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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.

nehmer Blumen- und Fruchtgarten umgab, hatte unsern Beifall und gefiel uns
sehr wohl. Wir fanden selbstverständlich bei unsern Verwandten herzliche Auf¬
nahme, schlössen mit Vetter und zwei Vasen, die um wenige Jahre älter waren,
sofort innige Freundschaft und ließen uns vor allem die unerläßlichsten wen¬
dischen Redensarten von ihnen lehren, damit wir von dem merkwürdigen Ge¬
schnatter aller im Pfarrhause ein- und ausgehenden doch etwas verstanden.
Groß freilich war die Ernte der Redewendungen, die wir in der Schnelligkeit
einzuheimsen vermochten, nicht, sie reichte aber doch aus, um uns bei dem
Spielen der Nachbarländer, die mit unsern Vettern und Mühmchen zu verkehren
Erlaubnis hatten, zu beteiligen, ohne von diesen verhöhnt zu werden.

Hier vernahm ich denn auch in der kleinen dunkeln Kirche bei Gelegenheit
einer Beerdigung aus dem Munde des Onkels eine wendische Predigt. DaS
so fremde, dem deutschen Ohr höchst seltsam klingende Sprachidiom kam mir so
komisch vor, daß ich mich schwer des Lachens enthalten konnte und mich wohl
hütete, einer Tags darauf stattfindenden Trauung ebenfalls beizuwohnen. Ich
begnügte mich, den über den freien Platz vor der Kirche wandelnden Brautzug,
der sich wenig von den Brautzügen in den deutschen Dörfern der Lausitz unter¬
schied, aus respektvoller Entfernung zu betrachten.

Unfern der Pfarrwohnung wälzte die Spree ihre trägen Wellen durch den
Sand der Haide. und jenseits des Ufers lag das herrschaftliche Gut des Be¬
sitzers, eines Herrn von Muschwitz, der mit einer Jugendfreundin unsrer Mutter
vermählt war. Diese Jugcndfreuudschast öffnete uns die Pforten des "Schlosses."
wie man das langgestreckte, aber mir einstöckige Herrenhaus zu nennen beliebte.
Von der Einrichtung des Schlosses ist mir keine Erinnerung geblieben, da sie
für Kinder jedenfalls nichts Fesselndes darbot. Desto besser gefiel es uns in
dem umfangreichen Schloßgarten, da uns der Besitzer großmütig gestattete, die
dort in großer Menge reifenden Früchte nach Belieben durchzukoste".

Unser Aufenthalt in dem stillen wendischen Dorfe, das wie eine kleine
grüne Oase mitten in dem weichen Sande der Haide lag, war nur von kurzer
Dauer. Nach einigen Tagen schon mußten wir uns wieder zur Abreise
rüsten, was uns schwer genug ankam. Doch nahmen wir das Versprechen des
Onkels mit, daß er uus recht bald einen Gegenbesuch abstatten wolle, ein Ver¬
sprechen, das er auch wirklich hielt, obwohl einige Jahre ins Land gingen.

War der Verwandtenkreis meiner Mutter vermöge ihrer vielen Geschwister,
Tanten, Onkel und Vettern ein sehr ausgedehnter, so beschränkte sich der meines
Vaters nur auf wenige Personen. Außer dem erwähnten Stiefbruder in Lauban
lebte vom Vater nur eine einzige jüngere Schwester, die mit dem Pastor Sin-
tenis in Großschönan, jenem durch seine prachtvollen Damastwcbcrrien berühmt
und reich gewordenen Dorfe, verheiratet war. Diese Tante besuchten wir ziemlich
häufig, da Großschönan binnen zwei Stunden bequem zu erreichen war. Sie
hing an dem Vater wie an uns mit großer Zärtlichkeit und überhäufte uns


Grenzboten II. 1887. ü
Zugenderinnerungen.

nehmer Blumen- und Fruchtgarten umgab, hatte unsern Beifall und gefiel uns
sehr wohl. Wir fanden selbstverständlich bei unsern Verwandten herzliche Auf¬
nahme, schlössen mit Vetter und zwei Vasen, die um wenige Jahre älter waren,
sofort innige Freundschaft und ließen uns vor allem die unerläßlichsten wen¬
dischen Redensarten von ihnen lehren, damit wir von dem merkwürdigen Ge¬
schnatter aller im Pfarrhause ein- und ausgehenden doch etwas verstanden.
Groß freilich war die Ernte der Redewendungen, die wir in der Schnelligkeit
einzuheimsen vermochten, nicht, sie reichte aber doch aus, um uns bei dem
Spielen der Nachbarländer, die mit unsern Vettern und Mühmchen zu verkehren
Erlaubnis hatten, zu beteiligen, ohne von diesen verhöhnt zu werden.

Hier vernahm ich denn auch in der kleinen dunkeln Kirche bei Gelegenheit
einer Beerdigung aus dem Munde des Onkels eine wendische Predigt. DaS
so fremde, dem deutschen Ohr höchst seltsam klingende Sprachidiom kam mir so
komisch vor, daß ich mich schwer des Lachens enthalten konnte und mich wohl
hütete, einer Tags darauf stattfindenden Trauung ebenfalls beizuwohnen. Ich
begnügte mich, den über den freien Platz vor der Kirche wandelnden Brautzug,
der sich wenig von den Brautzügen in den deutschen Dörfern der Lausitz unter¬
schied, aus respektvoller Entfernung zu betrachten.

