Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

daß sie Nassen und Religionen gegen einander ausspielen. Woran sie eigentlich
mit den Muhamedanern und Hindus sind, scheinen sie selbst nicht zu wissen,
wenn die Versicherung Sir Charles Dilkes in seinem Werke Hrsg-Wr Lritain
richtig ist, daß sie trotz aller Mittel, die angewandt wurden, um Geständnisse
zu erpressen, noch heute die Vorgeschichte des Sipoycmfstandes nicht kennen.
Von dem militärischen System der indischen Negierung ist die sogenannte
Armee von Bengalen ein gutes Beispiel. Sie enthält fast gar keine Leute aus
der Präsidentschaft, von der sie den Namen führt; das Fußvolk besteht meistens
aus Gurkas, den buddhistischen Bewohnern von Nepal, die mit Genehmigung
des Maharadschah angeworben werden, die Reiterei aus Arabern, afghanischen
Stämmen und Sikhs. Die Gurkas, ein mongolischer Menschenschlag, haben
sich so gut bewährt, daß voriges Jahr beschlossen wurde, die in der bengalischen
und den andern Armeen vorhandenen Gurkaregimcnter zu verdoppeln. Als
darauf verlautete, daß der Maharadscha der vermehrten Rekrutirung Schwierig¬
keiten mache, konnte die bald nachher folgende Nachricht nicht überraschen, daß
die indische Regierung die schlechte Behandlung der Nepalesen dnrch ihren Be¬
herrscher nicht länger mit ansehen könne und das Land, 3000 Quadratmeilen
groß, in eigne Verwaltung nehmen werde.

Auch die Sikhs haben sich so gut gemacht, daß sie überall verwandt
werden, wo es sich darum handelt, durch eine Schaustellung Eindruck zu macheu
oder harte Arbeit zu verrichten. Den aufständischen Sipoys wurden in der
ersten Not hauptsächlich Sikhs entgegengestellt; die "bengalischen Lanzenreiter"
in Malta, durch welche Beaconsfield 1873 die Russen einschüchtern wollte,
waren Sikhs, die indischen Truppen, welche bei Suakin helfen mußten, Sikhs;
die 12 000 Mann, die während des Streites über Penschdeh bei Rank Piudi
vor dem Vizekönig und dem Emir von Kabul paradirten und angeblich in vier
Wochen nach Heran geworfen werden sollten -- die kleine Eskorte der englischen
Grenzkommission brauchte von Quella nach Herat 52 Tage! -- waren größten¬
teils Sikhs; die militärische Polizei, die jetzt in dem buddhistischen Oberbirma
Ordnung halten soll, besteht aus Sikhs. Es wäre eine ernste Sache, wenn
ihre Loyalität erschüttert würde.

Als Dulip Singh 1864 von England nach Lahor gekommen war, um seine
Mutter zu beerdigen, drangen die Häuptlinge in ihn, dort zu bleiben und seine
alte Stellung wieder einzunehmen; er wies sie damals ab. Unter dem 12. d. M.
wird aus Bombay berichtet, sobald die Priester von seinen Intriguen mit den
Russen erfahren hätten, hätten sie die Gebete für ihn eingestellt, die bisher üblich
gewesen. Von dieser aus englischer Quelle stammenden Nachricht ist der letzte
Teil jedenfalls richtig; ob auch der erste, wird die Zeit lehren.




daß sie Nassen und Religionen gegen einander ausspielen. Woran sie eigentlich
mit den Muhamedanern und Hindus sind, scheinen sie selbst nicht zu wissen,
wenn die Versicherung Sir Charles Dilkes in seinem Werke Hrsg-Wr Lritain
richtig ist, daß sie trotz aller Mittel, die angewandt wurden, um Geständnisse
zu erpressen, noch heute die Vorgeschichte des Sipoycmfstandes nicht kennen.
Von dem militärischen System der indischen Negierung ist die sogenannte
Armee von Bengalen ein gutes Beispiel. Sie enthält fast gar keine Leute aus
der Präsidentschaft, von der sie den Namen führt; das Fußvolk besteht meistens
aus Gurkas, den buddhistischen Bewohnern von Nepal, die mit Genehmigung
des Maharadschah angeworben werden, die Reiterei aus Arabern, afghanischen
Stämmen und Sikhs. Die Gurkas, ein mongolischer Menschenschlag, haben
sich so gut bewährt, daß voriges Jahr beschlossen wurde, die in der bengalischen
und den andern Armeen vorhandenen Gurkaregimcnter zu verdoppeln. Als
darauf verlautete, daß der Maharadscha der vermehrten Rekrutirung Schwierig¬
keiten mache, konnte die bald nachher folgende Nachricht nicht überraschen, daß
die indische Regierung die schlechte Behandlung der Nepalesen dnrch ihren Be¬
herrscher nicht länger mit ansehen könne und das Land, 3000 Quadratmeilen
groß, in eigne Verwaltung nehmen werde.

