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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

es, daß dieser Erweis nicht zu erbringen sei. Obwohl sein "Unterricht zur Be¬
festigung von Stadt, Schloß und Flecken" schon 1527 erschien, muß doch an¬
genommen werden, daß er auf seinen Reisen nach Italien aus diesem Lande
die Elemente seines Festnngsbciustilcs geholt habe. Aber er hat sie uicht sklavisch
nachgeahmt, sondern sie in selbständigem Geiste entwickelt und auf eine Stufe
geführt, die alles Gleichzeitige überragte. Seine Abänderungen des italienischen
Stiles enthielten schon die Grundlinien, aus denen sich in direkter Folge die
deutsche Befestigungskunst des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte, welche sich
zur allgemeinen Geltung in Europa mit Ausnahme Frankreichs durchrang. Er
erteilte bereits dein Hauptwall den vieleckigen Grundriß, führte schon die bomben¬
sichern Geschütz- und Wvhnkasematten ein und hatte sogar den Grundsatz der
Gräben- und Flankenbestreichnng durch Galerien und Kaponnieren in großem
Umfange verwirklicht, während die andern Völker noch lange an den dem feind¬
lichen Feuer so ausgesetzten Bastionen mit deu überhöhenden Kavalieren fest¬
hielten. Auch die Entwicklung der spätern niederländischen Befestigungskunst
zeichnete Dürer bereits vor durch die Einschaltung einer gemauerten Enveloppe
zwischen den Gräben seines tasemattirten Turinforts. In Daniel Speckle und
Georg Nimpler hatte Dürer würdige Nachfolger.

Die langen Kämpfe in den Niederlanden nötigten die Spanier zur Er¬
richtung starker Festungen, zu deren Erbauung sie sich natürlich des Genies
der italienischen Ingenieure bedienten. Aber dieses Beispiel ging an den Nieder¬
ländern nicht verloren. In ihrem späteren Unabhängigkeitskriege zogen sie
Nutzen aus deu Werken von Paeiottv und Alghisi und entwickelten sie zu dein
eigentümlichen uiederlüudischeu System der niederen Erdarbeiten, zu denen sie
die glatte Beschaffenheit und der Wasserreichtum ihres Terrains nötigte, und
die für die moderne Befestigungskunst maßgebend wurden. Den Arbeiten von
Martini von Pisa, der zunächst die Idee eines Glacis gehabt zu haben scheint,
von Castriotto und seinem Mitarbeiter Maggi, welche Calais befestigten, von
Zanchi da Pcsaro, dessen Buch die italienische Manier nach England verpflanzte,
von Galasso Alghisi, von Paeiotto d'Urbino, Aldas Ingenieur, dessen Haupt¬
werk, die Zitadelle von Antwerpen, im Jahre 1567 errichtet, erst bei der gro߬
artigen Neubefestigung dnrch Brialmvnt 1859 niedergerissen wurde, diesen
Arbeiten setzten die Niederländer ihre Werke entgegen, die, der Natur des
Landes entsprechend, hinter niedrigeren Erdwällen und breiten Wassergräben
Schutz verliehen. Möglich, daß der Graf Heinrich von Nassau zuerst den kühnen
Gedanken hatte, aus der Not eine Tugend zu macheu und statt der hohen
Mauerwerke, für welche der feste Grund fehlte, die Wasserläufe und Dämme
zur Verteidigung zu benutzen. Seine Vefestignng von Breda 1533 bietet das
älteste bekannte Beispiel dieser Art von Befestigung. Aber erst Coehvorn voll¬
endete im nächsten Jahrhundert die niederländische Bauart, die deutschen Ideen
von Dürer, Speckle und Nimpler verwertend.


Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

es, daß dieser Erweis nicht zu erbringen sei. Obwohl sein „Unterricht zur Be¬
festigung von Stadt, Schloß und Flecken" schon 1527 erschien, muß doch an¬
genommen werden, daß er auf seinen Reisen nach Italien aus diesem Lande
die Elemente seines Festnngsbciustilcs geholt habe. Aber er hat sie uicht sklavisch
nachgeahmt, sondern sie in selbständigem Geiste entwickelt und auf eine Stufe
geführt, die alles Gleichzeitige überragte. Seine Abänderungen des italienischen
Stiles enthielten schon die Grundlinien, aus denen sich in direkter Folge die
deutsche Befestigungskunst des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte, welche sich
zur allgemeinen Geltung in Europa mit Ausnahme Frankreichs durchrang. Er
erteilte bereits dein Hauptwall den vieleckigen Grundriß, führte schon die bomben¬
sichern Geschütz- und Wvhnkasematten ein und hatte sogar den Grundsatz der
Gräben- und Flankenbestreichnng durch Galerien und Kaponnieren in großem
Umfange verwirklicht, während die andern Völker noch lange an den dem feind¬
lichen Feuer so ausgesetzten Bastionen mit deu überhöhenden Kavalieren fest¬
hielten. Auch die Entwicklung der spätern niederländischen Befestigungskunst
zeichnete Dürer bereits vor durch die Einschaltung einer gemauerten Enveloppe
zwischen den Gräben seines tasemattirten Turinforts. In Daniel Speckle und
Georg Nimpler hatte Dürer würdige Nachfolger.

