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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das neue Ministerium in Paris.

Glückes oder Geschickes in der Schnäbelischen Angelegenheit. Der Kriegsminister
Ferron, in das Kabinet gewählt, weil General Saussier weder das Heeresgesetz
noch den Mobilmachungsplan Boulangers gutheißen und vertreten wollte, war
unter seinen Vorgängern Thibaudin und Campenon Vizechef des großen
Generalstabs und zuletzt Befehlshaber der 13. Infanteriedivision. Er verspricht
im Gegensatz zu Voulcmgcr einerseits militärischen Ernst, andererseits ver-
ständige Rücksicht auf die Umstände. Mazeau, der neue Justizminister, ist eine
Autorität seines Faches, aber ohne politische Vergangenheit. Dagegen war
Fallicres, der neue Minister des Innern, schon einmal in dieser Stellung und
zugleich Ministerpräsident, als welcher er Duelere ersetzte. sputter, der für
Kultus und Unterricht in das Kabinet getreten ist, war Chefredakteur der
>i<ZMl>Iiano dran^iso und gilt neben Ferry als Führer der Opportunisten.
Die übrigen Mitglieder des Ministeriums sind nicht von Bedeutung.

Im Senate wie in der Deputirtenkammer stellte sich das Kabinet Rouvier
mit eiuer gleichlautenden Erklärung vor, die sich jedoch auf allgemeingehaltene
Andeutungen beschränkte. Der Senat nahm dieselben mit Wohlwollen auf. In
der Kammer dagegen gab die äußerste Linke ihrem Verdrusse über diese Wendung
der Dinge wiederholt Ausdruck. Als der Miuisterpäsideut seine Überzeugung
aussprach, daß "es eine Mehrheit gebe, welche eine wahrhaft praktische Politik
zu unterstützen bereit sei," rief man ihm von dieser Seite zu: "Ja wohl, diese
Mehrheit finden Sie auf der Rechten." Im weiteren Verlauf der erste" Sitzung
bezeichnete der Abgeordnete Millerand das Kabinet Rollvier als neue Auflage des
Ministeriums Ferry, die unter dem Schutze der monarchischen Reaktion erschienen
sei. Ferner versuchte man vonseiten der Radikalen, indem matt die Stellung
der Seminaristen zum Militärgesctz und die Schulfrage aufs Tapet brachte,
das Mißtrauen der Rechten gegen die neue Regierung wachzurufen. Rouvier
erklärte darauf, mit der Mehrheit der republikanischen Partei regieren zu wollen.
Das Kabinet werde die bestehenden Schulgesetze ohne Herausforderung, aber
auch ohne Schwäche zur Geltung bringen und die Ausgaben um 60 Mil¬
lionen vermindern. Ferrvu fügte dem hinzu, er behalte sich eine Dar¬
legung seiner Meinung über das Militärgesetz vor, bekenne sich aber schon
jetzt als unbedingten Anhänger der dreijährigen Dienstzeit. Die Militär-
Pflicht müsse für alle gleich sein, also auch für Seminaristen und Lehrer.
Die unzureichende Effektivstärke der Armee im Frieden sei bedauerlich,
matt müsse die Stärke der Kompagnien erhöhen, indem man die Zahl derselben
vermindere. Die äußerste Linke war mit diesem Programme nicht zufrieden
und beantragte folgenden Beschluß: "Ju Anbetracht, daß das Interesse der
Republik die Zusammenfassung der Republikaner verlangt, das neue Knbinet
aber weder die Neformpvlitik noch die Einigkeit der Republikaner darstellt,
geht die Kammer zur Tagesordnung über." Für diesen Antrag stimmten aber
nur 139 Deputirte, während 285 ihn ablehnten. Darauf wurde die einfache


Das neue Ministerium in Paris.

Glückes oder Geschickes in der Schnäbelischen Angelegenheit. Der Kriegsminister
Ferron, in das Kabinet gewählt, weil General Saussier weder das Heeresgesetz
noch den Mobilmachungsplan Boulangers gutheißen und vertreten wollte, war
unter seinen Vorgängern Thibaudin und Campenon Vizechef des großen
Generalstabs und zuletzt Befehlshaber der 13. Infanteriedivision. Er verspricht
im Gegensatz zu Voulcmgcr einerseits militärischen Ernst, andererseits ver-
ständige Rücksicht auf die Umstände. Mazeau, der neue Justizminister, ist eine
Autorität seines Faches, aber ohne politische Vergangenheit. Dagegen war
Fallicres, der neue Minister des Innern, schon einmal in dieser Stellung und
zugleich Ministerpräsident, als welcher er Duelere ersetzte. sputter, der für
Kultus und Unterricht in das Kabinet getreten ist, war Chefredakteur der
>i<ZMl>Iiano dran^iso und gilt neben Ferry als Führer der Opportunisten.
Die übrigen Mitglieder des Ministeriums sind nicht von Bedeutung.