Auch die Sikhs haben sich so gut gemacht, daß sie überall verwandt
werden, wo es sich darum handelt, durch eine Schaustellung Eindruck zu macheu
oder harte Arbeit zu verrichten. Den aufständischen Sipoys wurden in der
ersten Not hauptsächlich Sikhs entgegengestellt; die „bengalischen Lanzenreiter"
in Malta, durch welche Beaconsfield 1873 die Russen einschüchtern wollte,
waren Sikhs, die indischen Truppen, welche bei Suakin helfen mußten, Sikhs;
die 12 000 Mann, die während des Streites über Penschdeh bei Rank Piudi
vor dem Vizekönig und dem Emir von Kabul paradirten und angeblich in vier
Wochen nach Heran geworfen werden sollten — die kleine Eskorte der englischen
Grenzkommission brauchte von Quella nach Herat 52 Tage! — waren größten¬
teils Sikhs; die militärische Polizei, die jetzt in dem buddhistischen Oberbirma
Ordnung halten soll, besteht aus Sikhs. Es wäre eine ernste Sache, wenn
ihre Loyalität erschüttert würde.

Als Dulip Singh 1864 von England nach Lahor gekommen war, um seine
Mutter zu beerdigen, drangen die Häuptlinge in ihn, dort zu bleiben und seine
alte Stellung wieder einzunehmen; er wies sie damals ab. Unter dem 12. d. M.
wird aus Bombay berichtet, sobald die Priester von seinen Intriguen mit den
Russen erfahren hätten, hätten sie die Gebete für ihn eingestellt, die bisher üblich
gewesen. Von dieser aus englischer Quelle stammenden Nachricht ist der letzte
Teil jedenfalls richtig; ob auch der erste, wird die Zeit lehren.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289074"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1770" prev="#ID_1769"> daß sie Nassen und Religionen gegen einander ausspielen. Woran sie eigentlich<lb/>
mit den Muhamedanern und Hindus sind, scheinen sie selbst nicht zu wissen,<lb/>
wenn die Versicherung Sir Charles Dilkes in seinem Werke Hrsg-Wr Lritain<lb/>
richtig ist, daß sie trotz aller Mittel, die angewandt wurden, um Geständnisse<lb/>
zu erpressen, noch heute die Vorgeschichte des Sipoycmfstandes nicht kennen.<lb/>
Von dem militärischen System der indischen Negierung ist die sogenannte<lb/>
Armee von Bengalen ein gutes Beispiel. Sie enthält fast gar keine Leute aus<lb/>
der Präsidentschaft, von der sie den Namen führt; das Fußvolk besteht meistens<lb/>
aus Gurkas, den buddhistischen Bewohnern von Nepal, die mit Genehmigung<lb/>
des Maharadschah angeworben werden, die Reiterei aus Arabern, afghanischen<lb/>
Stämmen und Sikhs. Die Gurkas, ein mongolischer Menschenschlag, haben<lb/>
sich so gut bewährt, daß voriges Jahr beschlossen wurde, die in der bengalischen<lb/>
und den andern Armeen vorhandenen Gurkaregimcnter zu verdoppeln. Als<lb/>
darauf verlautete, daß der Maharadscha der vermehrten Rekrutirung Schwierig¬<lb/>
keiten mache, konnte die bald nachher folgende Nachricht nicht überraschen, daß<lb/>
die indische Regierung die schlechte Behandlung der Nepalesen dnrch ihren Be¬<lb/>
herrscher nicht länger mit ansehen könne und das Land, 3000 Quadratmeilen<lb/>
groß, in eigne Verwaltung nehmen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1771"> Auch die Sikhs haben sich so gut gemacht, daß sie überall verwandt<lb/>
werden, wo es sich darum handelt, durch eine Schaustellung Eindruck zu macheu<lb/>
oder harte Arbeit zu verrichten. Den aufständischen Sipoys wurden in der<lb/>
ersten Not hauptsächlich Sikhs entgegengestellt; die &#x201E;bengalischen Lanzenreiter"<lb/>
in Malta, durch welche Beaconsfield 1873 die Russen einschüchtern wollte,<lb/>
waren Sikhs, die indischen Truppen, welche bei Suakin helfen mußten, Sikhs;<lb/>
die 12 000 Mann, die während des Streites über Penschdeh bei Rank Piudi<lb/>
vor dem Vizekönig und dem Emir von Kabul paradirten und angeblich in vier<lb/>
Wochen nach Heran geworfen werden sollten &#x2014; die kleine Eskorte der englischen<lb/>
Grenzkommission brauchte von Quella nach Herat 52 Tage! &#x2014; waren größten¬<lb/>