Die langen Kämpfe in den Niederlanden nötigten die Spanier zur Er¬
richtung starker Festungen, zu deren Erbauung sie sich natürlich des Genies
der italienischen Ingenieure bedienten. Aber dieses Beispiel ging an den Nieder¬
ländern nicht verloren. In ihrem späteren Unabhängigkeitskriege zogen sie
Nutzen aus deu Werken von Paeiottv und Alghisi und entwickelten sie zu dein
eigentümlichen uiederlüudischeu System der niederen Erdarbeiten, zu denen sie
die glatte Beschaffenheit und der Wasserreichtum ihres Terrains nötigte, und
die für die moderne Befestigungskunst maßgebend wurden. Den Arbeiten von
Martini von Pisa, der zunächst die Idee eines Glacis gehabt zu haben scheint,
von Castriotto und seinem Mitarbeiter Maggi, welche Calais befestigten, von
Zanchi da Pcsaro, dessen Buch die italienische Manier nach England verpflanzte,
von Galasso Alghisi, von Paeiotto d'Urbino, Aldas Ingenieur, dessen Haupt¬
werk, die Zitadelle von Antwerpen, im Jahre 1567 errichtet, erst bei der gro߬
artigen Neubefestigung dnrch Brialmvnt 1859 niedergerissen wurde, diesen
Arbeiten setzten die Niederländer ihre Werke entgegen, die, der Natur des
Landes entsprechend, hinter niedrigeren Erdwällen und breiten Wassergräben
Schutz verliehen. Möglich, daß der Graf Heinrich von Nassau zuerst den kühnen
Gedanken hatte, aus der Not eine Tugend zu macheu und statt der hohen
Mauerwerke, für welche der feste Grund fehlte, die Wasserläufe und Dämme
zur Verteidigung zu benutzen. Seine Vefestignng von Breda 1533 bietet das
älteste bekannte Beispiel dieser Art von Befestigung. Aber erst Coehvorn voll¬
endete im nächsten Jahrhundert die niederländische Bauart, die deutschen Ideen
von Dürer, Speckle und Nimpler verwertend.


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[0573] Zur Geschichte der beständigen Befestigung. es, daß dieser Erweis nicht zu erbringen sei. Obwohl sein „Unterricht zur Be¬ festigung von Stadt, Schloß und Flecken" schon 1527 erschien, muß doch an¬ genommen werden, daß er auf seinen Reisen nach Italien aus diesem Lande die Elemente seines Festnngsbciustilcs geholt habe. Aber er hat sie uicht sklavisch nachgeahmt, sondern sie in selbständigem Geiste entwickelt und auf eine Stufe geführt, die alles Gleichzeitige überragte. Seine Abänderungen des italienischen Stiles enthielten schon die Grundlinien, aus denen sich in direkter Folge die deutsche Befestigungskunst des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte, welche sich zur allgemeinen Geltung in Europa mit Ausnahme Frankreichs durchrang. Er erteilte bereits dein Hauptwall den vieleckigen Grundriß, führte schon die bomben¬ sichern Geschütz- und Wvhnkasematten ein und hatte sogar den Grundsatz der Gräben- und Flankenbestreichnng durch Galerien und Kaponnieren in großem Umfange verwirklicht, während die andern Völker noch lange an den dem feind¬ lichen Feuer so ausgesetzten Bastionen mit deu überhöhenden Kavalieren fest¬ hielten. Auch die Entwicklung der spätern niederländischen Befestigungskunst zeichnete Dürer bereits vor durch die Einschaltung einer gemauerten Enveloppe zwischen den Gräben seines tasemattirten Turinforts. In Daniel Speckle und Georg Nimpler hatte Dürer würdige Nachfolger. Die langen Kämpfe in den Niederlanden nötigten die Spanier zur Er¬ richtung starker Festungen, zu deren Erbauung sie sich natürlich des Genies der italienischen Ingenieure bedienten. Aber dieses Beispiel ging an den Nieder¬ ländern nicht verloren. In ihrem späteren Unabhängigkeitskriege zogen sie Nutzen aus deu Werken von Paeiottv und Alghisi und entwickelten sie zu dein eigentümlichen uiederlüudischeu System der niederen Erdarbeiten, zu denen sie die glatte Beschaffenheit und der Wasserreichtum ihres Terrains nötigte, und die für die moderne Befestigungskunst maßgebend wurden. Den Arbeiten von Martini von Pisa, der zunächst die Idee eines Glacis gehabt zu haben scheint, von Castriotto und seinem Mitarbeiter Maggi, welche Calais befestigten, von Zanchi da Pcsaro, dessen Buch die italienische Manier nach England verpflanzte, von Galasso Alghisi, von Paeiotto d'Urbino, Aldas Ingenieur, dessen Haupt¬ werk, die Zitadelle von Antwerpen, im Jahre 1567 errichtet, erst bei der gro߬ artigen Neubefestigung dnrch Brialmvnt 1859 niedergerissen wurde, diesen Arbeiten setzten die Niederländer ihre Werke entgegen, die, der Natur des Landes entsprechend, hinter niedrigeren Erdwällen und breiten Wassergräben Schutz verliehen. Möglich, daß der Graf Heinrich von Nassau zuerst den kühnen Gedanken hatte, aus der Not eine Tugend zu macheu und statt der hohen Mauerwerke, für welche der feste Grund fehlte, die Wasserläufe und Dämme zur Verteidigung zu benutzen. Seine Vefestignng von Breda 1533 bietet das älteste bekannte Beispiel dieser Art von Befestigung. Aber erst Coehvorn voll¬ endete im nächsten Jahrhundert die niederländische Bauart, die deutschen Ideen von Dürer, Speckle und Nimpler verwertend.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/573>, abgerufen am 17.09.2024.