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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

ragt. An der Rückseite wie an der Stirnseite dehnt sich ein weiter Park, der
obere mit einem Gartenschloß und dem Arsenal, das die Trophäen aus den
Kriegen Nikolaus' I. birgt. Doch weit malerischer wirkt der untere Park. Denn
an dieser Seite senkt sich das Terrain langsam hinunter nach einem kleine"
See; ein luftiger Gartensalon mit hohen Säulenhallen und prächtiger Frei¬
treppe springt vom rechten Flügel des Schlosses aus nach dieser Seite weithin
vor. Wer etwa noch mit der Vorstellung von der Dürftigkeit nordischer Vege¬
tation hierher gekommen ist, wird angenehm enttäuscht sein, wenn er diese
musterhaft gehaltenen Anlagen durchwandert. Dem? wenn auch unsre breit¬
laubige Buche fehlt, so entschädigt doch dafür der üppige Wuchs der Birke,
Linde und Erle, die hier mit ihren dunkelgrünen, glänzenden Blättern zu einem
prächtigen Baume sich entwickelt, der Buche nicht unähnlich. Anmutig liegt an
dem einen Schmalende des Sees eine luftige Gloriette in kokettem Rokokostil,
den ganzen laubumkränzten See überschauend, gegenüber eine bedeckte Brücke
aus bläulichem sibirischen Marmor in klassischer Renaissance, die ebenso gut in
Italien stehen könnte, wie auch die Gloriette. Nur eine hohe Säule mitten
im See, geschmückt mit Schiffsschnäbeln, auf dem Kapitäl ein Adler, der eine
Schlange würgt, gewidmet dem Gregor Orlow, dem nomineller Sieger von
Tschesme, und an der südlichen Langseite des Sees ein roter Backsteinbau in
englisch-gothischem Stile erinnert an Nußland. Denn der letztere beherbergt
neben einigen schweren Booten Peters des Großen auch Trophäen, so die
Flagge des türkischen Kriegsschiffes, das gleich beim Beginne des Krieges
von 1877/78 auf der untern Donau von einer russischen Granate in die Luft
gesprengt wurde. Davor schaukeln sich unter einer Bedachung elegante Boote
und daneben eine Reihe von Fahrzeugen der verschiedensten Völker in echten
Exemplaren, von der chinesischen Dschonke bis zum Grönländer. An der West¬
seite des Parks aber nach Krasnoe Scio hin erinnert ein prachtvoller Triumph¬
bogen aus Marmor an die napoleonischen Kriege. Dicht daneben gestattet ein
hoher römischer Mauerturm einen Blick auf die Laubmassen des Parks und
die einförmige, grüne Ebene ringsum. Trotz dieser niedrigen Lage gilt auch
Zarskve Scio wie das nahe Pawlvwsk wegen seines Parks als Sommerfrische;
zahlreiches elegantes Publikum belebt seine Gänge und bevölkert die Züge der
Eisenbahn, die fast stündlich hin- und herfährt. Dann und wann erscheint eine
junge Dame wohl auch in "nationaler" Tracht, einer bunt, überwiegend blau
und rot ausgenühteu weißen Bluse mit weiten, langen Ärmeln und ähnlich auf¬
geputzter Schürze, auf dem Haar die purpurseidue Kappe mit Goldblättchen.
Doch das weite Schloß selbst, sonst beliebte Sommerresidenz, liegt heute verödet;
die kaiserliche Familie zieht jetzt Peterhof vor.

Denn Kaiser Alexander III. und seine Gemahlin, die Tochter des meer¬
umgürteten Dänemark, beide lieben sie die See. Und in der That, das Schönste
an Petersburg ist doch seine Lage zum Meere. Dort am englischen Quai


Russische Skizzen.

ragt. An der Rückseite wie an der Stirnseite dehnt sich ein weiter Park, der
obere mit einem Gartenschloß und dem Arsenal, das die Trophäen aus den
Kriegen Nikolaus' I. birgt. Doch weit malerischer wirkt der untere Park. Denn
an dieser Seite senkt sich das Terrain langsam hinunter nach einem kleine»
See; ein luftiger Gartensalon mit hohen Säulenhallen und prächtiger Frei¬
treppe springt vom rechten Flügel des Schlosses aus nach dieser Seite weithin
vor. Wer etwa noch mit der Vorstellung von der Dürftigkeit nordischer Vege¬
tation hierher gekommen ist, wird angenehm enttäuscht sein, wenn er diese
musterhaft gehaltenen Anlagen durchwandert. Dem? wenn auch unsre breit¬
laubige Buche fehlt, so entschädigt doch dafür der üppige Wuchs der Birke,
Linde und Erle, die hier mit ihren dunkelgrünen, glänzenden Blättern zu einem
prächtigen Baume sich entwickelt, der Buche nicht unähnlich. Anmutig liegt an
dem einen Schmalende des Sees eine luftige Gloriette in kokettem Rokokostil,
den ganzen laubumkränzten See überschauend, gegenüber eine bedeckte Brücke
aus bläulichem sibirischen Marmor in klassischer Renaissance, die ebenso gut in
Italien stehen könnte, wie auch die Gloriette. Nur eine hohe Säule mitten
im See, geschmückt mit Schiffsschnäbeln, auf dem Kapitäl ein Adler, der eine
Schlange würgt, gewidmet dem Gregor Orlow, dem nomineller Sieger von
Tschesme, und an der südlichen Langseite des Sees ein roter Backsteinbau in
englisch-gothischem Stile erinnert an Nußland. Denn der letztere beherbergt
neben einigen schweren Booten Peters des Großen auch Trophäen, so die
Flagge des türkischen Kriegsschiffes, das gleich beim Beginne des Krieges
von 1877/78 auf der untern Donau von einer russischen Granate in die Luft
gesprengt wurde. Davor schaukeln sich unter einer Bedachung elegante Boote
und daneben eine Reihe von Fahrzeugen der verschiedensten Völker in echten
Exemplaren, von der chinesischen Dschonke bis zum Grönländer. An der West¬
seite des Parks aber nach Krasnoe Scio hin erinnert ein prachtvoller Triumph¬
bogen aus Marmor an die napoleonischen Kriege. Dicht daneben gestattet ein
hoher römischer Mauerturm einen Blick auf die Laubmassen des Parks und
die einförmige, grüne Ebene ringsum. Trotz dieser niedrigen Lage gilt auch
Zarskve Scio wie das nahe Pawlvwsk wegen seines Parks als Sommerfrische;
zahlreiches elegantes Publikum belebt seine Gänge und bevölkert die Züge der
Eisenbahn, die fast stündlich hin- und herfährt. Dann und wann erscheint eine
junge Dame wohl auch in „nationaler" Tracht, einer bunt, überwiegend blau
und rot ausgenühteu weißen Bluse mit weiten, langen Ärmeln und ähnlich auf¬
geputzter Schürze, auf dem Haar die purpurseidue Kappe mit Goldblättchen.
Doch das weite Schloß selbst, sonst beliebte Sommerresidenz, liegt heute verödet;
die kaiserliche Familie zieht jetzt Peterhof vor.

