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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

erste Belehrung wird aber vermutlich nicht lange mehr auf sich warten lassen.
Wir sehen bereits in Zentralasien und nicht minder in Ägypten die Wolken
sich ballen, welche dort schon seit geraumer Zeit eine nach der andern aufstiegen
und sich nicht wieder zerstreuten und verzogen.




Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

ielleicht auf keinem Gebiete der Kriegswissenschaften hat der Ent-
scheidungskcimpf zwischen Deutschland und Frankreich gründlichere
Umwälzungen zu Wege gebracht, als auf dem der Befestigungs¬
lehre und des Festnngskrieges. In der ersten Bestürzung über
die Erkenntnis, wie sehr diese beiden Zweige militärischer Be¬
thätigung hinter der raschen Entwicklung der Feuerwaffen zurückgeblieben waren,
glaubte man, ein ganz Neues schaffen zu müssen, als wenn nie ein Vauban
und Montalembert, ein Carnot und Aster gelebt hätte. Und in der That giebt
es heute keine Waffe, die so wenig über maßgebende, an der Praxis erprobte
Grundsätze verfügte, wie die Belagerungsartillerie, und in nicht minderer Ver¬
legenheit befinden sich die Festuugsiugeuieure, denn das einzige, was sie genau
wissen, ist, daß sie nichts wissen, wenigstens in Bezug darauf, ob ihre mit einem
erstaunlichen Aufwande von Fleiß und Scharfsinn errichteten Festungswerke
einigermaßen imstande sind, einem wohl versehenen Belagerungspark zu wider¬
stehen.

Weder das neue deutsche -- und das ist das europäische -- Festungsbau¬
system, noch die neue Lehre der Belagerung hat bisher eine nennenswerte prak¬
tische Probe ablegen können. Unsicherheit herrscht in der Theorie, Streit unter
den Theoretikern. Und daS auf einem Gebiete, welches noch vor einem Menschen¬
alter als das am sichersten begründete der gesamten Lehre vom Kriege ange¬
sehen wurde.

Zweihundert Jahre galt Vaubans Wort: "Jede Festung muß eingenommen
werden," und mit seinem Worte zugleich die von ihm ausgebildete Muster¬
methode, wenngleich sein Festuugsbaustil schon längst zu Gunsten des soge¬
nannten "neupreußischen" Systems verlassen worden war. Eine Belagerung
spielte sich darnach nicht anders ab, als der mehr oder minder "elegant" ge¬
führte Beweis eines mathematischen Lehrsatzes. Die Franzosen zumal hatten
ihre Belagerungen vollkommen schablonisirt und waren von der alleinselig-


Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

erste Belehrung wird aber vermutlich nicht lange mehr auf sich warten lassen.
Wir sehen bereits in Zentralasien und nicht minder in Ägypten die Wolken
sich ballen, welche dort schon seit geraumer Zeit eine nach der andern aufstiegen
und sich nicht wieder zerstreuten und verzogen.




Zur Geschichte der beständigen Befestigung.

ielleicht auf keinem Gebiete der Kriegswissenschaften hat der Ent-
scheidungskcimpf zwischen Deutschland und Frankreich gründlichere
Umwälzungen zu Wege gebracht, als auf dem der Befestigungs¬
lehre und des Festnngskrieges. In der ersten Bestürzung über
die Erkenntnis, wie sehr diese beiden Zweige militärischer Be¬
thätigung hinter der raschen Entwicklung der Feuerwaffen zurückgeblieben waren,
glaubte man, ein ganz Neues schaffen zu müssen, als wenn nie ein Vauban
und Montalembert, ein Carnot und Aster gelebt hätte. Und in der That giebt
es heute keine Waffe, die so wenig über maßgebende, an der Praxis erprobte
Grundsätze verfügte, wie die Belagerungsartillerie, und in nicht minderer Ver¬
legenheit befinden sich die Festuugsiugeuieure, denn das einzige, was sie genau
wissen, ist, daß sie nichts wissen, wenigstens in Bezug darauf, ob ihre mit einem
erstaunlichen Aufwande von Fleiß und Scharfsinn errichteten Festungswerke
einigermaßen imstande sind, einem wohl versehenen Belagerungspark zu wider¬
stehen.

