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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

strebten und diesen abwärts dem Schwarzen Meere, die so auf diese Straße einen
guten Teil des orientalischen Handels von Konstantinopel her leiteten. Ihre
Erbschaft traten die Hanseaten an. bis die harte Faust Iwans III. 1494 und
der Schließung des Hofes zu Se. Peter ihre alte Handelsherrschaft zer¬
störte. Aber wieder bewies erst Gustav Adolf von Schweden, dann Peter der
Große seinen genialen Blick, als beide sich der Stelle bemächtigten, wo die
Stränge dieser uralten Verbindungen zusammenliefen. Denn zwar ist die Stadt
Schlüsselburg neu, aber alt der feste Platz auf der kleinen Insel, die den Ausfluß
der Newa sperrt, das Orechowez der Russen, die Nöteborg der Schweden
(beides Nußburg. wohl von der Form der Insel), ein fortwährender
Zankapfel zwischen beiden, von Peter dem Großen nach der Einnahme am
N. (22.) Oktober 1702 bedeutsam Schlüsselburg getauft. Dort schimmern
ihre hohen, kahlen, weißen Mauern herüber, ein Sechseck mit runden Bastionen,
überragt von der Nadelspitze und der Kuppel der kleinen Kirche, den roten
Dächern nud Essen der Wohn- und Wirtschaftsgebäude zwischen hohen Baum¬
wipfeln. Kein Leben regt sich dort, nur leise klatschen die Wellen des Sees
an die Steindämme. Heutigen Geschützen würden diese Werke keine Stunde
widerstehen. Doch darauf sind sie auch nicht berechnet. Ihre Kasematten
bargen von jeher Staatsgefangene, neuerdings Nihilisten, und manche düstere
Exekution hat die Festung erlebt. Selbst ein Sprößling des Kaiserhauses, der
unglückliche Iwan III., den Elisabeth 1741 hierher gesandt hatte, ist nach
dreiundzwanzigjähriger Leidenszeit in seinem lichtlosen Kerker einer barbarischen
Staatsraison zum Opfer gefallen (Juli 1764). Auch die Stadt Schlüsselburg
will nicht viel bedeuten, der Verkehr geht an ihr vorüber nach der Newa¬
mündung, denn, wie schon gesagt, das Erbe Nowgorods hat Petersburg an¬
getreten.

Sind wir hier am Ladogasee wieder den Spuren Peters des Großen ge¬
folgt, so leitet uns von der Hauptstadt eine kurze Eisenbahnfahrt landeinwärts,
vorüber an den malerischen, villcuumkränzten Hügeln, welche die weltberühmte
Sternwarte von Pulkowa tragen, nach dem Lieblingssommersitz seiner großen
Nachfolgerin Katharinas II., nach Zarskoe Scio (Kaiserdorf). Ein merkwürdiger
Gegensatz! Dort ist alles nur auf das unmittelbar Nützliche. Praktische zuge¬
schnitten, hier alles auf Glanz und Prunk. Denn wie Versailles, verdankt die
kleine Stadt mit ihren breiten, schattenlosen Straßen zwischen niedrigen Holz¬
häusern in regelmäßigster Anlage ihre Existenz lediglich dem prachtvollen Schlosse,
das auf einer sanft ansteigenden Landwelle die Kaiserin errichtete, ein Riesen¬
bauwerk wie alle diese russischen Kaiserschlösser, eine mächtige Front mit zwei
kurzen Seitenflügeln, die im Rücken einen kolossalen Hof umschließen, zwei¬
stöckig, in reichem Rokoko, blendend weiß die Wandflächen, die Halbpfeiler Kcht-
gelb. die Dekorationen dunkelgrün, hellgrün die Dächer, auf dem der Stadt
zugewandten Flügel von den fünf blitzenden Goldkuppeln der Schloßkirche über-


Russische Skizzen.

strebten und diesen abwärts dem Schwarzen Meere, die so auf diese Straße einen
guten Teil des orientalischen Handels von Konstantinopel her leiteten. Ihre
Erbschaft traten die Hanseaten an. bis die harte Faust Iwans III. 1494 und
der Schließung des Hofes zu Se. Peter ihre alte Handelsherrschaft zer¬
störte. Aber wieder bewies erst Gustav Adolf von Schweden, dann Peter der
Große seinen genialen Blick, als beide sich der Stelle bemächtigten, wo die
Stränge dieser uralten Verbindungen zusammenliefen. Denn zwar ist die Stadt
Schlüsselburg neu, aber alt der feste Platz auf der kleinen Insel, die den Ausfluß
der Newa sperrt, das Orechowez der Russen, die Nöteborg der Schweden
(beides Nußburg. wohl von der Form der Insel), ein fortwährender
Zankapfel zwischen beiden, von Peter dem Großen nach der Einnahme am
N. (22.) Oktober 1702 bedeutsam Schlüsselburg getauft. Dort schimmern
ihre hohen, kahlen, weißen Mauern herüber, ein Sechseck mit runden Bastionen,
überragt von der Nadelspitze und der Kuppel der kleinen Kirche, den roten
Dächern nud Essen der Wohn- und Wirtschaftsgebäude zwischen hohen Baum¬
wipfeln. Kein Leben regt sich dort, nur leise klatschen die Wellen des Sees
an die Steindämme. Heutigen Geschützen würden diese Werke keine Stunde
widerstehen. Doch darauf sind sie auch nicht berechnet. Ihre Kasematten
bargen von jeher Staatsgefangene, neuerdings Nihilisten, und manche düstere
Exekution hat die Festung erlebt. Selbst ein Sprößling des Kaiserhauses, der
unglückliche Iwan III., den Elisabeth 1741 hierher gesandt hatte, ist nach
dreiundzwanzigjähriger Leidenszeit in seinem lichtlosen Kerker einer barbarischen
Staatsraison zum Opfer gefallen (Juli 1764). Auch die Stadt Schlüsselburg
will nicht viel bedeuten, der Verkehr geht an ihr vorüber nach der Newa¬
mündung, denn, wie schon gesagt, das Erbe Nowgorods hat Petersburg an¬
getreten.

Sind wir hier am Ladogasee wieder den Spuren Peters des Großen ge¬
folgt, so leitet uns von der Hauptstadt eine kurze Eisenbahnfahrt landeinwärts,
vorüber an den malerischen, villcuumkränzten Hügeln, welche die weltberühmte
Sternwarte von Pulkowa tragen, nach dem Lieblingssommersitz seiner großen
Nachfolgerin Katharinas II., nach Zarskoe Scio (Kaiserdorf). Ein merkwürdiger
Gegensatz! Dort ist alles nur auf das unmittelbar Nützliche. Praktische zuge¬
schnitten, hier alles auf Glanz und Prunk. Denn wie Versailles, verdankt die
kleine Stadt mit ihren breiten, schattenlosen Straßen zwischen niedrigen Holz¬
häusern in regelmäßigster Anlage ihre Existenz lediglich dem prachtvollen Schlosse,
das auf einer sanft ansteigenden Landwelle die Kaiserin errichtete, ein Riesen¬
bauwerk wie alle diese russischen Kaiserschlösser, eine mächtige Front mit zwei
kurzen Seitenflügeln, die im Rücken einen kolossalen Hof umschließen, zwei¬
stöckig, in reichem Rokoko, blendend weiß die Wandflächen, die Halbpfeiler Kcht-
gelb. die Dekorationen dunkelgrün, hellgrün die Dächer, auf dem der Stadt
zugewandten Flügel von den fünf blitzenden Goldkuppeln der Schloßkirche über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/501>, abgerufen am 17.09.2024.