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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

sind niedrige Holzbauten mit grellbemalten Schildern, welche meist zum Eintritt
in Kneipen oder kleine Produktengeschäfte einladen. Vereinzelte Wanderer oder
ein Zug kleiner, magerer Gäule, wie sie hier die Schiffe im Ladogakanale
schleppen, mit ihren struppigen Lenkern in rotem Hemde bilden die einfache
Staffage. Der ganze Ort verdankt diesem Kanäle und also Peter dem Großen
sein Dasein. Um den seeuntüchtigen Flußschiffen die klippenstarrenden Ufer des
stürmischen Ladogasees zu ersparen, begann er nach den Plänen seines Feld¬
marschalls Mummies, also wieder mit deutscher Intelligenz, den Bau, der bis
1732 in einer Länge von 15 Meilen vollendet wurde. Mächtige Schleußen
aus rotem Granit bezeichnen den Eingang des Kanals, der dann zunächst schnur¬
gerade landeinwärts führt nach dem Wolchow. So bedeutend aber ist dieser ganz
und gar in die kurzen Sommermonate zusammengedrängte Verkehr, daß gegen¬
wärtig parallel mit dieser ältern Wasserstraße, etwas näher dem Seeufer, ein
zweiter Kanal erbaut worden ist, den die vom Wolchow kommenden Fahr¬
zeuge benutzen, während die dorthin fahrenden Schiffe auf dem alten gehen.
Man gewinnt hier sehr bald den Eindruck am Ausgangspunkte einer großen
Verkehrsstraßc zu stehen. Auf Strom und Kanal liegen die großen, schwer¬
fälligen Fahrzeuge, die ihn vermitteln, daneben die Dampfer, welche ihre Be¬
stimmung, über den Ladogasee hinaufzufahren bis Kexholm und Walaam oder
hinüber nach dem soir und auf diesem weiter nach dem Onegasee, bis Petro-
sawodsk und Powenez, schon in ihrem Namen verraten; denn wunderbar günstig
hat die Natur diese russischen Wafserlciufe geordnet, sodaß sie nur wenig der
nachbessernden Hand des Menschen bedurften, um ein ununterbrochenes Netz
von Wasserstraßen durch das ganze weite Reich zu bilden. Vom Ufer des
neuen Kanals aus öffnet sich dann der Blick auf den gewaltigen See, den
größten Landsee Europas. Rechts zieht sich langsm das niedrige, bewaldete
Gestade, links springt ein Vorgebirge mit einem Leuchttürme so weit hinaus,
daß die an seinem Fuße verankerten Schiffe auf dem Horizonte zu schweben
scheinen, recht eigentlich auf der "Höhe" von Schlüsselburg, denn nach Osten
hin bietet der See völlig das Bild des offenen Meeres: wie eine blaue Wand
steigt die Flut empor. Das ist der alte Hanseweg; ihn fuhren allsommerlich
die deutschen Koggen, oft von Sturm geschüttelt, bis zur Mündung des Wolchow,
dann diesen noch aufwärts über Alt-Ladoga hinaus bis zu den Stromschnellen
bei Gostinopolsk (Gestefeld), wo Leichterschiffe von Nowgorod den weitern
Transport der Waaren und Menschen übernahmen. Dort fühlte sich der han¬
sische Kaufmann im stolzen Se. Petershof wieder auf deutschem Boden. Und
auch er hat diese Wege nicht zuerst gewiesen. Lange vor ihm waren von der
Newamündung her desselben Weges die scharfgebauten "Drachen" der kühnen
Warjager, der Normannen Ruriks, gekommen, der in Noivgorod den russischen
Staat gründete, wie fünfzig Jahre nach ihm Rollo den normannischen an der
Seinemündung; sie waren es dann, die von Nowgorod aus dem Dujepr zu-


Russische Skizzen.

sind niedrige Holzbauten mit grellbemalten Schildern, welche meist zum Eintritt
in Kneipen oder kleine Produktengeschäfte einladen. Vereinzelte Wanderer oder
ein Zug kleiner, magerer Gäule, wie sie hier die Schiffe im Ladogakanale
schleppen, mit ihren struppigen Lenkern in rotem Hemde bilden die einfache
Staffage. Der ganze Ort verdankt diesem Kanäle und also Peter dem Großen
sein Dasein. Um den seeuntüchtigen Flußschiffen die klippenstarrenden Ufer des
stürmischen Ladogasees zu ersparen, begann er nach den Plänen seines Feld¬
marschalls Mummies, also wieder mit deutscher Intelligenz, den Bau, der bis
1732 in einer Länge von 15 Meilen vollendet wurde. Mächtige Schleußen
aus rotem Granit bezeichnen den Eingang des Kanals, der dann zunächst schnur¬
gerade landeinwärts führt nach dem Wolchow. So bedeutend aber ist dieser ganz
und gar in die kurzen Sommermonate zusammengedrängte Verkehr, daß gegen¬
wärtig parallel mit dieser ältern Wasserstraße, etwas näher dem Seeufer, ein
zweiter Kanal erbaut worden ist, den die vom Wolchow kommenden Fahr¬
zeuge benutzen, während die dorthin fahrenden Schiffe auf dem alten gehen.
Man gewinnt hier sehr bald den Eindruck am Ausgangspunkte einer großen
Verkehrsstraßc zu stehen. Auf Strom und Kanal liegen die großen, schwer¬
fälligen Fahrzeuge, die ihn vermitteln, daneben die Dampfer, welche ihre Be¬
stimmung, über den Ladogasee hinaufzufahren bis Kexholm und Walaam oder
hinüber nach dem soir und auf diesem weiter nach dem Onegasee, bis Petro-
sawodsk und Powenez, schon in ihrem Namen verraten; denn wunderbar günstig
hat die Natur diese russischen Wafserlciufe geordnet, sodaß sie nur wenig der
nachbessernden Hand des Menschen bedurften, um ein ununterbrochenes Netz
von Wasserstraßen durch das ganze weite Reich zu bilden. Vom Ufer des
neuen Kanals aus öffnet sich dann der Blick auf den gewaltigen See, den
größten Landsee Europas. Rechts zieht sich langsm das niedrige, bewaldete
Gestade, links springt ein Vorgebirge mit einem Leuchttürme so weit hinaus,
daß die an seinem Fuße verankerten Schiffe auf dem Horizonte zu schweben
scheinen, recht eigentlich auf der „Höhe" von Schlüsselburg, denn nach Osten
hin bietet der See völlig das Bild des offenen Meeres: wie eine blaue Wand
steigt die Flut empor. Das ist der alte Hanseweg; ihn fuhren allsommerlich
die deutschen Koggen, oft von Sturm geschüttelt, bis zur Mündung des Wolchow,
dann diesen noch aufwärts über Alt-Ladoga hinaus bis zu den Stromschnellen
bei Gostinopolsk (Gestefeld), wo Leichterschiffe von Nowgorod den weitern
Transport der Waaren und Menschen übernahmen. Dort fühlte sich der han¬
sische Kaufmann im stolzen Se. Petershof wieder auf deutschem Boden. Und
auch er hat diese Wege nicht zuerst gewiesen. Lange vor ihm waren von der
Newamündung her desselben Weges die scharfgebauten „Drachen" der kühnen
Warjager, der Normannen Ruriks, gekommen, der in Noivgorod den russischen
Staat gründete, wie fünfzig Jahre nach ihm Rollo den normannischen an der
Seinemündung; sie waren es dann, die von Nowgorod aus dem Dujepr zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/500>, abgerufen am 17.09.2024.