Weder das neue deutsche — und das ist das europäische — Festungsbau¬
system, noch die neue Lehre der Belagerung hat bisher eine nennenswerte prak¬
tische Probe ablegen können. Unsicherheit herrscht in der Theorie, Streit unter
den Theoretikern. Und daS auf einem Gebiete, welches noch vor einem Menschen¬
alter als das am sichersten begründete der gesamten Lehre vom Kriege ange¬
sehen wurde.

Zweihundert Jahre galt Vaubans Wort: „Jede Festung muß eingenommen
werden," und mit seinem Worte zugleich die von ihm ausgebildete Muster¬
methode, wenngleich sein Festuugsbaustil schon längst zu Gunsten des soge¬
nannten „neupreußischen" Systems verlassen worden war. Eine Belagerung
spielte sich darnach nicht anders ab, als der mehr oder minder „elegant" ge¬
führte Beweis eines mathematischen Lehrsatzes. Die Franzosen zumal hatten
ihre Belagerungen vollkommen schablonisirt und waren von der alleinselig-


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[0570] Zur Geschichte der beständigen Befestigung. erste Belehrung wird aber vermutlich nicht lange mehr auf sich warten lassen. Wir sehen bereits in Zentralasien und nicht minder in Ägypten die Wolken sich ballen, welche dort schon seit geraumer Zeit eine nach der andern aufstiegen und sich nicht wieder zerstreuten und verzogen. Zur Geschichte der beständigen Befestigung. ielleicht auf keinem Gebiete der Kriegswissenschaften hat der Ent- scheidungskcimpf zwischen Deutschland und Frankreich gründlichere Umwälzungen zu Wege gebracht, als auf dem der Befestigungs¬ lehre und des Festnngskrieges. In der ersten Bestürzung über die Erkenntnis, wie sehr diese beiden Zweige militärischer Be¬ thätigung hinter der raschen Entwicklung der Feuerwaffen zurückgeblieben waren, glaubte man, ein ganz Neues schaffen zu müssen, als wenn nie ein Vauban und Montalembert, ein Carnot und Aster gelebt hätte. Und in der That giebt es heute keine Waffe, die so wenig über maßgebende, an der Praxis erprobte Grundsätze verfügte, wie die Belagerungsartillerie, und in nicht minderer Ver¬ legenheit befinden sich die Festuugsiugeuieure, denn das einzige, was sie genau wissen, ist, daß sie nichts wissen, wenigstens in Bezug darauf, ob ihre mit einem erstaunlichen Aufwande von Fleiß und Scharfsinn errichteten Festungswerke einigermaßen imstande sind, einem wohl versehenen Belagerungspark zu wider¬ stehen. Weder das neue deutsche — und das ist das europäische — Festungsbau¬ system, noch die neue Lehre der Belagerung hat bisher eine nennenswerte prak¬ tische Probe ablegen können. Unsicherheit herrscht in der Theorie, Streit unter den Theoretikern. Und daS auf einem Gebiete, welches noch vor einem Menschen¬ alter als das am sichersten begründete der gesamten Lehre vom Kriege ange¬ sehen wurde. Zweihundert Jahre galt Vaubans Wort: „Jede Festung muß eingenommen werden," und mit seinem Worte zugleich die von ihm ausgebildete Muster¬ methode, wenngleich sein Festuugsbaustil schon längst zu Gunsten des soge¬ nannten „neupreußischen" Systems verlassen worden war. Eine Belagerung spielte sich darnach nicht anders ab, als der mehr oder minder „elegant" ge¬ führte Beweis eines mathematischen Lehrsatzes. Die Franzosen zumal hatten ihre Belagerungen vollkommen schablonisirt und waren von der alleinselig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/570>, abgerufen am 17.09.2024.