Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Russische Skizzen. der Vororte dahin. Auf der Newa drängen sich die plumpen Holzkähne, da¬ Unser Dampfer legt am linken Ufer an, inmitten andrer Dampfer und Russische Skizzen. der Vororte dahin. Auf der Newa drängen sich die plumpen Holzkähne, da¬ Unser Dampfer legt am linken Ufer an, inmitten andrer Dampfer und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288952"/> <fw type="header" place="top"> Russische Skizzen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1398" prev="#ID_1397"> der Vororte dahin. Auf der Newa drängen sich die plumpen Holzkähne, da¬<lb/> zwischen die seemäßig getakelten Segelschiffe des Ladogasees, hie und da selbst<lb/> ein Seedampfer. Jede der zahlreichen Landungsstellen liefert Fahrgäste an<lb/> Bord, Bauern und Gewerbtreibende, aber auch Beamte, Popen, Offiziere; der<lb/> betriebsame Gasetnik (Zeitungsverkäufer) fehlt natürlich auch hier nicht. End¬<lb/> lich verschwinden die Ausläufer der großen Stadt. Zwischen hohen, steil¬<lb/> abfallenden Ufern strömt die Newa dahin, jetzt schmaler, aber noch immer der¬<lb/> selbe schöne, klare Strom wie bei Petersburg; darüber erhebt sich dichter Wald,<lb/> doch oft unterbrochen von Dörfern russischer Bauart, von denen sich die deutschen<lb/> Kolonistendörfer aus der Zeit Katharinas II. wie Neu-Saratow mit ihren statt¬<lb/> lichen Bauernhöfen unter breitem, hohem Dach charakteristisch unterscheiden;<lb/> auf einem hübschen Uferpunkte tritt dann und wann ein behagliches Landhaus<lb/> hervor oder die Mündung eines kleinen Flusses durchbricht den hohen Ufer-<lb/> rand. Etwa halbwegs zeigt sich an einer Landungsbrücke des linken Ufers<lb/> auffallend viel Militär: hier liegt das Übungslager der Sappcure (Saperskij<lb/> Lager), die hinter dem Streifen des Uferwaldes in Holzbaracken Hausen; stramm<lb/> machen sie ihre Honneurs, wenn sie einen Offizier an Bord erblicken. An ver¬<lb/> gangene Größe mahnt seltsam am rechten Ufer die Ruine eines stattlichen Land¬<lb/> sitzes, den Katharina II. sich baute, als die Newa noch Mode war; sonst scheint<lb/> alles modern, unhistorisch. Und doch ist das nur scheinbar. Wer mit geistigem<lb/> Auge schaut, der sieht auf denselben „flüssigen Pfaden," die jetzt unser flüchtiger<lb/> Dampfer durcheilt, die hochbordigen schweren Koggen der Hanseaten auf der<lb/> Fahrt nach der alten Handelsmetropole Nowgorod am Wolchow, und er be¬<lb/> gleitet sie weiter, wenn jetzt bei einer raschen Wendung die weißen Mauern der<lb/> Festung Schlüsselburg in der Sonne ihm entgegenglänzen. Wir sind am Ziele,<lb/> nachdem wir die 60 Werst von Petersburg her in nur vier Stunden stromauf<lb/> zurückgelegt haben (7 Werst 1 geogr. Meile).</p><lb/> <p xml:id="ID_1399" next="#ID_1400"> Unser Dampfer legt am linken Ufer an, inmitten andrer Dampfer und<lb/> zahlreicher Ncwaschiffe angesichts der kleinen Stadt Schlüsselburg. Nur der<lb/> Name an ihr ist deutsch, sie selbst ist ganz und gar russisch, das echte Bild<lb/> einer russischen Kleinstadt. Nur am Ufer des alten Ladogakanals dehnt sich<lb/> ein gepflasterter Platz mit stattlichen Häusern; im übrigen besteht Schlüsselburg<lb/> wesentlich aus einer langen, breiten Hauptstraße, die geradaus auf den Kanal<lb/> und auf die weißgetünchte, grüubedachte Hauptkirche (zu Mariä Verkündigung)<lb/> zuläuft, daher auch den stolzen Namen des Blagowjetschenskijprospekts fuhrt,<lb/> da ja natürlich jede russische Stadt uach Petersburger Muster ihren Prospekt<lb/> haben muß, und hier gerade wirkt der Gegensatz zwischen dem hochtrabenden<lb/> Namen und der niedern Wirklichkeit unwiderstehlich komisch. Denn dieser Pro¬<lb/> spekt ermangelt jeden Pflasters; neben dem breiten, schmutzigen Fahrdamme<lb/> Mhen sich zwischen Rasenufern schmale, sumpfige, mit Wasserlinsen bedeckte<lb/> Gräben hin, worüber kleine Stege nach den Häusern führen, und diese selbst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0499]
Russische Skizzen.
