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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zur Geschichte der beständigen Befestigung,

walte und Bvllwerkswehreu (oontrs-g!ii'av8). In Antwerpen machte Carnot
während des Feldzuges von 1814 die praktische Probe ans sein theoretisches
Exempel mit einem Erfolge, der nicht übertreffen werden konnte.

Camoes Werken über den Festungsbciu, zumal dem großen dreibändigen
Meisterwerk In. clvtsnso äos xl^oss loro", erging es wie denjenigen Monta-
lemberts: sie wurden in Frankreich vergessen und in Preußen aufs eifrigste
studirt.

Der preußischen Befestigungskunst hatte schon zu Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts der General Wallrawe die Wege gewiesen. Er hatte die Ge¬
danken des jüngern Landsberg in sich aufgenommen und zur praktischen Aus¬
führung gebracht, lange bevor Montalembert das Shstcm vollendete, Wallrawe
war für die preußische Befestigungskunst das, was zu derselben Zeit der alte
Dessauer für die preußische Infanterie war. Beiden nahm Friedrich der Große,
das ganze Gebiet des Kriegswesens mit geistvollen Blick umspannend, die Zügel
ans der Hand, als diese ihren Händen entsanken. Der große König war im
Innersten von der Unzulänglichkeit des französischen Systems überzeugt. Alle
Bauten, die er selbst anordnete, besonders die schlesischen, entfernen sich daher
auch durchaus von den gleichzeitigen Musterbauten der Franzosen. Er verwirft
die emporstrebenden Arbeiten, er rückt lieber nnter den Horizont. Das Lager
zu Bunzelwitz ist eine Borweguahme der modernen Befestigungskunst. Friedrich
erkennt den Wert der kascmattirtcn Grabenflankirnng und wendet sie stets an.
Das Kasemattensystem hat er ebenso zur Vollendung gebracht, wie das Tenaillcn-
shstein. Er raunte Montalembert und folgte dessen Gedanken mit ebenso viel
Entschiedenheit wie Freiheit; so fing er schon an, das strenge Teuaillensystcm
zu verlassen und Kapvnniereu, detachirtc Forts, zur aktiven Verteidigung ein¬
gerichtete gedeckte Wege zu verwenden.

Mit der Wirksamkeit des gelehrten Generals von Aster beginnt das neu¬
preußische System und damit der moderne Festungsbau. In den Werken von
Aster lind Brese offenbart sich die größte Unbefangenheit und Anpassung an
das Terrain. In ihnen kommt ebenso sehr Montalembert und Carnot, wie
Dürer und Speckin zur Geltung. Ganz Europa beglaubigte durch die Annahme
des neuen Systems die Überlegenheit der militärischen Praxis Preußens, Belgien
machte eine großartige Anwendung desselben im Neubau von Antwerpen, nur
Frankreich schloß sich ans. Durch die Erfahrungen des Krieges von 1870 ging
der ucupreußische Stil in den modernsten über, den man billig den "deutschen"
nennen kann und den im wesentlichen auch Frankreich in seinen Neubauten
befolgt. Dieser Stil ist noch lange nicht abgeschlossen und bedarf erst der Probe
eines größern Krieges, um auf seine Vorzüge und Fehler erkannt zu werden.
Wir verzichten hier auf seiue Auseinandersetzung, die eine besondre Behandlung
verlangen würde. Obwohl Frankreich und Deutschland mit einander wetteifern,
sich durch Festniigen, die nach den neuen Ideen gebaut sind, zu schützen, offen-


Zur Geschichte der beständigen Befestigung,

walte und Bvllwerkswehreu (oontrs-g!ii'av8). In Antwerpen machte Carnot
während des Feldzuges von 1814 die praktische Probe ans sein theoretisches
Exempel mit einem Erfolge, der nicht übertreffen werden konnte.

Camoes Werken über den Festungsbciu, zumal dem großen dreibändigen
Meisterwerk In. clvtsnso äos xl^oss loro«, erging es wie denjenigen Monta-
lemberts: sie wurden in Frankreich vergessen und in Preußen aufs eifrigste
studirt.

Der preußischen Befestigungskunst hatte schon zu Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts der General Wallrawe die Wege gewiesen. Er hatte die Ge¬
danken des jüngern Landsberg in sich aufgenommen und zur praktischen Aus¬
führung gebracht, lange bevor Montalembert das Shstcm vollendete, Wallrawe
war für die preußische Befestigungskunst das, was zu derselben Zeit der alte
Dessauer für die preußische Infanterie war. Beiden nahm Friedrich der Große,
das ganze Gebiet des Kriegswesens mit geistvollen Blick umspannend, die Zügel
ans der Hand, als diese ihren Händen entsanken. Der große König war im
Innersten von der Unzulänglichkeit des französischen Systems überzeugt. Alle
Bauten, die er selbst anordnete, besonders die schlesischen, entfernen sich daher
auch durchaus von den gleichzeitigen Musterbauten der Franzosen. Er verwirft
die emporstrebenden Arbeiten, er rückt lieber nnter den Horizont. Das Lager
zu Bunzelwitz ist eine Borweguahme der modernen Befestigungskunst. Friedrich
erkennt den Wert der kascmattirtcn Grabenflankirnng und wendet sie stets an.
Das Kasemattensystem hat er ebenso zur Vollendung gebracht, wie das Tenaillcn-
shstein. Er raunte Montalembert und folgte dessen Gedanken mit ebenso viel
Entschiedenheit wie Freiheit; so fing er schon an, das strenge Teuaillensystcm
zu verlassen und Kapvnniereu, detachirtc Forts, zur aktiven Verteidigung ein¬
gerichtete gedeckte Wege zu verwenden.

Mit der Wirksamkeit des gelehrten Generals von Aster beginnt das neu¬
preußische System und damit der moderne Festungsbau. In den Werken von
Aster lind Brese offenbart sich die größte Unbefangenheit und Anpassung an
das Terrain. In ihnen kommt ebenso sehr Montalembert und Carnot, wie
Dürer und Speckin zur Geltung. Ganz Europa beglaubigte durch die Annahme
des neuen Systems die Überlegenheit der militärischen Praxis Preußens, Belgien
machte eine großartige Anwendung desselben im Neubau von Antwerpen, nur
Frankreich schloß sich ans. Durch die Erfahrungen des Krieges von 1870 ging
der ucupreußische Stil in den modernsten über, den man billig den „deutschen"
nennen kann und den im wesentlichen auch Frankreich in seinen Neubauten
befolgt. Dieser Stil ist noch lange nicht abgeschlossen und bedarf erst der Probe
eines größern Krieges, um auf seine Vorzüge und Fehler erkannt zu werden.
Wir verzichten hier auf seiue Auseinandersetzung, die eine besondre Behandlung
verlangen würde. Obwohl Frankreich und Deutschland mit einander wetteifern,
sich durch Festniigen, die nach den neuen Ideen gebaut sind, zu schützen, offen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/578>, abgerufen am 17.09.2024.