Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das britische Weltreich und seine Ansstchton,

Eintreffen von Hilfe aus England wehren und halten zu können, und letzteres
müßte ihnen anfangs dazu die Offiziere liefern. In dieser Richtung hat die
Kolonie Victoria bereits ein gutes Beispiel gegeben, indem sie für militärische
Sicherheitsmaßrcgeln bereits anderthalb Millionen Pfund aufgewendet und für
den gleichen Zweck eine zweite halbe Million bereitgestellt hat. Entschließt man
sich anderwärts, dieses Beispiel nachzuahmen, so ist schon viel gewonnen. Aber
ohne Zweifel wird die Frage einer gemeinsamen Politik für dieses System von
Ländern mit gemeinsamer Flotte und Flagge, welches den Veranstaltern der
Konferenz vorschwebt, großen und mannichfachen Schwierigkeiten begegnen;
denn eine ferne Kolonie wird immer so ungern gewillt sein, sich in einen
europäischen Streit hineinziehen zu lassen, durch ihn Gefahr zu laufen und für
ihn Opfer zu bringen, als das Reichsparlament Neigung empfinden wird, auf
seine Hegemonie bei der allgemeinen Leitung und Bestimmung der Staatsan¬
gelegenheiten zu verzichten. Der gesunde Menschenverstand und der praktische
Sinn, welcher die englische Rasse auszeichnet, läßt hier allerdings manches
hoffen. Aber zunächst wird die Konferenz kaum zu Ergebnissen gelange",
welche für alle möglichen Fälle ein völlig befriedigendes Zusammenwirken der
verschiednen Glieder des ausgedehnten Neichskörpers liefern.

Das Ergebnis unsrer Betrachtung ist: wenn das britische Weltreich im¬
stande bleiben soll, ohne schwere Gefahren für die Zukunft weiter zu bestehen,
so hat es folgende Aufgaben. Es muß zunächst weniger auf Ausdehnung
seines Besitzes als auf Sicherung desselben Bedacht nehmen. Es muß feste
Bündnisse suchen und durch Zugeständnisse gewinnen. Es muß endlich, ohne
seine Flotte zu vernachlässigen, seine Landstreitkräfte auf einen demjenigen der
Festlandsmächte mehr als jetzt entsprechenden Stand bringen. Es hat für ein
stärkeres Heer zu sorgen, durch Erhöhung der Zahl und der Tüchtigkeit des¬
selben. Dem stehen aber verschiedne Hindernisse entgegen. Bündnisse mit einer
militärisch so schwachen Macht wie das jetzige England haben nur sehr müßigen
Wert, und feste Bündnisse gestattet der Parlamentarismus nicht, der bald die
eine, bald die andre Partei an die Spitze der Regierung bringt und durch die
Volksvertretung auf die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten hemmend
einwirkt. Das Heer aber läßt sich mit dem herrschenden Werbesystcm nicht
wesentlich stärker machen. Man müßte zur allgemeinen Wehrpflicht greifen und
deren Folgen auf sich nehmen; dagegen aber sträubt sich die öffentliche
Meinung mit Macht, und dieses Sträuben wird in dem Maße zunehmen, in
welchem England sich weiter demokratisirt und amerikanisirt; denn die Demo¬
kratie fürchtet nichts mehr als ein starkes stehendes Heer und das, was sie
Militarismus nennt. So aber sind die Aussichten des britische" Imperiums
trübe und werden es wahrscheinlich bleiben, bis man durch Schaden klüger ge¬
worden und zu der Überzeugung gelaugt ist, daß mit alten und neuen Vor¬
urteilen gebrochen werden muß, wenn nicht größerer Schaden folgen soll. Die


GrmMen II. 1887. 71
Das britische Weltreich und seine Ansstchton,

Eintreffen von Hilfe aus England wehren und halten zu können, und letzteres
müßte ihnen anfangs dazu die Offiziere liefern. In dieser Richtung hat die
Kolonie Victoria bereits ein gutes Beispiel gegeben, indem sie für militärische
Sicherheitsmaßrcgeln bereits anderthalb Millionen Pfund aufgewendet und für
den gleichen Zweck eine zweite halbe Million bereitgestellt hat. Entschließt man
sich anderwärts, dieses Beispiel nachzuahmen, so ist schon viel gewonnen. Aber
ohne Zweifel wird die Frage einer gemeinsamen Politik für dieses System von
Ländern mit gemeinsamer Flotte und Flagge, welches den Veranstaltern der
Konferenz vorschwebt, großen und mannichfachen Schwierigkeiten begegnen;
denn eine ferne Kolonie wird immer so ungern gewillt sein, sich in einen
europäischen Streit hineinziehen zu lassen, durch ihn Gefahr zu laufen und für
ihn Opfer zu bringen, als das Reichsparlament Neigung empfinden wird, auf
seine Hegemonie bei der allgemeinen Leitung und Bestimmung der Staatsan¬
gelegenheiten zu verzichten. Der gesunde Menschenverstand und der praktische
Sinn, welcher die englische Rasse auszeichnet, läßt hier allerdings manches
hoffen. Aber zunächst wird die Konferenz kaum zu Ergebnissen gelange«,
welche für alle möglichen Fälle ein völlig befriedigendes Zusammenwirken der
verschiednen Glieder des ausgedehnten Neichskörpers liefern.

