen her in den
Rücken gefallen sein, eine Lage, die allerdings mit der vom Jahre 16, als es
sich um einen einfachen Angriff auf den Angrivarierwall handelte, der den
Römern gleichwohl nur mit Mühe und Not gelang, nicht im entferntesten mehr
verglichen werden kann.

Freilich ist es wohl erklärlich, daß es in Rom auch Kritiker gegeben hat,
die es tadelten, daß Varus nicht einmal den Versuch gemacht hat, bei Iburg
durchzubrechen. So sagt Vellejus Paterculus: "Das allertapferste Heer, welches
durch Mannszucht, Tüchtigkeit und Kriegserfahrung unter den römischen
Truppen das erste war, wurde durch die Schlaffheit des Führers, durch die
Treulosigkeit des Feindes, durch die Ungunst des Schicksals umgarnt." Ebenso:
"Der Feldherr war mehr auf Sterben als auf den Kampf bedacht." Ferner:
"Hieraus geht hervor, daß dem Varus, einem Manne, der gewiß Autorität
und guten Willen besaß, mehr die Überlegung des Feldherrn gefehlt hat, als
daß er von der Tapferkeit der Soldaten im Stich gelassen worden wäre, und
daß er so sich und das herrlichste Heer zu Grunde gerichtet hat."

Daß Varus seiner Aufgabe in Deutschland nicht gewachsen war, unterliegt


Die Schlacht im Teutoburger Walde.

Im Jahre 9 nach Christus aber stand ein durch den Marsch und sonstige An¬
strengungen ermüdetes Heer von nur drei Legionen, ein Heer, welches durch
den plötzlichen Überfall im Teutoburger Walde aufs höchste in Bestürzung ge¬
raten war, vor einer feindlichen Verteidigungslinie, in welcher die Arbeit der
Natur doch ein ganz andres Bollwerk geschaffen hatte, wie jener Wall der
Angrivarier war. Hier mußte schon deswegen jeder Angriff ungleich schwieriger
werden. Auch ist es möglich, daß dem Varus Maschinen, wie sie Germaniens
bei seinem Angriffe auf die Angrivarierschanzen benutzt hat, auf seinem Zuge
durch den Teutoburger Wald nicht zu Gebote standen.

Nun kam aber noch ein Umstand hinzu, der es geradezu als eine Toll¬
kühnheit erscheinen lassen mußte, wenn die Römer etwa einen Sturm auf den
Paß versucht hätten. Gerade vor Iburg münden nämlich eine Anzahl von
Straßen zusammen. Insbesondre läuft hierher von Norden die Straße von
Osnabrück, mit der sich die von Bvrgloh auf den Höhen unterhalb des Dören-
berges vereinigt. Ebenso wird von Nordwesten her ein Weg nach dem Passe
zu geführt haben. Deswegen war eben diese Gegend zu einem Versammlungs¬
orte des deutschen Heeres ganz wie geschaffen. Hier war es also, wo die Römer,
wenn sie in dem Thal vor Iburg angelangt waren, von allen Seiten angegriffen
werden konnten. Von allen Ecken und Enden, selbst auf Fußpfaden durch das
dichteste Gehölz, strömten die Deutschen hier zusammen, wie uns der Bericht
der Schriftsteller meldet. Hätten nun die Römer angesichts dieser Lage auf
den Paß von Iburg einen Sturm versucht, so würde sicher damals bereits die
Katastrophe eingetreten sein, welche später zum Untergange der römischen Le¬
gionen geführt hat. Denn während die Truppen gegen die Schanzen vorge¬
drungen wären, würden ihnen die Feinde von den nördlichen Höhen her in den
Rücken gefallen sein, eine Lage, die allerdings mit der vom Jahre 16, als es
sich um einen einfachen Angriff auf den Angrivarierwall handelte, der den
Römern gleichwohl nur mit Mühe und Not gelang, nicht im entferntesten mehr
verglichen werden kann.

