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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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wurde. Leo der Dreizehnte dagegen hängt von keinem weltlichen Arme ab
und hat weit mehr Freiheit in seinen Entschließungen als seine Vorgänger.

Unstreitig würde eine Versöhnung des Königs von Italien mit dem Papste
viele ehrenwerte Italiener in hohem Grade befriedigen, über weite Kreise Frieden
verbreiten und beiden Mächten zum Nutzen gereichen. Italien ist ein junger
Staat, der zwar gute Fortschritte macht, aber in seinen Lebensinteressen, wo
nicht in seinem Bestände von Frankreich bedroht ist, während er anderseits die
Vergangenheit noch nicht vergessen haben kann, in der Österreich die Nation
geknebelt hielt und deren Wiederkehr nicht völlig ausgeschlossen ist. So lange
Italien und der Vatikan sich als Gegner gegenüberstehen, wird es keinem der
Feinde des ersteren zu geeigneter Zeit an einem Vorwande zu einem Angriffe
fehlen. Noch mehr als diese Rücksicht aber könnte die innere Politik den Versuch
zu einer Verständigung empfehlen. Auch in Italien haben die Fortschritte des
Liberalismus zu einem Punkte geführt, wo es abwärts gehen muß, wenn dem
Wagen nicht ein Hemmschuh angelegt werden kann. Es giebt auch hier Demo¬
kraten, Sozialisten, Anarchisten und andre politische Phantasten, die mit gleicher
Rührigkeit und Rücksichtslosigkeit gegen Staat und Gesellschaft wie gegen Kirche
und Religion arbeiten. Die gemäßigten Liberalen fühlen, daß sie bei der Be¬
kämpfung dieser Parteien des Umsturzes erheblich mehr Aussicht auf dauernden
Widerstand haben würden, wenn sie sich der Mitwirkung der päpstlichen Partei
im Lande erfreuten, zu welcher nicht bloß der größte Teil des italienischen
Klerus, sondern auch eine nicht geringe Menge der Laienbevölkerung, z. B. der
römische Adel, gehört. Bisher aber hat der Vatikan seinen Anhängern eine
Haltung vorgeschrieben, welche mit der Parole: "Weder wählen, noch sich
wählen lassen" bezeichnet ist, und infolge dessen ist das italienische Parlament
ein Torso: es drückt die Meinung und den Willen des Volkes nicht vollständig
aus, es entbehrt bedeutender Kräfte, welche den Radikalen in seiner Mitte die
Stange halten zu halten vermöchten, Massen konservativer Städter und Land-
leute bleiben der Stimmurne fern. Hörte diese Enthaltung von der Teilnahme
am parlamentarischen Leben auf, so würden die Abgeordneten dieser Farbe sich
naturgemäß den gemäßigten Gruppen anschließen und deren Programm eine
mehr konservative Schattirung geben. Die monarchischen Parteien Frankreichs
haben Vertreter in die Kammer gesandt und können jetzt verzögern, wo nicht
verhindern, daß die Radikalen ans Ruder gelangen und das Land in Revolution
und Krieg stürzen. Weshalb sollte die päpstliche Partei in Italien nicht eine
ähnliche Rolle spielen? Der Papst brauchte nur auf Zugeständnisse von der
andern Seite hin ein Wort zu sprechen, und Hunderttausende von Italienern
würden bei der nächsten Wahl erscheinen, um für Ordnung, Gesetz, Königtum,
Eigentum und Religion zu stimmen. Der Traum Dantes würde sich verwirk¬
lichen, wir würden den Papst den König und Italien segnen sehen -- ein
ungeheures Ereignis in den Augen von Millionen. Belächelt man dies als


wurde. Leo der Dreizehnte dagegen hängt von keinem weltlichen Arme ab
und hat weit mehr Freiheit in seinen Entschließungen als seine Vorgänger.

Unstreitig würde eine Versöhnung des Königs von Italien mit dem Papste
viele ehrenwerte Italiener in hohem Grade befriedigen, über weite Kreise Frieden
verbreiten und beiden Mächten zum Nutzen gereichen. Italien ist ein junger
Staat, der zwar gute Fortschritte macht, aber in seinen Lebensinteressen, wo
nicht in seinem Bestände von Frankreich bedroht ist, während er anderseits die
Vergangenheit noch nicht vergessen haben kann, in der Österreich die Nation
geknebelt hielt und deren Wiederkehr nicht völlig ausgeschlossen ist. So lange
Italien und der Vatikan sich als Gegner gegenüberstehen, wird es keinem der
Feinde des ersteren zu geeigneter Zeit an einem Vorwande zu einem Angriffe
fehlen. Noch mehr als diese Rücksicht aber könnte die innere Politik den Versuch
zu einer Verständigung empfehlen. Auch in Italien haben die Fortschritte des
Liberalismus zu einem Punkte geführt, wo es abwärts gehen muß, wenn dem
Wagen nicht ein Hemmschuh angelegt werden kann. Es giebt auch hier Demo¬
kraten, Sozialisten, Anarchisten und andre politische Phantasten, die mit gleicher
Rührigkeit und Rücksichtslosigkeit gegen Staat und Gesellschaft wie gegen Kirche
und Religion arbeiten. Die gemäßigten Liberalen fühlen, daß sie bei der Be¬
kämpfung dieser Parteien des Umsturzes erheblich mehr Aussicht auf dauernden
Widerstand haben würden, wenn sie sich der Mitwirkung der päpstlichen Partei
im Lande erfreuten, zu welcher nicht bloß der größte Teil des italienischen
Klerus, sondern auch eine nicht geringe Menge der Laienbevölkerung, z. B. der
römische Adel, gehört. Bisher aber hat der Vatikan seinen Anhängern eine
Haltung vorgeschrieben, welche mit der Parole: „Weder wählen, noch sich
wählen lassen" bezeichnet ist, und infolge dessen ist das italienische Parlament
ein Torso: es drückt die Meinung und den Willen des Volkes nicht vollständig
aus, es entbehrt bedeutender Kräfte, welche den Radikalen in seiner Mitte die
Stange halten zu halten vermöchten, Massen konservativer Städter und Land-
leute bleiben der Stimmurne fern. Hörte diese Enthaltung von der Teilnahme
am parlamentarischen Leben auf, so würden die Abgeordneten dieser Farbe sich
naturgemäß den gemäßigten Gruppen anschließen und deren Programm eine
mehr konservative Schattirung geben. Die monarchischen Parteien Frankreichs
haben Vertreter in die Kammer gesandt und können jetzt verzögern, wo nicht
verhindern, daß die Radikalen ans Ruder gelangen und das Land in Revolution
und Krieg stürzen. Weshalb sollte die päpstliche Partei in Italien nicht eine
ähnliche Rolle spielen? Der Papst brauchte nur auf Zugeständnisse von der
andern Seite hin ein Wort zu sprechen, und Hunderttausende von Italienern
würden bei der nächsten Wahl erscheinen, um für Ordnung, Gesetz, Königtum,
Eigentum und Religion zu stimmen. Der Traum Dantes würde sich verwirk¬
lichen, wir würden den Papst den König und Italien segnen sehen — ein
ungeheures Ereignis in den Augen von Millionen. Belächelt man dies als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/612>, abgerufen am 17.09.2024.