Unfern der Pfarrwohnung wälzte die Spree ihre trägen Wellen durch den
Sand der Haide. und jenseits des Ufers lag das herrschaftliche Gut des Be¬
sitzers, eines Herrn von Muschwitz, der mit einer Jugendfreundin unsrer Mutter
vermählt war. Diese Jugcndfreuudschast öffnete uns die Pforten des „Schlosses."
wie man das langgestreckte, aber mir einstöckige Herrenhaus zu nennen beliebte.
Von der Einrichtung des Schlosses ist mir keine Erinnerung geblieben, da sie
für Kinder jedenfalls nichts Fesselndes darbot. Desto besser gefiel es uns in
dem umfangreichen Schloßgarten, da uns der Besitzer großmütig gestattete, die
dort in großer Menge reifenden Früchte nach Belieben durchzukoste«.

Unser Aufenthalt in dem stillen wendischen Dorfe, das wie eine kleine
grüne Oase mitten in dem weichen Sande der Haide lag, war nur von kurzer
Dauer. Nach einigen Tagen schon mußten wir uns wieder zur Abreise
rüsten, was uns schwer genug ankam. Doch nahmen wir das Versprechen des
Onkels mit, daß er uus recht bald einen Gegenbesuch abstatten wolle, ein Ver¬
sprechen, das er auch wirklich hielt, obwohl einige Jahre ins Land gingen.

War der Verwandtenkreis meiner Mutter vermöge ihrer vielen Geschwister,
Tanten, Onkel und Vettern ein sehr ausgedehnter, so beschränkte sich der meines
Vaters nur auf wenige Personen. Außer dem erwähnten Stiefbruder in Lauban
lebte vom Vater nur eine einzige jüngere Schwester, die mit dem Pastor Sin-
tenis in Großschönan, jenem durch seine prachtvollen Damastwcbcrrien berühmt
und reich gewordenen Dorfe, verheiratet war. Diese Tante besuchten wir ziemlich
häufig, da Großschönan binnen zwei Stunden bequem zu erreichen war. Sie
hing an dem Vater wie an uns mit großer Zärtlichkeit und überhäufte uns


Grenzboten II. 1887. ü
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[0049] Zugenderinnerungen. nehmer Blumen- und Fruchtgarten umgab, hatte unsern Beifall und gefiel uns sehr wohl. Wir fanden selbstverständlich bei unsern Verwandten herzliche Auf¬ nahme, schlössen mit Vetter und zwei Vasen, die um wenige Jahre älter waren, sofort innige Freundschaft und ließen uns vor allem die unerläßlichsten wen¬ dischen Redensarten von ihnen lehren, damit wir von dem merkwürdigen Ge¬ schnatter aller im Pfarrhause ein- und ausgehenden doch etwas verstanden. Groß freilich war die Ernte der Redewendungen, die wir in der Schnelligkeit einzuheimsen vermochten, nicht, sie reichte aber doch aus, um uns bei dem Spielen der Nachbarländer, die mit unsern Vettern und Mühmchen zu verkehren Erlaubnis hatten, zu beteiligen, ohne von diesen verhöhnt zu werden. Hier vernahm ich denn auch in der kleinen dunkeln Kirche bei Gelegenheit einer Beerdigung aus dem Munde des Onkels eine wendische Predigt. DaS so fremde, dem deutschen Ohr höchst seltsam klingende Sprachidiom kam mir so komisch vor, daß ich mich schwer des Lachens enthalten konnte und mich wohl hütete, einer Tags darauf stattfindenden Trauung ebenfalls beizuwohnen. Ich begnügte mich, den über den freien Platz vor der Kirche wandelnden Brautzug, der sich wenig von den Brautzügen in den deutschen Dörfern der Lausitz unter¬ schied, aus respektvoller Entfernung zu betrachten. Unfern der Pfarrwohnung wälzte die Spree ihre trägen Wellen durch den Sand der Haide. und jenseits des Ufers lag das herrschaftliche Gut des Be¬ sitzers, eines Herrn von Muschwitz, der mit einer Jugendfreundin unsrer Mutter vermählt war. Diese Jugcndfreuudschast öffnete uns die Pforten des „Schlosses." wie man das langgestreckte, aber mir einstöckige Herrenhaus zu nennen beliebte. Von der Einrichtung des Schlosses ist mir keine Erinnerung geblieben, da sie für Kinder jedenfalls nichts Fesselndes darbot. Desto besser gefiel es uns in dem umfangreichen Schloßgarten, da uns der Besitzer großmütig gestattete, die dort in großer Menge reifenden Früchte nach Belieben durchzukoste«. Unser Aufenthalt in dem stillen wendischen Dorfe, das wie eine kleine grüne Oase mitten in dem weichen Sande der Haide lag, war nur von kurzer Dauer. Nach einigen Tagen schon mußten wir uns wieder zur Abreise rüsten, was uns schwer genug ankam. Doch nahmen wir das Versprechen des Onkels mit, daß er uus recht bald einen Gegenbesuch abstatten wolle, ein Ver¬ sprechen, das er auch wirklich hielt, obwohl einige Jahre ins Land gingen. War der Verwandtenkreis meiner Mutter vermöge ihrer vielen Geschwister, Tanten, Onkel und Vettern ein sehr ausgedehnter, so beschränkte sich der meines Vaters nur auf wenige Personen. Außer dem erwähnten Stiefbruder in Lauban lebte vom Vater nur eine einzige jüngere Schwester, die mit dem Pastor Sin- tenis in Großschönan, jenem durch seine prachtvollen Damastwcbcrrien berühmt und reich gewordenen Dorfe, verheiratet war. Diese Tante besuchten wir ziemlich häufig, da Großschönan binnen zwei Stunden bequem zu erreichen war. Sie hing an dem Vater wie an uns mit großer Zärtlichkeit und überhäufte uns Grenzboten II. 1887. ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/49>, abgerufen am 17.09.2024.