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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das neue Ministerium in Paris.

dienstes und ihres Klerus ermöglichen sollten. Alle französischen Regie¬
rungen mit alleiniger Ausnahme der Tyrannen des Schreckcnsregiments
von 1793 erkannten diese Ansprüche an. und wenn sie einige Jahre
"ur für die "nationale" Geistlichkeit gelten sollten, das heißt für die,
welche den Gehorsam gegen den Papst abschwor und der Republik huldigte,
so stellte Napoleon den frühern Zustand mit seinen vollen Rechten durch das
Konkordat wieder her, das nunmehr fast neun Jahrzehnte unverändert bestanden
hat. Ein Widerruf desselben würde nicht bloß ein schweres Unrecht gegen die
Kirche, sondern auch eine Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft sein. Der
Sozialismus und Kommunismus würde gestärkt werden, was der Kirche ge¬
schähe, könnte zur Beraubung der Laienwelt aus dem Wege der Gesetzgebung
reizen. Dies ist der Hauptgedanke des Programms Clemenceaus und der
äußersten Linken. Eine Zeit lang leitete dieser Politiker die Ministerien hinter
der Szene, indem er sich seine Unterstützung in der Kammer von ihnen durch
verschiedne Zugeständnisse an die kirchenfeindlichen Neigungen seiner Partei ab¬
kaufen ließ. Das hatte ein Ende, als Goblet sich weigerte, ans die von ihm
beantragten weiteren Abstriche einzugehen, und die Folge war der Sturz Goblets
und seiner Kollegen. Das nach langer Verlegenheit zu stände gekommene
Ministerium Rouvier ist nach der einen Seite hin der geglückte Versuch Grevys.
gegen Clemenceau die mehr oder minder gemäßigten Elemente des Senats und
der Deputirtenkammer zu vereinigen, soweit es sich um innere, besonders um
kirchliche Fragen handelt. Clemeneeau bedeutet aber nicht bloß den Radikalismus
nach dieser Richtung hin, sondern die Abrechnung mit Deutschland. Er und
Voulcmger gelten der öffentlichen Meinung hier als Verbündete, und dem
General war es durch allerhaud Künste gelungen, vielen Franzosen die Ansicht
beizubringen, daß nicht bloß ein neuer Krieg mit dem Nachbar im Osten geführt
werden müsse, sondern daß dieser Krieg siegreich sein werde. Die von diesem
Helden des Tages rasch erworbene Popularität bezeichnet recht deutlich die
Schwächen im Charakter des französischen Volkes. Es hat sich als demokra¬
tische Republik eingerichtet, und doch ließ es von seiner alten Neigung zur Ver¬
ehrung der einzelnen nicht, die ihm die Vorstellung beizubringen verstanden,
sie seien große Männer. Man spottete über die Schmeichelei, mit welcher
Höflinge Königen und Prinzen glänzende Eigenschaften beilegten, die sie nicht
besaßen, aber kaum jemals wurde der Träger oder Erbe einer Krone im voraus
so lebhaft und reichlich für Siege gefeiert, die erst noch zu leisten waren, als
der kurz zuvor noch obskure General, der mit allerlei Mitteln und Mittelchen
die Franzosen mit der Vorstellung von seiner Bedeutung zu erfüllen gewußt
hatte. Er stand zuletzt wie ein aufgehender Stern da, als ein werdender
Bonaparte, vorläufig noch ohne ein Arcole, Rivoli und Marengo hinter sich,
wohl aber in sich, ein gewaltiger, viclverheißender Geist. Der Stern ist jetzt
untergegangen, aber der Glaube an ihn lebt fort. Daß er in kurzer Frist das


Das neue Ministerium in Paris.