Das Ergebnis unsrer Betrachtung ist: wenn das britische Weltreich im¬
stande bleiben soll, ohne schwere Gefahren für die Zukunft weiter zu bestehen,
so hat es folgende Aufgaben. Es muß zunächst weniger auf Ausdehnung
seines Besitzes als auf Sicherung desselben Bedacht nehmen. Es muß feste
Bündnisse suchen und durch Zugeständnisse gewinnen. Es muß endlich, ohne
seine Flotte zu vernachlässigen, seine Landstreitkräfte auf einen demjenigen der
Festlandsmächte mehr als jetzt entsprechenden Stand bringen. Es hat für ein
stärkeres Heer zu sorgen, durch Erhöhung der Zahl und der Tüchtigkeit des¬
selben. Dem stehen aber verschiedne Hindernisse entgegen. Bündnisse mit einer
militärisch so schwachen Macht wie das jetzige England haben nur sehr müßigen
Wert, und feste Bündnisse gestattet der Parlamentarismus nicht, der bald die
eine, bald die andre Partei an die Spitze der Regierung bringt und durch die
Volksvertretung auf die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten hemmend
einwirkt. Das Heer aber läßt sich mit dem herrschenden Werbesystcm nicht
wesentlich stärker machen. Man müßte zur allgemeinen Wehrpflicht greifen und
deren Folgen auf sich nehmen; dagegen aber sträubt sich die öffentliche
Meinung mit Macht, und dieses Sträuben wird in dem Maße zunehmen, in
welchem England sich weiter demokratisirt und amerikanisirt; denn die Demo¬
kratie fürchtet nichts mehr als ein starkes stehendes Heer und das, was sie
Militarismus nennt. So aber sind die Aussichten des britische» Imperiums
trübe und werden es wahrscheinlich bleiben, bis man durch Schaden klüger ge¬
worden und zu der Überzeugung gelaugt ist, daß mit alten und neuen Vor¬
urteilen gebrochen werden muß, wenn nicht größerer Schaden folgen soll. Die