Denn Kaiser Alexander III. und seine Gemahlin, die Tochter des meer¬
umgürteten Dänemark, beide lieben sie die See. Und in der That, das Schönste
an Petersburg ist doch seine Lage zum Meere. Dort am englischen Quai


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[0502] Russische Skizzen. ragt. An der Rückseite wie an der Stirnseite dehnt sich ein weiter Park, der obere mit einem Gartenschloß und dem Arsenal, das die Trophäen aus den Kriegen Nikolaus' I. birgt. Doch weit malerischer wirkt der untere Park. Denn an dieser Seite senkt sich das Terrain langsam hinunter nach einem kleine» See; ein luftiger Gartensalon mit hohen Säulenhallen und prächtiger Frei¬ treppe springt vom rechten Flügel des Schlosses aus nach dieser Seite weithin vor. Wer etwa noch mit der Vorstellung von der Dürftigkeit nordischer Vege¬ tation hierher gekommen ist, wird angenehm enttäuscht sein, wenn er diese musterhaft gehaltenen Anlagen durchwandert. Dem? wenn auch unsre breit¬ laubige Buche fehlt, so entschädigt doch dafür der üppige Wuchs der Birke, Linde und Erle, die hier mit ihren dunkelgrünen, glänzenden Blättern zu einem prächtigen Baume sich entwickelt, der Buche nicht unähnlich. Anmutig liegt an dem einen Schmalende des Sees eine luftige Gloriette in kokettem Rokokostil, den ganzen laubumkränzten See überschauend, gegenüber eine bedeckte Brücke aus bläulichem sibirischen Marmor in klassischer Renaissance, die ebenso gut in Italien stehen könnte, wie auch die Gloriette. Nur eine hohe Säule mitten im See, geschmückt mit Schiffsschnäbeln, auf dem Kapitäl ein Adler, der eine Schlange würgt, gewidmet dem Gregor Orlow, dem nomineller Sieger von Tschesme, und an der südlichen Langseite des Sees ein roter Backsteinbau in englisch-gothischem Stile erinnert an Nußland. Denn der letztere beherbergt neben einigen schweren Booten Peters des Großen auch Trophäen, so die Flagge des türkischen Kriegsschiffes, das gleich beim Beginne des Krieges von 1877/78 auf der untern Donau von einer russischen Granate in die Luft gesprengt wurde. Davor schaukeln sich unter einer Bedachung elegante Boote und daneben eine Reihe von Fahrzeugen der verschiedensten Völker in echten Exemplaren, von der chinesischen Dschonke bis zum Grönländer. An der West¬ seite des Parks aber nach Krasnoe Scio hin erinnert ein prachtvoller Triumph¬ bogen aus Marmor an die napoleonischen Kriege. Dicht daneben gestattet ein hoher römischer Mauerturm einen Blick auf die Laubmassen des Parks und die einförmige, grüne Ebene ringsum. Trotz dieser niedrigen Lage gilt auch Zarskve Scio wie das nahe Pawlvwsk wegen seines Parks als Sommerfrische; zahlreiches elegantes Publikum belebt seine Gänge und bevölkert die Züge der Eisenbahn, die fast stündlich hin- und herfährt. Dann und wann erscheint eine junge Dame wohl auch in „nationaler" Tracht, einer bunt, überwiegend blau und rot ausgenühteu weißen Bluse mit weiten, langen Ärmeln und ähnlich auf¬ geputzter Schürze, auf dem Haar die purpurseidue Kappe mit Goldblättchen. Doch das weite Schloß selbst, sonst beliebte Sommerresidenz, liegt heute verödet; die kaiserliche Familie zieht jetzt Peterhof vor. Denn Kaiser Alexander III. und seine Gemahlin, die Tochter des meer¬ umgürteten Dänemark, beide lieben sie die See. Und in der That, das Schönste an Petersburg ist doch seine Lage zum Meere. Dort am englischen Quai

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/502>, abgerufen am 17.09.2024.