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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

machenden Kraft ihrer Schablone aufs innigste überzeugt, obschon ihre fürchter¬
lichen Verluste vor Sebastopvl sie Hütten belehren sollen, daß es in der Kriegs¬
kunst kein ewig dauerndes Allheilmittel giebt. Jetzt ist an Stelle der höchsten
Sicherheit höchster Zweifel getreten. Die Technik hat Mieder einmal bewiesen,
daß sie in der Entwicklung der Taktik das umstürzende, vorwärts drängende
Element ist.

Die Geschichte der Befestigungskunst in ihren aufeinanderfolgenden Stufen
und die Streitfragen, zu denen sie zu allen Zeiten unter Technikern und Heer¬
führern Veranlassung gegeben hat, ist für die Ausbildung von richtigen Gesichts¬
punkten vom höchsten Wert. Und sie fördert nicht nur die Erkenntnis der
modernen Erfordernisse, sie hat nicht nur für den Ingenieur und den Soldaten
ein hohes Interesse, sondern auch für alle, welche sich mit der geschichtlichen
Entwicklung der technischen Erfindungen beschäftigen. Die Art und Weise, in
welcher zu einer gegebenen Zeit die befestigten Stellungen angelegt wurden,
spiegeln ziemlich genau deu Zustand auf den meisten andern Gebieten der
Technik wieder. So ist denn die "beständige Befestigungslehre," obwohl sie
in ihrer neuesten Entwicklung nur von militärischen Fachleuten beurteilt werden
kann, in ihren früheren Stufe" bis zu einem gewissen Grade Gegenstand des
archäologischen Studiums geworden, in derselben Weise etwa, wie die Waffen
und Rüstungen der Vorzeit, welche aufgehört haben, in persönlicher Beziehung
zu dem lebenden Soldaten zu stehen.

Unter den deutschen Arbeiten galt Zastrows "Geschichte der beständige"
Befestigung" als mustergiltig. Aber dieses Buch findet leider keinen Bearbeiter,
der es von der Zeit von 1854, wo die dritte Auflage erschien, bis auf die
Gegenwart fortführte. Und in der That wäre dazu eine vollständige Um¬
arbeitung notwendig. Ähnliches gilt sür Frankreich von den Arbeiten Wollet
le Duch und Angohcits. Die neuern Werke Popp, Moluk, Brunner,
Sauer, H. Müller, selbst die ausgezeichnete" Arbeiten von Bonin können
ein großes, zusammenfassendes Werk ebensowenig ersetzen, wie die äußerst
fleißige" und gewissenhaften IZnMvgr Lwäivs des Major Lloyd. Und so lüge
hier eine entschiedne Lücke in der militärischen Literatur vor, welche auszufüllen
wohl am nächsten Aufgabe eines deutschen Offiziers wäre, denn es war der
deutsche Offizier, welcher durch die Anbahnung der neuern Belagcrungstaktik
die Herrschaft der französischen Ideen, d. h. diejenigen Vaubans, ebenso gründ¬
lich stürzte, wie er bereits früher durch das "neupreußische" System von Aster
und Brese, Winiary und Prittwitz das französische Bastivnürsystem des Festungs¬
baues gestürzt hatte.

Der unkundige Beschauer, welcher ein altes Schloß mit einer modernen
Festung vergleicht, wird nicht nur von den tiefgreifenden Unterschieden zwischen
beiden, sondern vielleicht auch von dem eigentümlichen Verlauf der Entwicklung,
den der Festungsbau genommen hat, betroffen werden. Es wird ihm scheinen, als


Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

machenden Kraft ihrer Schablone aufs innigste überzeugt, obschon ihre fürchter¬
lichen Verluste vor Sebastopvl sie Hütten belehren sollen, daß es in der Kriegs¬
kunst kein ewig dauerndes Allheilmittel giebt. Jetzt ist an Stelle der höchsten
Sicherheit höchster Zweifel getreten. Die Technik hat Mieder einmal bewiesen,
daß sie in der Entwicklung der Taktik das umstürzende, vorwärts drängende
Element ist.

Die Geschichte der Befestigungskunst in ihren aufeinanderfolgenden Stufen
und die Streitfragen, zu denen sie zu allen Zeiten unter Technikern und Heer¬
führern Veranlassung gegeben hat, ist für die Ausbildung von richtigen Gesichts¬
punkten vom höchsten Wert. Und sie fördert nicht nur die Erkenntnis der
modernen Erfordernisse, sie hat nicht nur für den Ingenieur und den Soldaten
ein hohes Interesse, sondern auch für alle, welche sich mit der geschichtlichen
Entwicklung der technischen Erfindungen beschäftigen. Die Art und Weise, in
welcher zu einer gegebenen Zeit die befestigten Stellungen angelegt wurden,
spiegeln ziemlich genau deu Zustand auf den meisten andern Gebieten der
Technik wieder. So ist denn die „beständige Befestigungslehre," obwohl sie
in ihrer neuesten Entwicklung nur von militärischen Fachleuten beurteilt werden
kann, in ihren früheren Stufe» bis zu einem gewissen Grade Gegenstand des
archäologischen Studiums geworden, in derselben Weise etwa, wie die Waffen
und Rüstungen der Vorzeit, welche aufgehört haben, in persönlicher Beziehung
zu dem lebenden Soldaten zu stehen.

