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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das britische Weltreich und seine Aussichten.

die den Zweck verfolgte, die gemeinsamen Interessen der letzteren und des Mutter¬
landes und die Mittel zu deren Wahrnehmung zu beraten. Als letztes Ziel
schwebte den Veranstaltern ein engerer Zusammenschluß der gesamten Teile des
Reiches vor Augen. Zunächst aber galt es, guten Willen zu größerer An¬
näherung zu zeigen, und dann waren die Wege und die Grenzen zu finden.
Die Kolonien sind in den letzten fünfzig Jahren fast ausnahmslos zu Nationen
erwachsen. Ausfuhr und Einfuhr zwischen Kanada und England haben sich
im Verlaufe der Regierung der Königin Viktoria von 10 auf 50 Millionen
Pfund Sterling vermehrt, die von Australien von 2^ beinahe auf 112 Mil¬
lionen, die der afrikanischen Kolonien von 2 auf 10 Millionen. Die Bevölke¬
rung Kanadas hat sich in derselben Zeit verdreifacht, die des Kaplandes ist
achtmal, die Australiens zwölfmal stärker als vor fünf Jahrzehnten, wo alle
Kolonien zusammen nur vier Millionen Einwohner hatten, während sie jetzt
lip/y Millionen aufweisen. Auf welchen Betrag von Reichtum und materieller
Kraft diese Zahlen schließen lassen, brauchen wir nicht hervorzuheben. So
sieht denn der britische Reichspatriotismus hier das zentrale Mutterland um¬
geben von einer Gruppe verwandter Länder, deren Volk, wie es desselben Ur¬
sprunges ist, auch vielfach dieselben Interessen hat wie das Volk im Mutterlande,
und so darf es hoffen, durch die Konferenz werde eine Union vorbereitet und
angebahnt werden, welche dieser Gemeinsamkeit entspricht und allen Gliedern
gleichmäßig den Frieden sichert. Der gute Wille hierzu wurde in der Konfe¬
renz von allen Seiten kundgegeben. Doch darf man für den Anfang nicht zu
viel praktische Ergebnisse von den Beratungen erwarten. Die Aufgaben, welche
dabei zu lösen sind, sind so groß und so verschieden wie die Länder, an welche
sie sich knüpfen. Man darf z. B., wie Lord Salisbury in der Rede sagte, mit
welcher er als Vorsitzender die Verhandlungen eröffnete, nicht gleich an eine
Verfassung denken. Das englische Weltreich braucht keinen fein ersonnenen Plan
zur Herstellung eines Staatenbundes oder Bundesstaates oder wie man die
Sache sonst nennen will. Die Wünsche und Bestrebungen, welche unter der
jetzigen Toryregierung zu einem Verständigungsversuche geführt haben, bleiben
in manchen Beziehungen besser unbestimmt, als daß man sie in Artikel und
Paragraphen faßt. Das Gefühl der Notwendigkeit einer größern Annäherung
der Kolonien an einander und an das Mutterland ist vorhanden, und wenn
es noch nebelhaft ist, so verglich es Salisbury nicht übel mit dem Stoffnebel,
welcher sich im Universum allmählich zum Sonnensystem verdichtete, nur wird
das hier rascher gehen müssen, sonst käme die Verdichtung zu spät. Und sehr
bald wird man wohl nicht darüber ins Reine kommen, wo das Bedürfnis ge¬
meinsamer Verpflichtung und Berechtigung beginnt, und wo die Unabhängigkeit
und die Selbsthilfe aufhört. Was sich wohl zunächst erreichen ließe, wäre eine
Union zu gegenseitiger Verteidigung. Die Kolonien müßten lokale Streitkrüfte,
Lnudtruppeu und Geschwader aufstellen, um sich bei einem Angriffe bis zum


Das britische Weltreich und seine Aussichten.