dienstes und ihres Klerus ermöglichen sollten. Alle französischen Regie¬
rungen mit alleiniger Ausnahme der Tyrannen des Schreckcnsregiments
von 1793 erkannten diese Ansprüche an. und wenn sie einige Jahre
"ur für die „nationale" Geistlichkeit gelten sollten, das heißt für die,
welche den Gehorsam gegen den Papst abschwor und der Republik huldigte,
so stellte Napoleon den frühern Zustand mit seinen vollen Rechten durch das
Konkordat wieder her, das nunmehr fast neun Jahrzehnte unverändert bestanden
hat. Ein Widerruf desselben würde nicht bloß ein schweres Unrecht gegen die
Kirche, sondern auch eine Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft sein. Der
Sozialismus und Kommunismus würde gestärkt werden, was der Kirche ge¬
schähe, könnte zur Beraubung der Laienwelt aus dem Wege der Gesetzgebung
reizen. Dies ist der Hauptgedanke des Programms Clemenceaus und der
äußersten Linken. Eine Zeit lang leitete dieser Politiker die Ministerien hinter
der Szene, indem er sich seine Unterstützung in der Kammer von ihnen durch
verschiedne Zugeständnisse an die kirchenfeindlichen Neigungen seiner Partei ab¬
kaufen ließ. Das hatte ein Ende, als Goblet sich weigerte, ans die von ihm
beantragten weiteren Abstriche einzugehen, und die Folge war der Sturz Goblets
und seiner Kollegen. Das nach langer Verlegenheit zu stände gekommene
Ministerium Rouvier ist nach der einen Seite hin der geglückte Versuch Grevys.
gegen Clemenceau die mehr oder minder gemäßigten Elemente des Senats und
der Deputirtenkammer zu vereinigen, soweit es sich um innere, besonders um
kirchliche Fragen handelt. Clemeneeau bedeutet aber nicht bloß den Radikalismus
nach dieser Richtung hin, sondern die Abrechnung mit Deutschland. Er und
Voulcmger gelten der öffentlichen Meinung hier als Verbündete, und dem
General war es durch allerhaud Künste gelungen, vielen Franzosen die Ansicht
beizubringen, daß nicht bloß ein neuer Krieg mit dem Nachbar im Osten geführt
werden müsse, sondern daß dieser Krieg siegreich sein werde. Die von diesem
Helden des Tages rasch erworbene Popularität bezeichnet recht deutlich die
Schwächen im Charakter des französischen Volkes. Es hat sich als demokra¬
tische Republik eingerichtet, und doch ließ es von seiner alten Neigung zur Ver¬
ehrung der einzelnen nicht, die ihm die Vorstellung beizubringen verstanden,
sie seien große Männer. Man spottete über die Schmeichelei, mit welcher
Höflinge Königen und Prinzen glänzende Eigenschaften beilegten, die sie nicht
besaßen, aber kaum jemals wurde der Träger oder Erbe einer Krone im voraus
so lebhaft und reichlich für Siege gefeiert, die erst noch zu leisten waren, als
der kurz zuvor noch obskure General, der mit allerlei Mitteln und Mittelchen
die Franzosen mit der Vorstellung von seiner Bedeutung zu erfüllen gewußt
hatte. Er stand zuletzt wie ein aufgehender Stern da, als ein werdender
Bonaparte, vorläufig noch ohne ein Arcole, Rivoli und Marengo hinter sich,
wohl aber in sich, ein gewaltiger, viclverheißender Geist. Der Stern ist jetzt
untergegangen, aber der Glaube an ihn lebt fort. Daß er in kurzer Frist das


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[0539] Das neue Ministerium in Paris. dienstes und ihres Klerus ermöglichen sollten. Alle französischen Regie¬ rungen mit alleiniger Ausnahme der Tyrannen des Schreckcnsregiments von 1793 erkannten diese Ansprüche an. und wenn sie einige Jahre "ur für die „nationale" Geistlichkeit gelten sollten, das heißt für die, welche den Gehorsam gegen den Papst abschwor und der Republik huldigte, so stellte Napoleon den frühern Zustand mit seinen vollen Rechten durch das Konkordat wieder her, das nunmehr fast neun Jahrzehnte unverändert bestanden hat. Ein Widerruf desselben würde nicht bloß ein schweres Unrecht gegen die Kirche, sondern auch eine Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft sein. Der Sozialismus und Kommunismus würde gestärkt werden, was der Kirche ge¬ schähe, könnte zur Beraubung der Laienwelt aus dem Wege der Gesetzgebung reizen. Dies ist der Hauptgedanke des Programms Clemenceaus und der äußersten Linken. Eine Zeit lang leitete dieser Politiker die Ministerien hinter der Szene, indem er sich seine Unterstützung in der Kammer von ihnen durch verschiedne Zugeständnisse an die kirchenfeindlichen Neigungen seiner Partei ab¬ kaufen ließ. Das hatte ein Ende, als Goblet sich weigerte, ans die von ihm beantragten weiteren Abstriche einzugehen, und die Folge war der Sturz Goblets und seiner Kollegen. Das nach langer Verlegenheit zu stände gekommene Ministerium Rouvier ist nach der einen Seite hin der geglückte Versuch Grevys. gegen Clemenceau die mehr oder minder gemäßigten Elemente des Senats und der Deputirtenkammer zu vereinigen, soweit es sich um innere, besonders um kirchliche Fragen handelt. Clemeneeau bedeutet aber nicht bloß den Radikalismus nach dieser Richtung hin, sondern die Abrechnung mit Deutschland. Er und Voulcmger gelten der öffentlichen Meinung hier als Verbündete, und dem General war es durch allerhaud Künste gelungen, vielen Franzosen die Ansicht beizubringen, daß nicht bloß ein neuer Krieg mit dem Nachbar im Osten geführt werden müsse, sondern daß dieser Krieg siegreich sein werde. Die von diesem Helden des Tages rasch erworbene Popularität bezeichnet recht deutlich die Schwächen im Charakter des französischen Volkes. Es hat sich als demokra¬ tische Republik eingerichtet, und doch ließ es von seiner alten Neigung zur Ver¬ ehrung der einzelnen nicht, die ihm die Vorstellung beizubringen verstanden, sie seien große Männer. Man spottete über die Schmeichelei, mit welcher Höflinge Königen und Prinzen glänzende Eigenschaften beilegten, die sie nicht besaßen, aber kaum jemals wurde der Träger oder Erbe einer Krone im voraus so lebhaft und reichlich für Siege gefeiert, die erst noch zu leisten waren, als der kurz zuvor noch obskure General, der mit allerlei Mitteln und Mittelchen die Franzosen mit der Vorstellung von seiner Bedeutung zu erfüllen gewußt hatte. Er stand zuletzt wie ein aufgehender Stern da, als ein werdender Bonaparte, vorläufig noch ohne ein Arcole, Rivoli und Marengo hinter sich, wohl aber in sich, ein gewaltiger, viclverheißender Geist. Der Stern ist jetzt untergegangen, aber der Glaube an ihn lebt fort. Daß er in kurzer Frist das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/539>, abgerufen am 17.09.2024.