Im Senate wie in der Deputirtenkammer stellte sich das Kabinet Rouvier
mit eiuer gleichlautenden Erklärung vor, die sich jedoch auf allgemeingehaltene
Andeutungen beschränkte. Der Senat nahm dieselben mit Wohlwollen auf. In
der Kammer dagegen gab die äußerste Linke ihrem Verdrusse über diese Wendung
der Dinge wiederholt Ausdruck. Als der Miuisterpäsideut seine Überzeugung
aussprach, daß „es eine Mehrheit gebe, welche eine wahrhaft praktische Politik
zu unterstützen bereit sei," rief man ihm von dieser Seite zu: „Ja wohl, diese
Mehrheit finden Sie auf der Rechten." Im weiteren Verlauf der erste» Sitzung
bezeichnete der Abgeordnete Millerand das Kabinet Rollvier als neue Auflage des
Ministeriums Ferry, die unter dem Schutze der monarchischen Reaktion erschienen
sei. Ferner versuchte man vonseiten der Radikalen, indem matt die Stellung
der Seminaristen zum Militärgesctz und die Schulfrage aufs Tapet brachte,
das Mißtrauen der Rechten gegen die neue Regierung wachzurufen. Rouvier
erklärte darauf, mit der Mehrheit der republikanischen Partei regieren zu wollen.
Das Kabinet werde die bestehenden Schulgesetze ohne Herausforderung, aber
auch ohne Schwäche zur Geltung bringen und die Ausgaben um 60 Mil¬
lionen vermindern. Ferrvu fügte dem hinzu, er behalte sich eine Dar¬
legung seiner Meinung über das Militärgesetz vor, bekenne sich aber schon
jetzt als unbedingten Anhänger der dreijährigen Dienstzeit. Die Militär-
Pflicht müsse für alle gleich sein, also auch für Seminaristen und Lehrer.
Die unzureichende Effektivstärke der Armee im Frieden sei bedauerlich,
matt müsse die Stärke der Kompagnien erhöhen, indem man die Zahl derselben
vermindere. Die äußerste Linke war mit diesem Programme nicht zufrieden
und beantragte folgenden Beschluß: „Ju Anbetracht, daß das Interesse der
Republik die Zusammenfassung der Republikaner verlangt, das neue Knbinet
aber weder die Neformpvlitik noch die Einigkeit der Republikaner darstellt,
geht die Kammer zur Tagesordnung über." Für diesen Antrag stimmten aber
nur 139 Deputirte, während 285 ihn ablehnten. Darauf wurde die einfache


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[0541] Das neue Ministerium in Paris. Glückes oder Geschickes in der Schnäbelischen Angelegenheit. Der Kriegsminister Ferron, in das Kabinet gewählt, weil General Saussier weder das Heeresgesetz noch den Mobilmachungsplan Boulangers gutheißen und vertreten wollte, war unter seinen Vorgängern Thibaudin und Campenon Vizechef des großen Generalstabs und zuletzt Befehlshaber der 13. Infanteriedivision. Er verspricht im Gegensatz zu Voulcmgcr einerseits militärischen Ernst, andererseits ver- ständige Rücksicht auf die Umstände. Mazeau, der neue Justizminister, ist eine Autorität seines Faches, aber ohne politische Vergangenheit. Dagegen war Fallicres, der neue Minister des Innern, schon einmal in dieser Stellung und zugleich Ministerpräsident, als welcher er Duelere ersetzte. sputter, der für Kultus und Unterricht in das Kabinet getreten ist, war Chefredakteur der >i<ZMl>Iiano dran^iso und gilt neben Ferry als Führer der Opportunisten. Die übrigen Mitglieder des Ministeriums sind nicht von Bedeutung. Im Senate wie in der Deputirtenkammer stellte sich das Kabinet Rouvier mit eiuer gleichlautenden Erklärung vor, die sich jedoch auf allgemeingehaltene Andeutungen beschränkte. Der Senat nahm dieselben mit Wohlwollen auf. In der Kammer dagegen gab die äußerste Linke ihrem Verdrusse über diese Wendung der Dinge wiederholt Ausdruck. Als der Miuisterpäsideut seine Überzeugung aussprach, daß „es eine Mehrheit gebe, welche eine wahrhaft praktische Politik zu unterstützen bereit sei," rief man ihm von dieser Seite zu: „Ja wohl, diese Mehrheit finden Sie auf der Rechten." Im weiteren Verlauf der erste» Sitzung bezeichnete der Abgeordnete Millerand das Kabinet Rollvier als neue Auflage des Ministeriums Ferry, die unter dem Schutze der monarchischen Reaktion erschienen sei. Ferner versuchte man vonseiten der Radikalen, indem matt die Stellung der Seminaristen zum Militärgesctz und die Schulfrage aufs Tapet brachte, das Mißtrauen der Rechten gegen die neue Regierung wachzurufen. Rouvier erklärte darauf, mit der Mehrheit der republikanischen Partei regieren zu wollen. Das Kabinet werde die bestehenden Schulgesetze ohne Herausforderung, aber auch ohne Schwäche zur Geltung bringen und die Ausgaben um 60 Mil¬ lionen vermindern. Ferrvu fügte dem hinzu, er behalte sich eine Dar¬ legung seiner Meinung über das Militärgesetz vor, bekenne sich aber schon jetzt als unbedingten Anhänger der dreijährigen Dienstzeit. Die Militär- Pflicht müsse für alle gleich sein, also auch für Seminaristen und Lehrer. Die unzureichende Effektivstärke der Armee im Frieden sei bedauerlich, matt müsse die Stärke der Kompagnien erhöhen, indem man die Zahl derselben vermindere. Die äußerste Linke war mit diesem Programme nicht zufrieden und beantragte folgenden Beschluß: „Ju Anbetracht, daß das Interesse der Republik die Zusammenfassung der Republikaner verlangt, das neue Knbinet aber weder die Neformpvlitik noch die Einigkeit der Republikaner darstellt, geht die Kammer zur Tagesordnung über." Für diesen Antrag stimmten aber nur 139 Deputirte, während 285 ihn ablehnten. Darauf wurde die einfache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/541>, abgerufen am 17.09.2024.