die den Zweck verfolgte, die gemeinsamen Interessen der letzteren und des Mutter¬
landes und die Mittel zu deren Wahrnehmung zu beraten. Als letztes Ziel
schwebte den Veranstaltern ein engerer Zusammenschluß der gesamten Teile des
Reiches vor Augen. Zunächst aber galt es, guten Willen zu größerer An¬
näherung zu zeigen, und dann waren die Wege und die Grenzen zu finden.
Die Kolonien sind in den letzten fünfzig Jahren fast ausnahmslos zu Nationen
erwachsen. Ausfuhr und Einfuhr zwischen Kanada und England haben sich
im Verlaufe der Regierung der Königin Viktoria von 10 auf 50 Millionen
Pfund Sterling vermehrt, die von Australien von 2^ beinahe auf 112 Mil¬
lionen, die der afrikanischen Kolonien von 2 auf 10 Millionen. Die Bevölke¬
rung Kanadas hat sich in derselben Zeit verdreifacht, die des Kaplandes ist
achtmal, die Australiens zwölfmal stärker als vor fünf Jahrzehnten, wo alle
Kolonien zusammen nur vier Millionen Einwohner hatten, während sie jetzt
lip/y Millionen aufweisen. Auf welchen Betrag von Reichtum und materieller
Kraft diese Zahlen schließen lassen, brauchen wir nicht hervorzuheben. So
sieht denn der britische Reichspatriotismus hier das zentrale Mutterland um¬
geben von einer Gruppe verwandter Länder, deren Volk, wie es desselben Ur¬
sprunges ist, auch vielfach dieselben Interessen hat wie das Volk im Mutterlande,
und so darf es hoffen, durch die Konferenz werde eine Union vorbereitet und
angebahnt werden, welche dieser Gemeinsamkeit entspricht und allen Gliedern
gleichmäßig den Frieden sichert. Der gute Wille hierzu wurde in der Konfe¬
renz von allen Seiten kundgegeben. Doch darf man für den Anfang nicht zu
viel praktische Ergebnisse von den Beratungen erwarten. Die Aufgaben, welche
dabei zu lösen sind, sind so groß und so verschieden wie die Länder, an welche
sie sich knüpfen. Man darf z. B., wie Lord Salisbury in der Rede sagte, mit
welcher er als Vorsitzender die Verhandlungen eröffnete, nicht gleich an eine
Verfassung denken. Das englische Weltreich braucht keinen fein ersonnenen Plan
zur Herstellung eines Staatenbundes oder Bundesstaates oder wie man die
Sache sonst nennen will. Die Wünsche und Bestrebungen, welche unter der
jetzigen Toryregierung zu einem Verständigungsversuche geführt haben, bleiben
in manchen Beziehungen besser unbestimmt, als daß man sie in Artikel und
Paragraphen faßt. Das Gefühl der Notwendigkeit einer größern Annäherung
der Kolonien an einander und an das Mutterland ist vorhanden, und wenn
es noch nebelhaft ist, so verglich es Salisbury nicht übel mit dem Stoffnebel,
welcher sich im Universum allmählich zum Sonnensystem verdichtete, nur wird
das hier rascher gehen müssen, sonst käme die Verdichtung zu spät. Und sehr
bald wird man wohl nicht darüber ins Reine kommen, wo das Bedürfnis ge¬
meinsamer Verpflichtung und Berechtigung beginnt, und wo die Unabhängigkeit
und die Selbsthilfe aufhört. Was sich wohl zunächst erreichen ließe, wäre eine
Union zu gegenseitiger Verteidigung. Die Kolonien müßten lokale Streitkrüfte,
Lnudtruppeu und Geschwader aufstellen, um sich bei einem Angriffe bis zum


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[0568] Das britische Weltreich und seine Aussichten. die den Zweck verfolgte, die gemeinsamen Interessen der letzteren und des Mutter¬ landes und die Mittel zu deren Wahrnehmung zu beraten. Als letztes Ziel schwebte den Veranstaltern ein engerer Zusammenschluß der gesamten Teile des Reiches vor Augen. Zunächst aber galt es, guten Willen zu größerer An¬ näherung zu zeigen, und dann waren die Wege und die Grenzen zu finden. Die Kolonien sind in den letzten fünfzig Jahren fast ausnahmslos zu Nationen erwachsen. Ausfuhr und Einfuhr zwischen Kanada und England haben sich im Verlaufe der Regierung der Königin Viktoria von 10 auf 50 Millionen Pfund Sterling vermehrt, die von Australien von 2^ beinahe auf 112 Mil¬ lionen, die der afrikanischen Kolonien von 2 auf 10 Millionen. Die Bevölke¬ rung Kanadas hat sich in derselben Zeit verdreifacht, die des Kaplandes ist achtmal, die Australiens zwölfmal stärker als vor fünf Jahrzehnten, wo alle Kolonien zusammen nur vier Millionen Einwohner hatten, während sie jetzt lip/y Millionen aufweisen. Auf welchen Betrag von Reichtum und materieller Kraft diese Zahlen schließen lassen, brauchen wir nicht hervorzuheben. So sieht denn der britische Reichspatriotismus hier das zentrale Mutterland um¬ geben von einer Gruppe verwandter Länder, deren Volk, wie es desselben Ur¬ sprunges ist, auch vielfach dieselben Interessen hat wie das Volk im Mutterlande, und so darf es hoffen, durch die Konferenz werde eine Union vorbereitet und angebahnt werden, welche dieser Gemeinsamkeit entspricht und allen Gliedern gleichmäßig den Frieden sichert. Der gute Wille hierzu wurde in der Konfe¬ renz von allen Seiten kundgegeben. Doch darf man für den Anfang nicht zu viel praktische Ergebnisse von den Beratungen erwarten. Die Aufgaben, welche dabei zu lösen sind, sind so groß und so verschieden wie die Länder, an welche sie sich knüpfen. Man darf z. B., wie Lord Salisbury in der Rede sagte, mit welcher er als Vorsitzender die Verhandlungen eröffnete, nicht gleich an eine Verfassung denken. Das englische Weltreich braucht keinen fein ersonnenen Plan zur Herstellung eines Staatenbundes oder Bundesstaates oder wie man die Sache sonst nennen will. Die Wünsche und Bestrebungen, welche unter der jetzigen Toryregierung zu einem Verständigungsversuche geführt haben, bleiben in manchen Beziehungen besser unbestimmt, als daß man sie in Artikel und Paragraphen faßt. Das Gefühl der Notwendigkeit einer größern Annäherung der Kolonien an einander und an das Mutterland ist vorhanden, und wenn es noch nebelhaft ist, so verglich es Salisbury nicht übel mit dem Stoffnebel, welcher sich im Universum allmählich zum Sonnensystem verdichtete, nur wird das hier rascher gehen müssen, sonst käme die Verdichtung zu spät. Und sehr bald wird man wohl nicht darüber ins Reine kommen, wo das Bedürfnis ge¬ meinsamer Verpflichtung und Berechtigung beginnt, und wo die Unabhängigkeit und die Selbsthilfe aufhört. Was sich wohl zunächst erreichen ließe, wäre eine Union zu gegenseitiger Verteidigung. Die Kolonien müßten lokale Streitkrüfte, Lnudtruppeu und Geschwader aufstellen, um sich bei einem Angriffe bis zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/568>, abgerufen am 17.09.2024.