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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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von Geschützmassen auf einen Punkt, wie sie bisher unerhört gewesen war.
Naturgemäß führt das Aufgeben des Bastiouärsystems zur Idee der detachirteu
Forts, und in der That sehen wir, daß bereits Montalembert, nachdem er
zunächst an gründlich verschanzte Verteidigungskasernen zur Verstärkung der
äußern Positionen denkt, sorgfältig durchdachte Pläne zu detachirteu Forts
entwirft.

Aber die Geltung Vciubans, des "großen Marschalls," war in Frankreich
so unbedingt und schloß so jeden Wettbewerb aus, daß kein entgegengesetztes
System gegen das seine auskommen konnte. Außerdem hatte Vaubau während
seiner laugen und arbeitsvollen Laufbahn das französische Festuugsnetz so gut
wie ganz ausgebaut, sodaß die Arbeiten seiner Nachfolger schon wegen Mangel
an Raum zu praktischer Bethätigung auf dem Papiere bleiben mußten. Es war
den deutschen, insbesondre den preußischen Ingenieuren vorbehalten, die Gedanken
Landsbergs und Montälemberts sortzuentwickeln und auszuführen, deren Wert
bei jedem Fortschritt des Geschützweseus stieg und schließlich bei der allgemeinen
Einführung der gezogenen Kanonen zur bedingungslosen Anerkennung gelangte.

Montalembert hatte den Dienst aufs gründlichste im österreichischen Erb-
fvlgekriege und im siebenjährigen Kriege kennen gelernt. Er wurde überall von
der Beobachtung betroffen gemacht, wie geringe Widerstandskraft die Festungen
besaßen, und da er nicht nur Soldat, sondern auch ein Mann von bedeutender
wissenschaftlicher Fähigkeit war, untersuchte er den Gegenstand methodisch und
gelangte so zu seinem System der " perpendikulären" Befestigung, so genannt,
weil er die tenaillirte Linie in lauter rechte Winkel brach, sodaß die Schenkel
alle zu einander Perpendikel waren. Obgleich seine Theorien gar keinen oder
nur geringen Einfluß auf den Festungsbau seiner Zeit ausübten, wurden sie doch
lebhaft, fast leidenschaftlich erörtert. Er wurde von oben herab angehalten, die
Veröffentlichung seiner Arbeiten zu vermeiden, und in der That erschienen sie
erst zu Beginn der Regierungszeit Ludwigs XVI. im Druck.

I/^re, äLtsusik suxvriöur ^ l'oösuM ist der stolze Titel des Montalem-
bertschen Buches, und es muß gesagt werden, daß nach einer Richtung wenigstens
der Titel sich rechtfertigte. Denn die leitenden Gedanken der "polygonalen,"
d. i. der heutigen Befestigung, welche wieder zur langen Linie für die beherr¬
schende Geschützaufstellung zurückgekehrt ist und die Seitenbestreichung anstatt
durch die dem Jener ausgesetzten aufragenden Türme und Bastionen dnrch tief
liegende Kaponnieren (Schießgruben) bewirkt, die leitenden Gesichtspunkte dieses
Systems, welches zwar nicht dem Montalembertschen Tenaillensystem gleich ist,
aber doch aus ihm hervorging, die grundlegenden Ideen ferner für eine kräf¬
tigere Entwicklung der Verteidigungsartillerie, für die Flankenbestreichung durch
die mächtigen kasemattirten Baute" der modernen Fronten, ebenso für den wohl¬
verstandenen Gebrauch in sich vollständiger dewchirter Werke, sie alle müssen
auf die geistvollen Studien Montälemberts zurückgeführt werden, welche das


von Geschützmassen auf einen Punkt, wie sie bisher unerhört gewesen war.
Naturgemäß führt das Aufgeben des Bastiouärsystems zur Idee der detachirteu
Forts, und in der That sehen wir, daß bereits Montalembert, nachdem er
zunächst an gründlich verschanzte Verteidigungskasernen zur Verstärkung der
äußern Positionen denkt, sorgfältig durchdachte Pläne zu detachirteu Forts
entwirft.

Aber die Geltung Vciubans, des „großen Marschalls," war in Frankreich
so unbedingt und schloß so jeden Wettbewerb aus, daß kein entgegengesetztes
System gegen das seine auskommen konnte. Außerdem hatte Vaubau während
seiner laugen und arbeitsvollen Laufbahn das französische Festuugsnetz so gut
wie ganz ausgebaut, sodaß die Arbeiten seiner Nachfolger schon wegen Mangel
an Raum zu praktischer Bethätigung auf dem Papiere bleiben mußten. Es war
den deutschen, insbesondre den preußischen Ingenieuren vorbehalten, die Gedanken
Landsbergs und Montälemberts sortzuentwickeln und auszuführen, deren Wert
bei jedem Fortschritt des Geschützweseus stieg und schließlich bei der allgemeinen
Einführung der gezogenen Kanonen zur bedingungslosen Anerkennung gelangte.

