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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Maharadschas Vulip singt;.

Zur Schätzung seiner Bedeutung ist einiges über den Pendschab und die Sikhs
zu sagen.

Der Pendschab, im Norden von Kaschmir, im Westen von Afghanistan,
im Süden von Sindh, im Osten vom Sutledsch begrenzt, 9400 Quadratmeilen
groß, hat eine Verölkerung von über 17 Millionen, von denen nur 6^ Prozent
Sikhs, die übrigen ungefähr zu gleichen Teilen Muhamedaner und Hindus sind.
Die Abstammung der Sikhs, eines großen, kräftig gebauten Menschenschlages,
ist nicht bekannt; sie mögen Reste eines Urvvlkes oder aus einer Mischung der
vielen Völkerwellen, die über das Land hinweg gegangen sind, entstanden sein.
Für das erstere spricht, daß Alexander östlich vom Hydraotes, heute Rawl
genannt, freie republikanische Staaten fand, und daß in dem Heldengedicht
Mcchabharata zu lesen ist: "Wo jene fünf Ströme außerhalb der Waldungen
ihre Wogen wälzen, aus den Bergen hervorgebrochen, da wohnen die Bahiker
(Gesetzverächter), nämlich die Uradel (Königlvsen), Niemand gehe zu diesen
Gesetzlosen." Die politische Verfassung der Sikhs scheint darnach älter zu sein
als die eigentümliche Religion, welche seit dreihundert Jahren sie von den
Nachbarn unterscheidet und unter sich zusammenhält. Über den Stifter der¬
selben, Baba nannt, aus der Kriegerkaste der Hindus, geb. 1469, wird berichtet,
daß er von einem berühmten Derwisch im Koran unterrichtet worden sei und
für seine neue Lehre schnell Anhänger gewonnen habe; Sils bedeute Schüler,
Jünger. Aus seinen und seiner Nachfolger Aussprüchen ist das heilige Buch
Adi Granes zusammengestellt, das erst im vorigen Jahre ins Englische übersetzt
und uus noch nicht zugänglich geworden ist. Bekannt ist jedoch, daß die Sikhs
an einen Gott in einer Person glauben, einen Moralkodex und viel Zeremonial,
aber nicht die Speisegesetze der Muhamedaner und Hindus haben und deshalb
von diesen gehaßt werden. Sie hatten überhaupt einen schlechten Namen
und werden auch in den älteren englischen Werken als religiöse Raubritter
bezeichnet. Ihre politische Verfassung war eine Art von Clansystem. Die Mit¬
glieder des Clan standen und stehen noch heute zum Häuptling in einem
Treueverhältnis; die Häuptlinge bildeten eine Verbrüderung, die oben erwähnte
Khaifa, ohne Oberhaupt. Man hat die Sikhs in zwei Beziehungen mit den
Schweizern verglichen, einmal wegen dieser Eidgenossenschaft, dann weil sie immer
zu haben waren, wo es guten Sold einzustreichen, reiche Beute zu holen und gute
Hiebe auszuteilen gab. Trotz ihrer geringen Zahl haben sie von ihren Haupt¬
sitzen Lahor und Umritser ans nach allen Seiten ihre Nachbarn unterworfen;
und nachdem Nunschit Singh (geb. 1782, geht. 1839), der Vater von Dulip, sich
durch List und Gewalt zum Souverän gemacht hatte, dehnte er seine Herrschaft
nicht nur über den ganzen Pendschab, sondern auch über Peschwar am rechten
Jndusufer und über Kaschmir aus.

Seit 1849 bilden die einst so verachteten Sikhs einen wichtigen Teil der
bewaffneten Macht der Engländer, deren Herrschaft wesentlich darauf beruht,


Maharadschas Vulip singt;.

Zur Schätzung seiner Bedeutung ist einiges über den Pendschab und die Sikhs
zu sagen.

