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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

eine Ziel verfolgten, die durch die Zeit geheiligte Bastionslinie durch ein gänzlich
neues Mittel zu ersetzen. Es war die oft ausgesprochene Hoffnung Mouta-
lembcrts, daß "die französische Nation, nachdem sie den Angriff zum Siege
über die Verteidigung geführt habe, durch ihn den größern Triumph erwerben
sollte, die Verteidigung zum Siege über den Augriff zu führen,"

So wie Montalembert und in einem noch höhern Grade als dieser, war
Carnot nicht nur ein militärischer, sondern auch ein wissenschaftlicher Denker.
Seine Göomütrio alö Position reiht ihn den größten Mathematikern aller
Zeiten an.

Der Soldat wird Cnrnot uuter zwei Gesichtspunkten betrachten. Zunächst
als militärischen Organisator, als welcher er ein bewunderungswürdiges Genie
bewies und das -- freilich bei weitem nicht erreichte -- Vorbild Gmnbetlas
wurde. Er allein orgauisictc die schier unglaubliche Widerstandskraft der fran¬
zösischen Republik nach außen, und der Ehrenname, der ihm im Konvent ge^
geben wurde, "Organisator deS Sieges," war vollauf verdient. Nach dieser
Richtung hin ist Camoes Wirken oft von militärischen Fachleuten behandelt
worden. Umsomehr wurde dagegen die nicht minder eifrige Thätigkeit Camoes
als Ingenieur vernachlässigt, eine Thätigkeit, die seinem seltenen mathematischen
Genie so sehr viel näher lag als die Zentralleitnug der Heere. Seine wich¬
tigsten kriegsbautechnischcn Werke entstanden auf Veranlassung Napoleons, um
zu beweisen, daß die Widerstandsfähigkeit fester Plätze weit über die Grenzen
hinaus gehoben werden könne, welche man ihr gewöhnlich stecke, und daß eine
besser orgcuiisirte und aktive Verteidigung zu diesem Ziele führe. Im Verlaufe
dieser Studien gelangte Carnot zu seinem umfassenden, klaren Shstem, welches
nicht, wie dasjenige Mviitalembcrts, von gänzlich neuen Gesichtspunkten aus¬
ging, sondern als das Werk eines Praktikers an das Bestehende anknüpfte und
die Mittel und Wege entwickelte, durch welche die Fronten der alten Be¬
festigungen, deren Neubau zu kostspielig gewesen wäre, aufs äußerste verbessert
werden könnten. Daß er den Mvntalembertschen Gedanken zuneigte, lag im
Laufe der natürlich vorgezeichneten Entwicklung. Er verehrte Montalembert,
ohne alle seine Gedanken zu teilen. Auch er bemühte sich, die Verteidigung dem
Augriff überlegen zu machen. Doch legte er das höchste Gewicht auf das ak¬
tive Verhalten der Besatzuugstruppe. ES war ihm daher das wichtigste, zahl¬
reiche und kräftige Ausfälle der Belagerten zu ermöglichen und eine wirksame
Verteidigung auch dann noch fortzuführen, wenn der Feind das Glacis bereits
erreicht hat. Er bildete somit das indirekte Feuer aus. das alle Operationen
der Besatzung aufs mutigste unterstützen kann, und verlegte seinen Hauptherd
in kasemattirte Mörserbattericn. Die gemauerten steilen Contrcesearpen, die
weder dem Angriff der Bomben lange widerstehen noch der Verteidigung
wesentlich nutzen, wandelte er in vollständige, beiderseitig abgeschrägte Glacis
(8'l!rÄ8 vu ovutropönw) um und vergrößerte die Zahl der detachirten Esearp-


Grmzbvtm II, 18L7. ^
Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

eine Ziel verfolgten, die durch die Zeit geheiligte Bastionslinie durch ein gänzlich
neues Mittel zu ersetzen. Es war die oft ausgesprochene Hoffnung Mouta-
lembcrts, daß „die französische Nation, nachdem sie den Angriff zum Siege
über die Verteidigung geführt habe, durch ihn den größern Triumph erwerben
sollte, die Verteidigung zum Siege über den Augriff zu führen,"

So wie Montalembert und in einem noch höhern Grade als dieser, war
Carnot nicht nur ein militärischer, sondern auch ein wissenschaftlicher Denker.
Seine Göomütrio alö Position reiht ihn den größten Mathematikern aller
Zeiten an.

Der Soldat wird Cnrnot uuter zwei Gesichtspunkten betrachten. Zunächst
als militärischen Organisator, als welcher er ein bewunderungswürdiges Genie
bewies und das — freilich bei weitem nicht erreichte — Vorbild Gmnbetlas
wurde. Er allein orgauisictc die schier unglaubliche Widerstandskraft der fran¬
zösischen Republik nach außen, und der Ehrenname, der ihm im Konvent ge^
geben wurde, „Organisator deS Sieges," war vollauf verdient. Nach dieser
Richtung hin ist Camoes Wirken oft von militärischen Fachleuten behandelt
worden. Umsomehr wurde dagegen die nicht minder eifrige Thätigkeit Camoes
als Ingenieur vernachlässigt, eine Thätigkeit, die seinem seltenen mathematischen
Genie so sehr viel näher lag als die Zentralleitnug der Heere. Seine wich¬
tigsten kriegsbautechnischcn Werke entstanden auf Veranlassung Napoleons, um
zu beweisen, daß die Widerstandsfähigkeit fester Plätze weit über die Grenzen
hinaus gehoben werden könne, welche man ihr gewöhnlich stecke, und daß eine
besser orgcuiisirte und aktive Verteidigung zu diesem Ziele führe. Im Verlaufe
dieser Studien gelangte Carnot zu seinem umfassenden, klaren Shstem, welches
nicht, wie dasjenige Mviitalembcrts, von gänzlich neuen Gesichtspunkten aus¬
ging, sondern als das Werk eines Praktikers an das Bestehende anknüpfte und
die Mittel und Wege entwickelte, durch welche die Fronten der alten Be¬
festigungen, deren Neubau zu kostspielig gewesen wäre, aufs äußerste verbessert
werden könnten. Daß er den Mvntalembertschen Gedanken zuneigte, lag im
Laufe der natürlich vorgezeichneten Entwicklung. Er verehrte Montalembert,
ohne alle seine Gedanken zu teilen. Auch er bemühte sich, die Verteidigung dem
Augriff überlegen zu machen. Doch legte er das höchste Gewicht auf das ak¬
tive Verhalten der Besatzuugstruppe. ES war ihm daher das wichtigste, zahl¬
reiche und kräftige Ausfälle der Belagerten zu ermöglichen und eine wirksame
Verteidigung auch dann noch fortzuführen, wenn der Feind das Glacis bereits
erreicht hat. Er bildete somit das indirekte Feuer aus. das alle Operationen
der Besatzung aufs mutigste unterstützen kann, und verlegte seinen Hauptherd
in kasemattirte Mörserbattericn. Die gemauerten steilen Contrcesearpen, die
weder dem Angriff der Bomben lange widerstehen noch der Verteidigung
wesentlich nutzen, wandelte er in vollständige, beiderseitig abgeschrägte Glacis
(8'l!rÄ8 vu ovutropönw) um und vergrößerte die Zahl der detachirten Esearp-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/577>, abgerufen am 17.09.2024.