der Vororte dahin. Auf der Newa drängen sich die plumpen Holzkähne, da¬
zwischen die seemäßig getakelten Segelschiffe des Ladogasees, hie und da selbst
ein Seedampfer. Jede der zahlreichen Landungsstellen liefert Fahrgäste an
Bord, Bauern und Gewerbtreibende, aber auch Beamte, Popen, Offiziere; der
betriebsame Gasetnik (Zeitungsverkäufer) fehlt natürlich auch hier nicht. End¬
lich verschwinden die Ausläufer der großen Stadt. Zwischen hohen, steil¬
abfallenden Ufern strömt die Newa dahin, jetzt schmaler, aber noch immer der¬
selbe schöne, klare Strom wie bei Petersburg; darüber erhebt sich dichter Wald,
doch oft unterbrochen von Dörfern russischer Bauart, von denen sich die deutschen
Kolonistendörfer aus der Zeit Katharinas II. wie Neu-Saratow mit ihren statt¬
lichen Bauernhöfen unter breitem, hohem Dach charakteristisch unterscheiden;
auf einem hübschen Uferpunkte tritt dann und wann ein behagliches Landhaus
hervor oder die Mündung eines kleinen Flusses durchbricht den hohen Ufer-
rand. Etwa halbwegs zeigt sich an einer Landungsbrücke des linken Ufers
auffallend viel Militär: hier liegt das Übungslager der Sappcure (Saperskij
Lager), die hinter dem Streifen des Uferwaldes in Holzbaracken Hausen; stramm
machen sie ihre Honneurs, wenn sie einen Offizier an Bord erblicken. An ver¬
gangene Größe mahnt seltsam am rechten Ufer die Ruine eines stattlichen Land¬
sitzes, den Katharina II. sich baute, als die Newa noch Mode war; sonst scheint
alles modern, unhistorisch. Und doch ist das nur scheinbar. Wer mit geistigem
Auge schaut, der sieht auf denselben „flüssigen Pfaden," die jetzt unser flüchtiger
Dampfer durcheilt, die hochbordigen schweren Koggen der Hanseaten auf der
Fahrt nach der alten Handelsmetropole Nowgorod am Wolchow, und er be¬
gleitet sie weiter, wenn jetzt bei einer raschen Wendung die weißen Mauern der
Festung Schlüsselburg in der Sonne ihm entgegenglänzen. Wir sind am Ziele,
nachdem wir die 60 Werst von Petersburg her in nur vier Stunden stromauf
zurückgelegt haben (7 Werst 1 geogr. Meile).
Unser Dampfer legt am linken Ufer an, inmitten andrer Dampfer und
zahlreicher Ncwaschiffe angesichts der kleinen Stadt Schlüsselburg. Nur der
Name an ihr ist deutsch, sie selbst ist ganz und gar russisch, das echte Bild
einer russischen Kleinstadt. Nur am Ufer des alten Ladogakanals dehnt sich
ein gepflasterter Platz mit stattlichen Häusern; im übrigen besteht Schlüsselburg
wesentlich aus einer langen, breiten Hauptstraße, die geradaus auf den Kanal
und auf die weißgetünchte, grüubedachte Hauptkirche (zu Mariä Verkündigung)
zuläuft, daher auch den stolzen Namen des Blagowjetschenskijprospekts fuhrt,
da ja natürlich jede russische Stadt uach Petersburger Muster ihren Prospekt
haben muß, und hier gerade wirkt der Gegensatz zwischen dem hochtrabenden
Namen und der niedern Wirklichkeit unwiderstehlich komisch. Denn dieser Pro¬
spekt ermangelt jeden Pflasters; neben dem breiten, schmutzigen Fahrdamme
Mhen sich zwischen Rasenufern schmale, sumpfige, mit Wasserlinsen bedeckte
Gräben hin, worüber kleine Stege nach den Häusern führen, und diese selbst
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