Montalembert hatte den Dienst aufs gründlichste im österreichischen Erb-
fvlgekriege und im siebenjährigen Kriege kennen gelernt. Er wurde überall von
der Beobachtung betroffen gemacht, wie geringe Widerstandskraft die Festungen
besaßen, und da er nicht nur Soldat, sondern auch ein Mann von bedeutender
wissenschaftlicher Fähigkeit war, untersuchte er den Gegenstand methodisch und
gelangte so zu seinem System der „ perpendikulären" Befestigung, so genannt,
weil er die tenaillirte Linie in lauter rechte Winkel brach, sodaß die Schenkel
alle zu einander Perpendikel waren. Obgleich seine Theorien gar keinen oder
nur geringen Einfluß auf den Festungsbau seiner Zeit ausübten, wurden sie doch
lebhaft, fast leidenschaftlich erörtert. Er wurde von oben herab angehalten, die
Veröffentlichung seiner Arbeiten zu vermeiden, und in der That erschienen sie
erst zu Beginn der Regierungszeit Ludwigs XVI. im Druck.

I/^re, äLtsusik suxvriöur ^ l'oösuM ist der stolze Titel des Montalem-
bertschen Buches, und es muß gesagt werden, daß nach einer Richtung wenigstens
der Titel sich rechtfertigte. Denn die leitenden Gedanken der „polygonalen,"
d. i. der heutigen Befestigung, welche wieder zur langen Linie für die beherr¬
schende Geschützaufstellung zurückgekehrt ist und die Seitenbestreichung anstatt
durch die dem Jener ausgesetzten aufragenden Türme und Bastionen dnrch tief
liegende Kaponnieren (Schießgruben) bewirkt, die leitenden Gesichtspunkte dieses
Systems, welches zwar nicht dem Montalembertschen Tenaillensystem gleich ist,
aber doch aus ihm hervorging, die grundlegenden Ideen ferner für eine kräf¬
tigere Entwicklung der Verteidigungsartillerie, für die Flankenbestreichung durch
die mächtigen kasemattirten Baute» der modernen Fronten, ebenso für den wohl¬
verstandenen Gebrauch in sich vollständiger dewchirter Werke, sie alle müssen
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[0576] von Geschützmassen auf einen Punkt, wie sie bisher unerhört gewesen war. Naturgemäß führt das Aufgeben des Bastiouärsystems zur Idee der detachirteu Forts, und in der That sehen wir, daß bereits Montalembert, nachdem er zunächst an gründlich verschanzte Verteidigungskasernen zur Verstärkung der äußern Positionen denkt, sorgfältig durchdachte Pläne zu detachirteu Forts entwirft. Aber die Geltung Vciubans, des „großen Marschalls," war in Frankreich so unbedingt und schloß so jeden Wettbewerb aus, daß kein entgegengesetztes System gegen das seine auskommen konnte. Außerdem hatte Vaubau während seiner laugen und arbeitsvollen Laufbahn das französische Festuugsnetz so gut wie ganz ausgebaut, sodaß die Arbeiten seiner Nachfolger schon wegen Mangel an Raum zu praktischer Bethätigung auf dem Papiere bleiben mußten. Es war den deutschen, insbesondre den preußischen Ingenieuren vorbehalten, die Gedanken Landsbergs und Montälemberts sortzuentwickeln und auszuführen, deren Wert bei jedem Fortschritt des Geschützweseus stieg und schließlich bei der allgemeinen Einführung der gezogenen Kanonen zur bedingungslosen Anerkennung gelangte. Montalembert hatte den Dienst aufs gründlichste im österreichischen Erb- fvlgekriege und im siebenjährigen Kriege kennen gelernt. Er wurde überall von der Beobachtung betroffen gemacht, wie geringe Widerstandskraft die Festungen besaßen, und da er nicht nur Soldat, sondern auch ein Mann von bedeutender wissenschaftlicher Fähigkeit war, untersuchte er den Gegenstand methodisch und gelangte so zu seinem System der „ perpendikulären" Befestigung, so genannt, weil er die tenaillirte Linie in lauter rechte Winkel brach, sodaß die Schenkel alle zu einander Perpendikel waren. Obgleich seine Theorien gar keinen oder nur geringen Einfluß auf den Festungsbau seiner Zeit ausübten, wurden sie doch lebhaft, fast leidenschaftlich erörtert. Er wurde von oben herab angehalten, die Veröffentlichung seiner Arbeiten zu vermeiden, und in der That erschienen sie erst zu Beginn der Regierungszeit Ludwigs XVI. im Druck. I/^re, äLtsusik suxvriöur ^ l'oösuM ist der stolze Titel des Montalem- bertschen Buches, und es muß gesagt werden, daß nach einer Richtung wenigstens der Titel sich rechtfertigte. Denn die leitenden Gedanken der „polygonalen," d. i. der heutigen Befestigung, welche wieder zur langen Linie für die beherr¬ schende Geschützaufstellung zurückgekehrt ist und die Seitenbestreichung anstatt durch die dem Jener ausgesetzten aufragenden Türme und Bastionen dnrch tief liegende Kaponnieren (Schießgruben) bewirkt, die leitenden Gesichtspunkte dieses Systems, welches zwar nicht dem Montalembertschen Tenaillensystem gleich ist, aber doch aus ihm hervorging, die grundlegenden Ideen ferner für eine kräf¬ tigere Entwicklung der Verteidigungsartillerie, für die Flankenbestreichung durch die mächtigen kasemattirten Baute» der modernen Fronten, ebenso für den wohl¬ verstandenen Gebrauch in sich vollständiger dewchirter Werke, sie alle müssen auf die geistvollen Studien Montälemberts zurückgeführt werden, welche das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/576>, abgerufen am 17.09.2024.