GrmMen II. 1887. 71
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289022"/>
          <fw type="header" place="top"> Das britische Weltreich und seine Ansstchton,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1607" prev="#ID_1606"> Eintreffen von Hilfe aus England wehren und halten zu können, und letzteres<lb/>
müßte ihnen anfangs dazu die Offiziere liefern. In dieser Richtung hat die<lb/>
Kolonie Victoria bereits ein gutes Beispiel gegeben, indem sie für militärische<lb/>
Sicherheitsmaßrcgeln bereits anderthalb Millionen Pfund aufgewendet und für<lb/>
den gleichen Zweck eine zweite halbe Million bereitgestellt hat. Entschließt man<lb/>
sich anderwärts, dieses Beispiel nachzuahmen, so ist schon viel gewonnen. Aber<lb/>
ohne Zweifel wird die Frage einer gemeinsamen Politik für dieses System von<lb/>
Ländern mit gemeinsamer Flotte und Flagge, welches den Veranstaltern der<lb/>
Konferenz vorschwebt, großen und mannichfachen Schwierigkeiten begegnen;<lb/>
denn eine ferne Kolonie wird immer so ungern gewillt sein, sich in einen<lb/>
europäischen Streit hineinziehen zu lassen, durch ihn Gefahr zu laufen und für<lb/>
ihn Opfer zu bringen, als das Reichsparlament Neigung empfinden wird, auf<lb/>
seine Hegemonie bei der allgemeinen Leitung und Bestimmung der Staatsan¬<lb/>
gelegenheiten zu verzichten. Der gesunde Menschenverstand und der praktische<lb/>
Sinn, welcher die englische Rasse auszeichnet, läßt hier allerdings manches<lb/>
hoffen. Aber zunächst wird die Konferenz kaum zu Ergebnissen gelange«,<lb/>
welche für alle möglichen Fälle ein völlig befriedigendes Zusammenwirken der<lb/>
verschiednen Glieder des ausgedehnten Neichskörpers liefern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1608" next="#ID_1609"> Das Ergebnis unsrer Betrachtung ist: wenn das britische Weltreich im¬<lb/>
stande bleiben soll, ohne schwere Gefahren für die Zukunft weiter zu bestehen,<lb/>
so hat es folgende Aufgaben. Es muß zunächst weniger auf Ausdehnung<lb/>
seines Besitzes als auf Sicherung desselben Bedacht nehmen. Es muß feste<lb/>
Bündnisse suchen und durch Zugeständnisse gewinnen. Es muß endlich, ohne<lb/>
seine Flotte zu vernachlässigen, seine Landstreitkräfte auf einen demjenigen der<lb/>
Festlandsmächte mehr als jetzt entsprechenden Stand bringen. Es hat für ein<lb/>
stärkeres Heer zu sorgen, durch Erhöhung der Zahl und der Tüchtigkeit des¬<lb/>
selben. Dem stehen aber verschiedne Hindernisse entgegen. Bündnisse mit einer<lb/>
militärisch so schwachen Macht wie das jetzige England haben nur sehr müßigen<lb/>
Wert, und feste Bündnisse gestattet der Parlamentarismus nicht, der bald die<lb/>
eine, bald die andre Partei an die Spitze der Regierung bringt und durch die<lb/>
Volksvertretung auf die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten hemmend<lb/>
einwirkt. Das Heer aber läßt sich mit dem herrschenden Werbesystcm nicht<lb/>
wesentlich stärker machen. Man müßte zur allgemeinen Wehrpflicht greifen und<lb/>
deren Folgen auf sich nehmen; dagegen aber sträubt sich die öffentliche<lb/>
Meinung mit Macht, und dieses Sträuben wird in dem Maße zunehmen, in<lb/>
welchem England sich weiter demokratisirt und amerikanisirt; denn die Demo¬<lb/>
kratie fürchtet nichts mehr als ein starkes stehendes Heer und das, was sie<lb/>
Militarismus nennt. So aber sind die Aussichten des britische» Imperiums<lb/>
trübe und werden es wahrscheinlich bleiben, bis man durch Schaden klüger ge¬<lb/>
worden und zu der Überzeugung gelaugt ist, daß mit alten und neuen Vor¬<lb/>
urteilen gebrochen werden muß, wenn nicht größerer Schaden folgen soll. Die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> GrmMen II. 1887. 71</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0569] Das britische Weltreich und seine Ansstchton, Eintreffen von Hilfe aus England wehren und halten zu können, und letzteres müßte ihnen anfangs dazu die Offiziere liefern. In dieser Richtung hat die Kolonie Victoria bereits ein gutes Beispiel gegeben, indem sie für militärische Sicherheitsmaßrcgeln bereits anderthalb Millionen Pfund aufgewendet und für den gleichen Zweck eine zweite halbe Million bereitgestellt hat. Entschließt man sich anderwärts, dieses Beispiel nachzuahmen, so ist schon viel gewonnen. Aber ohne Zweifel wird die Frage einer gemeinsamen Politik für dieses System von Ländern mit gemeinsamer Flotte und Flagge, welches den Veranstaltern der Konferenz vorschwebt, großen und mannichfachen Schwierigkeiten begegnen; denn eine ferne Kolonie wird immer so ungern gewillt sein, sich in einen europäischen Streit hineinziehen zu lassen, durch ihn Gefahr zu laufen und für ihn Opfer zu bringen, als das Reichsparlament Neigung empfinden wird, auf seine Hegemonie bei der allgemeinen Leitung und Bestimmung der Staatsan¬ gelegenheiten zu verzichten. Der gesunde Menschenverstand und der praktische Sinn, welcher die englische Rasse auszeichnet, läßt hier allerdings manches hoffen. Aber zunächst wird die Konferenz kaum zu Ergebnissen gelange«, welche für alle möglichen Fälle ein völlig befriedigendes Zusammenwirken der verschiednen Glieder des ausgedehnten Neichskörpers liefern. Das Ergebnis unsrer Betrachtung ist: wenn das britische Weltreich im¬ stande bleiben soll, ohne schwere Gefahren für die Zukunft weiter zu bestehen, so hat es folgende Aufgaben. Es muß zunächst weniger auf Ausdehnung seines Besitzes als auf Sicherung desselben Bedacht nehmen. Es muß feste Bündnisse suchen und durch Zugeständnisse gewinnen. Es muß endlich, ohne seine Flotte zu vernachlässigen, seine Landstreitkräfte auf einen demjenigen der Festlandsmächte mehr als jetzt entsprechenden Stand bringen. Es hat für ein stärkeres Heer zu sorgen, durch Erhöhung der Zahl und der Tüchtigkeit des¬ selben. Dem stehen aber verschiedne Hindernisse entgegen. Bündnisse mit einer militärisch so schwachen Macht wie das jetzige England haben nur sehr müßigen Wert, und feste Bündnisse gestattet der Parlamentarismus nicht, der bald die eine, bald die andre Partei an die Spitze der Regierung bringt und durch die Volksvertretung auf die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten hemmend einwirkt. Das Heer aber läßt sich mit dem herrschenden Werbesystcm nicht wesentlich stärker machen. Man müßte zur allgemeinen Wehrpflicht greifen und deren Folgen auf sich nehmen; dagegen aber sträubt sich die öffentliche Meinung mit Macht, und dieses Sträuben wird in dem Maße zunehmen, in welchem England sich weiter demokratisirt und amerikanisirt; denn die Demo¬ kratie fürchtet nichts mehr als ein starkes stehendes Heer und das, was sie Militarismus nennt. So aber sind die Aussichten des britische» Imperiums trübe und werden es wahrscheinlich bleiben, bis man durch Schaden klüger ge¬ worden und zu der Überzeugung gelaugt ist, daß mit alten und neuen Vor¬ urteilen gebrochen werden muß, wenn nicht größerer Schaden folgen soll. Die GrmMen II. 1887. 71

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/569
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/569>, abgerufen am 17.09.2024.