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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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ob die Vertcidignngskunst zurückgegangen sei. Die neuen Werke sind weder so
imposant, noch so künstlich angelegt wie die alten. Aber was helfen alle stolze"
Turmbauten und Bastionen, alle gewundnen Thore und unzähligen Schanzen,
wenn die gezogenen Geschütze sie vom Erdboden hmwegrasiren? Die leitenden
Grundsätze der mittelalterlichen Besestigmigsknnst waren passive Hindernisse
und hohes Kommando, Schritt vor Schritt-Kampf und vertikale Verteidigung.
Das mußte ein Ende nehmen, als die Ausbildung der eisernen Geschosse die
königliche Kanone aus einem bloßen Fenerwerkskörper, welcher dem Schützen
gefährlicher war als dem Feinde, in eine Maschine verwandelte, vor der kein
luftiges Bauwerk lange Stand halten konnte. Die nachhaltigsten Wirkungen
des neuen und umstürzenden Elements der Kriegführung wurden in Italien
während der Kämpfe des fünfzehnten Jahrhunderts wahrgenommen. Vor ihm
verschwanden die Condottieri wie weggeblasen. Und in Italien traten auch die
ersten Bestrebungen auf, den verheerenden Wirkungen der neuen Kanone zu be¬
gegnen, sowie denjenigen der Pulvermincn, welche Galsalvas von Cordova In¬
genieur, Peter von Navarra, eingeführt hatte.

Die Grundzüge der neuen Befestigungskunst wurden vou jenen großen
Geistern der italienischen Renaissance gezogen -- Leonardo da Vinci, Michel
Angelo, Bramante --, welche das Schwert mit derselben Lust und Geschicklich-
keit führten, wie den Pinsel, den Meißel und die Feder. Manche Einzelheiten
der Werke von Verona und Civita Vecchia, die San Michele und San Gullv
1527 erbauten, werden noch heute als wunderbar geschickt und untadelhaft in
ihrer Konstruktion anerkannt. Unter den Händen des großen Mathematikers
Tartaglia und seiner Nachfolger Catanev und Marchi entwickelte sich der
moderne Festungsbau, ein echt italienisches Erzeugnis, mit reißender Schnellig¬
keit bis zur ziemlich abgeschlossenen Vollendung des Bastivnärshstems und ver¬
breitete sich von seinem Heimatlande aus bald nach Spanien, Frankreich und
Deutschland. Die ersten französischen Ingenieure zu Anfang des siebzehnten
Jahrhunderts, Errard de Bar-le-Due, Perret, Pagen, wandelten noch ganz in
den Spuren ihrer italienischen Lehrer, deren musterhafte Konstruktionen erst
Vauban erweiterte, indem er sie mit den Fortschritten der deutschen Ingenieure
und zahlreichen eignen Gedanken bereicherte.

Eine selbständige Entwicklung nahm im Anfang neben Italien nur Deutsch¬
land. Albrecht Dürer war es, der seinem üppigen Lorberkranze durch die
Schöpfung des modernen deutschen Festungsbcines ein neues unverwelkliches
Blatt hinzufügte. Betrachtet man Dürers Bauten von Nürnberg, Wien,
Padua n. a., und berücksichtigt den damaligen Stand der Jngenieurwisfenschaft,
so wird man vou Staunen und Bewunderung vor dem hohen Geiste dieses
Mannes erfüllt und ist leicht geneigt, in ihm den genialsten Kriegsbaumeister
aller Zeiten zu erblicken. Man wäre unzweifelhaft dazu genötigt, wenn sich
erweisen ließe, daß seine Gedanken durchweg original gewesen seien. Doch scheint


ob die Vertcidignngskunst zurückgegangen sei. Die neuen Werke sind weder so
imposant, noch so künstlich angelegt wie die alten. Aber was helfen alle stolze»
Turmbauten und Bastionen, alle gewundnen Thore und unzähligen Schanzen,
wenn die gezogenen Geschütze sie vom Erdboden hmwegrasiren? Die leitenden
Grundsätze der mittelalterlichen Besestigmigsknnst waren passive Hindernisse
und hohes Kommando, Schritt vor Schritt-Kampf und vertikale Verteidigung.
Das mußte ein Ende nehmen, als die Ausbildung der eisernen Geschosse die
königliche Kanone aus einem bloßen Fenerwerkskörper, welcher dem Schützen
gefährlicher war als dem Feinde, in eine Maschine verwandelte, vor der kein
luftiges Bauwerk lange Stand halten konnte. Die nachhaltigsten Wirkungen
des neuen und umstürzenden Elements der Kriegführung wurden in Italien
während der Kämpfe des fünfzehnten Jahrhunderts wahrgenommen. Vor ihm
verschwanden die Condottieri wie weggeblasen. Und in Italien traten auch die
ersten Bestrebungen auf, den verheerenden Wirkungen der neuen Kanone zu be¬
gegnen, sowie denjenigen der Pulvermincn, welche Galsalvas von Cordova In¬
genieur, Peter von Navarra, eingeführt hatte.

Die Grundzüge der neuen Befestigungskunst wurden vou jenen großen
Geistern der italienischen Renaissance gezogen — Leonardo da Vinci, Michel
Angelo, Bramante —, welche das Schwert mit derselben Lust und Geschicklich-
keit führten, wie den Pinsel, den Meißel und die Feder. Manche Einzelheiten
der Werke von Verona und Civita Vecchia, die San Michele und San Gullv
1527 erbauten, werden noch heute als wunderbar geschickt und untadelhaft in
ihrer Konstruktion anerkannt. Unter den Händen des großen Mathematikers
Tartaglia und seiner Nachfolger Catanev und Marchi entwickelte sich der
moderne Festungsbau, ein echt italienisches Erzeugnis, mit reißender Schnellig¬
keit bis zur ziemlich abgeschlossenen Vollendung des Bastivnärshstems und ver¬
breitete sich von seinem Heimatlande aus bald nach Spanien, Frankreich und
Deutschland. Die ersten französischen Ingenieure zu Anfang des siebzehnten
Jahrhunderts, Errard de Bar-le-Due, Perret, Pagen, wandelten noch ganz in
den Spuren ihrer italienischen Lehrer, deren musterhafte Konstruktionen erst
Vauban erweiterte, indem er sie mit den Fortschritten der deutschen Ingenieure
und zahlreichen eignen Gedanken bereicherte.

Eine selbständige Entwicklung nahm im Anfang neben Italien nur Deutsch¬
land. Albrecht Dürer war es, der seinem üppigen Lorberkranze durch die
Schöpfung des modernen deutschen Festungsbcines ein neues unverwelkliches
Blatt hinzufügte. Betrachtet man Dürers Bauten von Nürnberg, Wien,
Padua n. a., und berücksichtigt den damaligen Stand der Jngenieurwisfenschaft,
so wird man vou Staunen und Bewunderung vor dem hohen Geiste dieses
Mannes erfüllt und ist leicht geneigt, in ihm den genialsten Kriegsbaumeister
aller Zeiten zu erblicken. Man wäre unzweifelhaft dazu genötigt, wenn sich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/572>, abgerufen am 17.09.2024.