teils Sikhs; die militärische Polizei, die jetzt in dem buddhistischen Oberbirma<lb/>
Ordnung halten soll, besteht aus Sikhs. Es wäre eine ernste Sache, wenn<lb/>
ihre Loyalität erschüttert würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1772"> Als Dulip Singh 1864 von England nach Lahor gekommen war, um seine<lb/>
Mutter zu beerdigen, drangen die Häuptlinge in ihn, dort zu bleiben und seine<lb/>
alte Stellung wieder einzunehmen; er wies sie damals ab. Unter dem 12. d. M.<lb/>
wird aus Bombay berichtet, sobald die Priester von seinen Intriguen mit den<lb/>
Russen erfahren hätten, hätten sie die Gebete für ihn eingestellt, die bisher üblich<lb/>
gewesen. Von dieser aus englischer Quelle stammenden Nachricht ist der letzte<lb/>
Teil jedenfalls richtig; ob auch der erste, wird die Zeit lehren.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0621] daß sie Nassen und Religionen gegen einander ausspielen. Woran sie eigentlich mit den Muhamedanern und Hindus sind, scheinen sie selbst nicht zu wissen, wenn die Versicherung Sir Charles Dilkes in seinem Werke Hrsg-Wr Lritain richtig ist, daß sie trotz aller Mittel, die angewandt wurden, um Geständnisse zu erpressen, noch heute die Vorgeschichte des Sipoycmfstandes nicht kennen. Von dem militärischen System der indischen Negierung ist die sogenannte Armee von Bengalen ein gutes Beispiel. Sie enthält fast gar keine Leute aus der Präsidentschaft, von der sie den Namen führt; das Fußvolk besteht meistens aus Gurkas, den buddhistischen Bewohnern von Nepal, die mit Genehmigung des Maharadschah angeworben werden, die Reiterei aus Arabern, afghanischen Stämmen und Sikhs. Die Gurkas, ein mongolischer Menschenschlag, haben sich so gut bewährt, daß voriges Jahr beschlossen wurde, die in der bengalischen und den andern Armeen vorhandenen Gurkaregimcnter zu verdoppeln. Als darauf verlautete, daß der Maharadscha der vermehrten Rekrutirung Schwierig¬ keiten mache, konnte die bald nachher folgende Nachricht nicht überraschen, daß die indische Regierung die schlechte Behandlung der Nepalesen dnrch ihren Be¬ herrscher nicht länger mit ansehen könne und das Land, 3000 Quadratmeilen groß, in eigne Verwaltung nehmen werde. Auch die Sikhs haben sich so gut gemacht, daß sie überall verwandt werden, wo es sich darum handelt, durch eine Schaustellung Eindruck zu macheu oder harte Arbeit zu verrichten. Den aufständischen Sipoys wurden in der ersten Not hauptsächlich Sikhs entgegengestellt; die „bengalischen Lanzenreiter" in Malta, durch welche Beaconsfield 1873 die Russen einschüchtern wollte, waren Sikhs, die indischen Truppen, welche bei Suakin helfen mußten, Sikhs; die 12 000 Mann, die während des Streites über Penschdeh bei Rank Piudi vor dem Vizekönig und dem Emir von Kabul paradirten und angeblich in vier Wochen nach Heran geworfen werden sollten — die kleine Eskorte der englischen Grenzkommission brauchte von Quella nach Herat 52 Tage! — waren größten¬ teils Sikhs; die militärische Polizei, die jetzt in dem buddhistischen Oberbirma Ordnung halten soll, besteht aus Sikhs. Es wäre eine ernste Sache, wenn ihre Loyalität erschüttert würde. Als Dulip Singh 1864 von England nach Lahor gekommen war, um seine Mutter zu beerdigen, drangen die Häuptlinge in ihn, dort zu bleiben und seine alte Stellung wieder einzunehmen; er wies sie damals ab. Unter dem 12. d. M. wird aus Bombay berichtet, sobald die Priester von seinen Intriguen mit den Russen erfahren hätten, hätten sie die Gebete für ihn eingestellt, die bisher üblich gewesen. Von dieser aus englischer Quelle stammenden Nachricht ist der letzte Teil jedenfalls richtig; ob auch der erste, wird die Zeit lehren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/621
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/621>, abgerufen am 17.09.2024.