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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das neue Ministerium in Paris.

französische Heer dem deutschen nicht bloß ebenbürtig, sondern überlegen gemacht
habe, ist felsenfeste Überzeugung der Gefühlsmenschen, die ihn bewundern. Er
ist ihnen eine stete Pose auf der Bühne, als welche ihnen die Welt erscheint,
eine fortwährende stolze Herausforderung an den verhaßten deutschen Kanzler
und ein Temperament, bei welchem ein Zufall die Kanonen losgehen lassen
kann. Seine Verehrer hoffen ihn ohne Zweifel in das Kriegsministerium
zurückkehren zu sehen, und sie bilden eine laute und rührige Menge. Aber
sollten sie wirklich die Geschicke Frankreichs bestimmen können? Und sollte
wirklich Clemeneeaus Partei zuletzt oben auf kommen? Wir werden es bald sehen.
Wünscht Frankreich zu gleicher Zeit mit dem Papste und seinein kirchlichen Heere
und der deutschen Streitmacht anzubinden, glaubt es, daran mit "leichtem Herzen"
gehen zu können, so wird es in einigen Monaten das Ministerium Rollvier, das
diesen Wunsch und diesen Glanben nicht hegt, stürzen und unter dem Beifalls-
rnfcn Nocheforts und des Pariser Pöbels dem Präsidenten Grevy ein Ministerium
Clemeneeau-Boulanger aufdrängen. Hoffart wird dann zu Schanden werden.

Gegenwärtig scheint die Vernunft noch die Oberhand zu haben, und es ist
Hoffnung vorhanden, daß sie diese behalten werde. Das neue Kabinet verspricht
Dauer, und für den Fall, daß es gehen müßte, wird eher Ferry als Clemenccau
es beerben. Man darf sagen, der Ministerwechsel war in seinem Ausgange ein
Umschwung zum Bessern, ein Sieg des gesunde" Menschenverstandes über die
Doktrinäre halsbrecherischer Politik der Radikalen, ein Triumph der friedfertigen
Besonnenheit über die eitle Dvnquixotterie Boulangers. Einzelne Minister lassen
manches vermissen, als Ganzes aber ist das neue Kabinet von höherm Werte
als das, welches am 17. Mai das Zeitliche segnete. Ronvier war als Präsident
der Budgetkommission, deren bekannter Beschluß es zu Falle brachte, der gegebne
Nachfolger Goblets, und er würde sofort an die Spitze der Geschäfte gestellt
worden sein, wenn er nicht wie Ferry die Überlieferung des Gambettismus
verträte, und wenn nicht ein Regiment dieser Farbe geringe Aussicht auf Be¬
stand gehabt hätte, so lange die Rechte, sowie die gesamte äußerste Linke dem
Opportunismus zu grollen fortfuhren. Auch war Rouvier zwar ein sehr be¬
fähigter Kopf, namentlich in finanzieller Beziehung, und ein vorzüglicher Redner,
aber als Charakter nicht unbedenklich. Indeß beruhigte man sich bald über
diese Zweifel und sah mehr auf seine Talente als Finanzmann, die ihn unter
den obwaltenden Umständen als den rechten Mann erscheinen ließen. Erst
45 Jahre alt, ist er verhältnismäßig noch eine junge Kraft. Er war ursprüng¬
lich Advokat in Marseille, wo er sich der republikanischen Opposition gegen
das Kaiserreich anschloß. 1871 wurde er hier in die Nationalversammlung
gewählt. Seitdem gehörte er immer der Volksvertretung an, in welcher er
als eifriger Anhänger Gambettas auftrat, dessen "großem Ministerium" er als
Handelsminister beitrat, dieselbe Stelle bekleidete er unter Ferry. Vom alten
Kabinet ist in das neue nur Floureus übergegangen, Wohl auf Grund seines


Das neue Ministerium in Paris.

französische Heer dem deutschen nicht bloß ebenbürtig, sondern überlegen gemacht
habe, ist felsenfeste Überzeugung der Gefühlsmenschen, die ihn bewundern. Er
ist ihnen eine stete Pose auf der Bühne, als welche ihnen die Welt erscheint,
eine fortwährende stolze Herausforderung an den verhaßten deutschen Kanzler
und ein Temperament, bei welchem ein Zufall die Kanonen losgehen lassen
kann. Seine Verehrer hoffen ihn ohne Zweifel in das Kriegsministerium
zurückkehren zu sehen, und sie bilden eine laute und rührige Menge. Aber
sollten sie wirklich die Geschicke Frankreichs bestimmen können? Und sollte
wirklich Clemeneeaus Partei zuletzt oben auf kommen? Wir werden es bald sehen.
Wünscht Frankreich zu gleicher Zeit mit dem Papste und seinein kirchlichen Heere
und der deutschen Streitmacht anzubinden, glaubt es, daran mit „leichtem Herzen"
gehen zu können, so wird es in einigen Monaten das Ministerium Rollvier, das
diesen Wunsch und diesen Glanben nicht hegt, stürzen und unter dem Beifalls-
rnfcn Nocheforts und des Pariser Pöbels dem Präsidenten Grevy ein Ministerium
Clemeneeau-Boulanger aufdrängen. Hoffart wird dann zu Schanden werden.

Gegenwärtig scheint die Vernunft noch die Oberhand zu haben, und es ist
Hoffnung vorhanden, daß sie diese behalten werde. Das neue Kabinet verspricht
Dauer, und für den Fall, daß es gehen müßte, wird eher Ferry als Clemenccau
es beerben. Man darf sagen, der Ministerwechsel war in seinem Ausgange ein
Umschwung zum Bessern, ein Sieg des gesunde» Menschenverstandes über die
Doktrinäre halsbrecherischer Politik der Radikalen, ein Triumph der friedfertigen
Besonnenheit über die eitle Dvnquixotterie Boulangers. Einzelne Minister lassen
manches vermissen, als Ganzes aber ist das neue Kabinet von höherm Werte
als das, welches am 17. Mai das Zeitliche segnete. Ronvier war als Präsident
der Budgetkommission, deren bekannter Beschluß es zu Falle brachte, der gegebne
Nachfolger Goblets, und er würde sofort an die Spitze der Geschäfte gestellt
worden sein, wenn er nicht wie Ferry die Überlieferung des Gambettismus
verträte, und wenn nicht ein Regiment dieser Farbe geringe Aussicht auf Be¬
stand gehabt hätte, so lange die Rechte, sowie die gesamte äußerste Linke dem
Opportunismus zu grollen fortfuhren. Auch war Rouvier zwar ein sehr be¬
fähigter Kopf, namentlich in finanzieller Beziehung, und ein vorzüglicher Redner,
aber als Charakter nicht unbedenklich. Indeß beruhigte man sich bald über
diese Zweifel und sah mehr auf seine Talente als Finanzmann, die ihn unter
den obwaltenden Umständen als den rechten Mann erscheinen ließen. Erst
45 Jahre alt, ist er verhältnismäßig noch eine junge Kraft. Er war ursprüng¬
lich Advokat in Marseille, wo er sich der republikanischen Opposition gegen
das Kaiserreich anschloß. 1871 wurde er hier in die Nationalversammlung
gewählt. Seitdem gehörte er immer der Volksvertretung an, in welcher er
als eifriger Anhänger Gambettas auftrat, dessen „großem Ministerium" er als
Handelsminister beitrat, dieselbe Stelle bekleidete er unter Ferry. Vom alten
Kabinet ist in das neue nur Floureus übergegangen, Wohl auf Grund seines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/540>, abgerufen am 17.09.2024.