Freilich ist es wohl erklärlich, daß es in Rom auch Kritiker gegeben hat,
die es tadelten, daß Varus nicht einmal den Versuch gemacht hat, bei Iburg
durchzubrechen. So sagt Vellejus Paterculus: „Das allertapferste Heer, welches
durch Mannszucht, Tüchtigkeit und Kriegserfahrung unter den römischen
Truppen das erste war, wurde durch die Schlaffheit des Führers, durch die
Treulosigkeit des Feindes, durch die Ungunst des Schicksals umgarnt." Ebenso:
„Der Feldherr war mehr auf Sterben als auf den Kampf bedacht." Ferner:
„Hieraus geht hervor, daß dem Varus, einem Manne, der gewiß Autorität
und guten Willen besaß, mehr die Überlegung des Feldherrn gefehlt hat, als
daß er von der Tapferkeit der Soldaten im Stich gelassen worden wäre, und
daß er so sich und das herrlichste Heer zu Grunde gerichtet hat."

Daß Varus seiner Aufgabe in Deutschland nicht gewachsen war, unterliegt


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[0624] Die Schlacht im Teutoburger Walde. Im Jahre 9 nach Christus aber stand ein durch den Marsch und sonstige An¬ strengungen ermüdetes Heer von nur drei Legionen, ein Heer, welches durch den plötzlichen Überfall im Teutoburger Walde aufs höchste in Bestürzung ge¬ raten war, vor einer feindlichen Verteidigungslinie, in welcher die Arbeit der Natur doch ein ganz andres Bollwerk geschaffen hatte, wie jener Wall der Angrivarier war. Hier mußte schon deswegen jeder Angriff ungleich schwieriger werden. Auch ist es möglich, daß dem Varus Maschinen, wie sie Germaniens bei seinem Angriffe auf die Angrivarierschanzen benutzt hat, auf seinem Zuge durch den Teutoburger Wald nicht zu Gebote standen. Nun kam aber noch ein Umstand hinzu, der es geradezu als eine Toll¬ kühnheit erscheinen lassen mußte, wenn die Römer etwa einen Sturm auf den Paß versucht hätten. Gerade vor Iburg münden nämlich eine Anzahl von Straßen zusammen. Insbesondre läuft hierher von Norden die Straße von Osnabrück, mit der sich die von Bvrgloh auf den Höhen unterhalb des Dören- berges vereinigt. Ebenso wird von Nordwesten her ein Weg nach dem Passe zu geführt haben. Deswegen war eben diese Gegend zu einem Versammlungs¬ orte des deutschen Heeres ganz wie geschaffen. Hier war es also, wo die Römer, wenn sie in dem Thal vor Iburg angelangt waren, von allen Seiten angegriffen werden konnten. Von allen Ecken und Enden, selbst auf Fußpfaden durch das dichteste Gehölz, strömten die Deutschen hier zusammen, wie uns der Bericht der Schriftsteller meldet. Hätten nun die Römer angesichts dieser Lage auf den Paß von Iburg einen Sturm versucht, so würde sicher damals bereits die Katastrophe eingetreten sein, welche später zum Untergange der römischen Le¬ gionen geführt hat. Denn während die Truppen gegen die Schanzen vorge¬ drungen wären, würden ihnen die Feinde von den nördlichen Höhen her in den Rücken gefallen sein, eine Lage, die allerdings mit der vom Jahre 16, als es sich um einen einfachen Angriff auf den Angrivarierwall handelte, der den Römern gleichwohl nur mit Mühe und Not gelang, nicht im entferntesten mehr verglichen werden kann. Freilich ist es wohl erklärlich, daß es in Rom auch Kritiker gegeben hat, die es tadelten, daß Varus nicht einmal den Versuch gemacht hat, bei Iburg durchzubrechen. So sagt Vellejus Paterculus: „Das allertapferste Heer, welches durch Mannszucht, Tüchtigkeit und Kriegserfahrung unter den römischen Truppen das erste war, wurde durch die Schlaffheit des Führers, durch die Treulosigkeit des Feindes, durch die Ungunst des Schicksals umgarnt." Ebenso: „Der Feldherr war mehr auf Sterben als auf den Kampf bedacht." Ferner: „Hieraus geht hervor, daß dem Varus, einem Manne, der gewiß Autorität und guten Willen besaß, mehr die Überlegung des Feldherrn gefehlt hat, als daß er von der Tapferkeit der Soldaten im Stich gelassen worden wäre, und daß er so sich und das herrlichste Heer zu Grunde gerichtet hat." Daß Varus seiner Aufgabe in Deutschland nicht gewachsen war, unterliegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/624>, abgerufen am 17.09.2024.