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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Leo der Dreizehnte und Italien.

erweitern sollten. Es wäre indes unbillig, sein Mißgeschick als weltlicher Herrscher
lediglich auf seine mangelhafte politische Befähigung zurückzuführen. Die Ver"
einigung Italiens war unaufhaltsam geworden. Mazzini hatte sie vorbereitet,
England, vorwiegend aus selbstsüchtigen Beweggründen, teilweise anch aus poli¬
tischer Schwärmerei einzelner, dabei geholfen, Cavonrs staatsmännische Klug¬
heit, Viktor Emanuels entschlossener Geist und Garibaldis Abentcurergeuie
hatten das Werk unter glücklichen Sternen weiter gefördert. Es war ein
Unglück für das Papsttum, daß seine alten Ansprüche auf weltliche Herrschaft
sich nicht mit der neuen Idee des Rechtes der Nationen auf Zusammenschluß
in staatlicher Einheit vertrüge". Wäre es in Avignon geblieben, so würde es
nach seiner weltlichen Seite schon unter Ludwig dem Vierzehnten von Frankreich
verschlungen worden sein. Das italienische Volk, soweit es politisch dachte,
wollte nicht mehr in Kleinstaaten zerspalten bleiben, damit das angebliche Be¬
dürfnis der katholische" Welt, für ihren geistlichen Oberherrn einen weltlichen
Thron zu haben, erfüllt bliebe. Konnte sich der Papst wirklich nur auf einem
solchen Throne voller Freiheit und Unabhängigkeit erfreuen, so mußten die,
welche das behaupteten, ihm einen derartigen Thron in einem Teile der Erd¬
oberfläche schaffen, wo er mit der Einheit keiner Nation in Widerspruch ge¬
raten konnte. Käme es allein auf Besitzurkunden um, so wäre das Recht des
Papstes auf Rom unstreitig sehr stark. Der Anspruch eines Volkes auf seinen
Grund und Boden und eine Hauptstadt, die dessen natürlichen Mittelpunkt
bildet, gründet sich aber nicht auf Besitztitcl, sondern auf Thatsache", auf dessen
Bestrebungen und auf dessen Macht und Bereitschaft, für sie zu kämpfen. Es
ist, wenn solche Ansprüche an dem Punkte anlangen, wo "die Zeit erfüllet ist,"
das Recht der Natur, das Recht des geschichtlichen Lebens, das die Formen
sprengt und beseitigt, welche das Recht der Advokaten und Diplomaten in
früheren Tagen geschaffen hat, indem sie damals ebenfalls das Erzeugnis jenes
erst unbewußten, dann sich erkennenden und wollenden Lebens befestigten und
bestätigten. Das Völkerleben ist Fluß, kein Recht faßt es für ewig. Die Ge¬
schichte ist in dieser Beziehung eine Aufeinanderfolge von ganzen und halben
Rechtsbrüchen. Übrigens fehlt es durchaus nicht an Katholiken, welche der
Meinung sind, daß der Verlust der weltlichen Macht das Papsttum nicht ge¬
schwächt, sondern gestärkt habe. Der Papst war als König des Kirchenstaates
nichts weniger als frei und selbständig, er hing vielmehr abwechselnd von
Frankreich und Österreich ab und hatte für deren Beistand zu zahlen. Er
mußte nach Paris gehen und Napoleon den Ersten, den "Sohn der Revolution."
krönen, seine Beauftragten hatten sich später den Beamten Österreichs zu fügen,
er war genötigt, jeder Reaktion zu dienen, was namentlich von den beiden
Trägern der Tiara gilt, die in der Zeit der heiligen Allianz herrschte". Nur
die kurze Periode von 1848. wo Pius der Neunte die italienischen Fahnen
segnete, macht davon eine Ausnahme, die aber später reichlich ausgeglichen


Leo der Dreizehnte und Italien.

erweitern sollten. Es wäre indes unbillig, sein Mißgeschick als weltlicher Herrscher
lediglich auf seine mangelhafte politische Befähigung zurückzuführen. Die Ver»
einigung Italiens war unaufhaltsam geworden. Mazzini hatte sie vorbereitet,
England, vorwiegend aus selbstsüchtigen Beweggründen, teilweise anch aus poli¬
tischer Schwärmerei einzelner, dabei geholfen, Cavonrs staatsmännische Klug¬
heit, Viktor Emanuels entschlossener Geist und Garibaldis Abentcurergeuie
hatten das Werk unter glücklichen Sternen weiter gefördert. Es war ein
Unglück für das Papsttum, daß seine alten Ansprüche auf weltliche Herrschaft
sich nicht mit der neuen Idee des Rechtes der Nationen auf Zusammenschluß
in staatlicher Einheit vertrüge». Wäre es in Avignon geblieben, so würde es
nach seiner weltlichen Seite schon unter Ludwig dem Vierzehnten von Frankreich
verschlungen worden sein. Das italienische Volk, soweit es politisch dachte,
wollte nicht mehr in Kleinstaaten zerspalten bleiben, damit das angebliche Be¬
dürfnis der katholische» Welt, für ihren geistlichen Oberherrn einen weltlichen
Thron zu haben, erfüllt bliebe. Konnte sich der Papst wirklich nur auf einem
solchen Throne voller Freiheit und Unabhängigkeit erfreuen, so mußten die,
welche das behaupteten, ihm einen derartigen Thron in einem Teile der Erd¬
oberfläche schaffen, wo er mit der Einheit keiner Nation in Widerspruch ge¬
raten konnte. Käme es allein auf Besitzurkunden um, so wäre das Recht des
Papstes auf Rom unstreitig sehr stark. Der Anspruch eines Volkes auf seinen
Grund und Boden und eine Hauptstadt, die dessen natürlichen Mittelpunkt
bildet, gründet sich aber nicht auf Besitztitcl, sondern auf Thatsache», auf dessen
Bestrebungen und auf dessen Macht und Bereitschaft, für sie zu kämpfen. Es
ist, wenn solche Ansprüche an dem Punkte anlangen, wo „die Zeit erfüllet ist,"
das Recht der Natur, das Recht des geschichtlichen Lebens, das die Formen
sprengt und beseitigt, welche das Recht der Advokaten und Diplomaten in
früheren Tagen geschaffen hat, indem sie damals ebenfalls das Erzeugnis jenes
erst unbewußten, dann sich erkennenden und wollenden Lebens befestigten und
bestätigten. Das Völkerleben ist Fluß, kein Recht faßt es für ewig. Die Ge¬
schichte ist in dieser Beziehung eine Aufeinanderfolge von ganzen und halben
Rechtsbrüchen. Übrigens fehlt es durchaus nicht an Katholiken, welche der
Meinung sind, daß der Verlust der weltlichen Macht das Papsttum nicht ge¬
schwächt, sondern gestärkt habe. Der Papst war als König des Kirchenstaates
nichts weniger als frei und selbständig, er hing vielmehr abwechselnd von
Frankreich und Österreich ab und hatte für deren Beistand zu zahlen. Er
mußte nach Paris gehen und Napoleon den Ersten, den „Sohn der Revolution."
krönen, seine Beauftragten hatten sich später den Beamten Österreichs zu fügen,
er war genötigt, jeder Reaktion zu dienen, was namentlich von den beiden
Trägern der Tiara gilt, die in der Zeit der heiligen Allianz herrschte». Nur
die kurze Periode von 1848. wo Pius der Neunte die italienischen Fahnen
segnete, macht davon eine Ausnahme, die aber später reichlich ausgeglichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/611>, abgerufen am 17.09.2024.