Unter den deutschen Arbeiten galt Zastrows „Geschichte der beständige»
Befestigung" als mustergiltig. Aber dieses Buch findet leider keinen Bearbeiter,
der es von der Zeit von 1854, wo die dritte Auflage erschien, bis auf die
Gegenwart fortführte. Und in der That wäre dazu eine vollständige Um¬
arbeitung notwendig. Ähnliches gilt sür Frankreich von den Arbeiten Wollet
le Duch und Angohcits. Die neuern Werke Popp, Moluk, Brunner,
Sauer, H. Müller, selbst die ausgezeichnete» Arbeiten von Bonin können
ein großes, zusammenfassendes Werk ebensowenig ersetzen, wie die äußerst
fleißige» und gewissenhaften IZnMvgr Lwäivs des Major Lloyd. Und so lüge
hier eine entschiedne Lücke in der militärischen Literatur vor, welche auszufüllen
wohl am nächsten Aufgabe eines deutschen Offiziers wäre, denn es war der
deutsche Offizier, welcher durch die Anbahnung der neuern Belagcrungstaktik
die Herrschaft der französischen Ideen, d. h. diejenigen Vaubans, ebenso gründ¬
lich stürzte, wie er bereits früher durch das „neupreußische" System von Aster
und Brese, Winiary und Prittwitz das französische Bastivnürsystem des Festungs¬
baues gestürzt hatte.

Der unkundige Beschauer, welcher ein altes Schloß mit einer modernen
Festung vergleicht, wird nicht nur von den tiefgreifenden Unterschieden zwischen
beiden, sondern vielleicht auch von dem eigentümlichen Verlauf der Entwicklung,
den der Festungsbau genommen hat, betroffen werden. Es wird ihm scheinen, als


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[0571] Zur Geschichte der beständigen Befestigung. machenden Kraft ihrer Schablone aufs innigste überzeugt, obschon ihre fürchter¬ lichen Verluste vor Sebastopvl sie Hütten belehren sollen, daß es in der Kriegs¬ kunst kein ewig dauerndes Allheilmittel giebt. Jetzt ist an Stelle der höchsten Sicherheit höchster Zweifel getreten. Die Technik hat Mieder einmal bewiesen, daß sie in der Entwicklung der Taktik das umstürzende, vorwärts drängende Element ist. Die Geschichte der Befestigungskunst in ihren aufeinanderfolgenden Stufen und die Streitfragen, zu denen sie zu allen Zeiten unter Technikern und Heer¬ führern Veranlassung gegeben hat, ist für die Ausbildung von richtigen Gesichts¬ punkten vom höchsten Wert. Und sie fördert nicht nur die Erkenntnis der modernen Erfordernisse, sie hat nicht nur für den Ingenieur und den Soldaten ein hohes Interesse, sondern auch für alle, welche sich mit der geschichtlichen Entwicklung der technischen Erfindungen beschäftigen. Die Art und Weise, in welcher zu einer gegebenen Zeit die befestigten Stellungen angelegt wurden, spiegeln ziemlich genau deu Zustand auf den meisten andern Gebieten der Technik wieder. So ist denn die „beständige Befestigungslehre," obwohl sie in ihrer neuesten Entwicklung nur von militärischen Fachleuten beurteilt werden kann, in ihren früheren Stufe» bis zu einem gewissen Grade Gegenstand des archäologischen Studiums geworden, in derselben Weise etwa, wie die Waffen und Rüstungen der Vorzeit, welche aufgehört haben, in persönlicher Beziehung zu dem lebenden Soldaten zu stehen. Unter den deutschen Arbeiten galt Zastrows „Geschichte der beständige» Befestigung" als mustergiltig. Aber dieses Buch findet leider keinen Bearbeiter, der es von der Zeit von 1854, wo die dritte Auflage erschien, bis auf die Gegenwart fortführte. Und in der That wäre dazu eine vollständige Um¬ arbeitung notwendig. Ähnliches gilt sür Frankreich von den Arbeiten Wollet le Duch und Angohcits. Die neuern Werke Popp, Moluk, Brunner, Sauer, H. Müller, selbst die ausgezeichnete» Arbeiten von Bonin können ein großes, zusammenfassendes Werk ebensowenig ersetzen, wie die äußerst fleißige» und gewissenhaften IZnMvgr Lwäivs des Major Lloyd. Und so lüge hier eine entschiedne Lücke in der militärischen Literatur vor, welche auszufüllen wohl am nächsten Aufgabe eines deutschen Offiziers wäre, denn es war der deutsche Offizier, welcher durch die Anbahnung der neuern Belagcrungstaktik die Herrschaft der französischen Ideen, d. h. diejenigen Vaubans, ebenso gründ¬ lich stürzte, wie er bereits früher durch das „neupreußische" System von Aster und Brese, Winiary und Prittwitz das französische Bastivnürsystem des Festungs¬ baues gestürzt hatte. Der unkundige Beschauer, welcher ein altes Schloß mit einer modernen Festung vergleicht, wird nicht nur von den tiefgreifenden Unterschieden zwischen beiden, sondern vielleicht auch von dem eigentümlichen Verlauf der Entwicklung, den der Festungsbau genommen hat, betroffen werden. Es wird ihm scheinen, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/571>, abgerufen am 17.09.2024.