Der Pendschab, im Norden von Kaschmir, im Westen von Afghanistan,
im Süden von Sindh, im Osten vom Sutledsch begrenzt, 9400 Quadratmeilen
groß, hat eine Verölkerung von über 17 Millionen, von denen nur 6^ Prozent
Sikhs, die übrigen ungefähr zu gleichen Teilen Muhamedaner und Hindus sind.
Die Abstammung der Sikhs, eines großen, kräftig gebauten Menschenschlages,
ist nicht bekannt; sie mögen Reste eines Urvvlkes oder aus einer Mischung der
vielen Völkerwellen, die über das Land hinweg gegangen sind, entstanden sein.
Für das erstere spricht, daß Alexander östlich vom Hydraotes, heute Rawl
genannt, freie republikanische Staaten fand, und daß in dem Heldengedicht
Mcchabharata zu lesen ist: „Wo jene fünf Ströme außerhalb der Waldungen
ihre Wogen wälzen, aus den Bergen hervorgebrochen, da wohnen die Bahiker
(Gesetzverächter), nämlich die Uradel (Königlvsen), Niemand gehe zu diesen
Gesetzlosen." Die politische Verfassung der Sikhs scheint darnach älter zu sein
als die eigentümliche Religion, welche seit dreihundert Jahren sie von den
Nachbarn unterscheidet und unter sich zusammenhält. Über den Stifter der¬
selben, Baba nannt, aus der Kriegerkaste der Hindus, geb. 1469, wird berichtet,
daß er von einem berühmten Derwisch im Koran unterrichtet worden sei und
für seine neue Lehre schnell Anhänger gewonnen habe; Sils bedeute Schüler,
Jünger. Aus seinen und seiner Nachfolger Aussprüchen ist das heilige Buch
Adi Granes zusammengestellt, das erst im vorigen Jahre ins Englische übersetzt
und uus noch nicht zugänglich geworden ist. Bekannt ist jedoch, daß die Sikhs
an einen Gott in einer Person glauben, einen Moralkodex und viel Zeremonial,
aber nicht die Speisegesetze der Muhamedaner und Hindus haben und deshalb
von diesen gehaßt werden. Sie hatten überhaupt einen schlechten Namen
und werden auch in den älteren englischen Werken als religiöse Raubritter
bezeichnet. Ihre politische Verfassung war eine Art von Clansystem. Die Mit¬
glieder des Clan standen und stehen noch heute zum Häuptling in einem
Treueverhältnis; die Häuptlinge bildeten eine Verbrüderung, die oben erwähnte
Khaifa, ohne Oberhaupt. Man hat die Sikhs in zwei Beziehungen mit den
Schweizern verglichen, einmal wegen dieser Eidgenossenschaft, dann weil sie immer
zu haben waren, wo es guten Sold einzustreichen, reiche Beute zu holen und gute
Hiebe auszuteilen gab. Trotz ihrer geringen Zahl haben sie von ihren Haupt¬
sitzen Lahor und Umritser ans nach allen Seiten ihre Nachbarn unterworfen;
und nachdem Nunschit Singh (geb. 1782, geht. 1839), der Vater von Dulip, sich
durch List und Gewalt zum Souverän gemacht hatte, dehnte er seine Herrschaft
nicht nur über den ganzen Pendschab, sondern auch über Peschwar am rechten
Jndusufer und über Kaschmir aus.

Seit 1849 bilden die einst so verachteten Sikhs einen wichtigen Teil der
bewaffneten Macht der Engländer, deren Herrschaft wesentlich darauf beruht,


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[0620] Maharadschas Vulip singt;. Zur Schätzung seiner Bedeutung ist einiges über den Pendschab und die Sikhs zu sagen. Der Pendschab, im Norden von Kaschmir, im Westen von Afghanistan, im Süden von Sindh, im Osten vom Sutledsch begrenzt, 9400 Quadratmeilen groß, hat eine Verölkerung von über 17 Millionen, von denen nur 6^ Prozent Sikhs, die übrigen ungefähr zu gleichen Teilen Muhamedaner und Hindus sind. Die Abstammung der Sikhs, eines großen, kräftig gebauten Menschenschlages, ist nicht bekannt; sie mögen Reste eines Urvvlkes oder aus einer Mischung der vielen Völkerwellen, die über das Land hinweg gegangen sind, entstanden sein. Für das erstere spricht, daß Alexander östlich vom Hydraotes, heute Rawl genannt, freie republikanische Staaten fand, und daß in dem Heldengedicht Mcchabharata zu lesen ist: „Wo jene fünf Ströme außerhalb der Waldungen ihre Wogen wälzen, aus den Bergen hervorgebrochen, da wohnen die Bahiker (Gesetzverächter), nämlich die Uradel (Königlvsen), Niemand gehe zu diesen Gesetzlosen." Die politische Verfassung der Sikhs scheint darnach älter zu sein als die eigentümliche Religion, welche seit dreihundert Jahren sie von den Nachbarn unterscheidet und unter sich zusammenhält. Über den Stifter der¬ selben, Baba nannt, aus der Kriegerkaste der Hindus, geb. 1469, wird berichtet, daß er von einem berühmten Derwisch im Koran unterrichtet worden sei und für seine neue Lehre schnell Anhänger gewonnen habe; Sils bedeute Schüler, Jünger. Aus seinen und seiner Nachfolger Aussprüchen ist das heilige Buch Adi Granes zusammengestellt, das erst im vorigen Jahre ins Englische übersetzt und uus noch nicht zugänglich geworden ist. Bekannt ist jedoch, daß die Sikhs an einen Gott in einer Person glauben, einen Moralkodex und viel Zeremonial, aber nicht die Speisegesetze der Muhamedaner und Hindus haben und deshalb von diesen gehaßt werden. Sie hatten überhaupt einen schlechten Namen und werden auch in den älteren englischen Werken als religiöse Raubritter bezeichnet. Ihre politische Verfassung war eine Art von Clansystem. Die Mit¬ glieder des Clan standen und stehen noch heute zum Häuptling in einem Treueverhältnis; die Häuptlinge bildeten eine Verbrüderung, die oben erwähnte Khaifa, ohne Oberhaupt. Man hat die Sikhs in zwei Beziehungen mit den Schweizern verglichen, einmal wegen dieser Eidgenossenschaft, dann weil sie immer zu haben waren, wo es guten Sold einzustreichen, reiche Beute zu holen und gute Hiebe auszuteilen gab. Trotz ihrer geringen Zahl haben sie von ihren Haupt¬ sitzen Lahor und Umritser ans nach allen Seiten ihre Nachbarn unterworfen; und nachdem Nunschit Singh (geb. 1782, geht. 1839), der Vater von Dulip, sich durch List und Gewalt zum Souverän gemacht hatte, dehnte er seine Herrschaft nicht nur über den ganzen Pendschab, sondern auch über Peschwar am rechten Jndusufer und über Kaschmir aus. Seit 1849 bilden die einst so verachteten Sikhs einen wichtigen Teil der bewaffneten Macht der Engländer, deren Herrschaft wesentlich darauf beruht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/620>, abgerufen am 17.09.2024.