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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Tonleiter im Musikunterricht.

versucht, eines lange vorher, ehe ich darüber nachdachte, eine rhythmische Glie¬
derung, eine Taktbewegung, also ein wirkliches Klingen, hineinzubringen -- un¬
möglich! Jeder Versuch führte mich immer tiefer in musikalischen Widersinn
hinein.

Man kaun es auf eine doppelte Art versuchen, mit schreitenden oder
hüpfenden Takt, um einmal diese Ausdrücke von der Rhythmik auf die Musik
zu übertragen, da ja, wie man nun weiß, aller rhythmische Takt von der Be¬
wegung der Füße beim Tanz ausgegangen ist. Beide Versuche aber scheitern
aufs kläglichste. Also entweder:



Der Ausgang ist unmöglich und gehört zu dem musikalisch-rhythmisch Unmög¬
lichsten, und so möglich oder richtig der Anfang des Torganges ist: der schließende
Haupttor in sogenannter schlechter oder vielmehr der schlechtesten Taktstelle und
der letzte Ton (Takt) oder Träger der Wellenbewegung auf dem halben Ton, der
immer nur dienende Stellung haben kann als überleitende Brücke, als Vorbe¬
reitung oder gleichsam Ansatz zu einem Schwung in der Klauglinie -- unmög¬
lich, häßlich, oder vielmehr nicht einmal häßlich (denn das ist die sogenannte
Dissonanz an sich auch), sondern eben nichts!

Noch unmöglicher aber, noch mehr nichts ist der Tongang in hüpfenden
Takte:



Wieder ist der Anlauf richtig und gut, der Ausgang aber so hinkend, in sich
znsammenbrecheud als nur möglich. Wenn dort der schließende Grundton auf
die schlechte Taktstelle fällt, so gerät er hier auf eine noch schlechtere, wenn man
das sagen kaun, denn im hüpfenden Takte ist der dritte Ton neben dem ersten
noch der bessere, hat etwas mehr Tonkraft als der zweite, der sich ganz unter¬
geordnet zugleich an den ersten und zweiten anlehnt, und soll hier dem Ton¬
gange den Abschluß geben, und das soll der Grundton sein, der zumal hier im
ganzen Gebilde noch gewichtiger sein muß als das erste o -- soll doch von
einem Tongange oder einer Melodie der letzte Ton (nebst seiner nächste" Um¬
gebung) die Stelle vertreten, in der sich der Geist oder die Seele des Tor¬
ganges sammelt zur letzten Schlußwirknng im Gemüte; dies it o mit hüpfender,
also der lebhaftesten Bewegung ist das Dürftigste, Erbärmlichste, vom Leben
entfernteste, das man sich musikalisch denken kann, und damit der ganze Ton-
gaug, den die armen Schüler daher leiern müssen, also als allerersten Vor¬
geschmack der hehren, schönen Musikwelt genießen sollen.

Denn mit diesem musikalischen Unding beginnt man allen musikalischen Unter¬
richt in der ganzen weiten Bildungswelt! Ist das zu verantworten? Das


Die Tonleiter im Musikunterricht.

versucht, eines lange vorher, ehe ich darüber nachdachte, eine rhythmische Glie¬
derung, eine Taktbewegung, also ein wirkliches Klingen, hineinzubringen — un¬
möglich! Jeder Versuch führte mich immer tiefer in musikalischen Widersinn
hinein.

Man kaun es auf eine doppelte Art versuchen, mit schreitenden oder
hüpfenden Takt, um einmal diese Ausdrücke von der Rhythmik auf die Musik
zu übertragen, da ja, wie man nun weiß, aller rhythmische Takt von der Be¬
wegung der Füße beim Tanz ausgegangen ist. Beide Versuche aber scheitern
aufs kläglichste. Also entweder:



Der Ausgang ist unmöglich und gehört zu dem musikalisch-rhythmisch Unmög¬
lichsten, und so möglich oder richtig der Anfang des Torganges ist: der schließende
Haupttor in sogenannter schlechter oder vielmehr der schlechtesten Taktstelle und
der letzte Ton (Takt) oder Träger der Wellenbewegung auf dem halben Ton, der
immer nur dienende Stellung haben kann als überleitende Brücke, als Vorbe¬
reitung oder gleichsam Ansatz zu einem Schwung in der Klauglinie — unmög¬
lich, häßlich, oder vielmehr nicht einmal häßlich (denn das ist die sogenannte
Dissonanz an sich auch), sondern eben nichts!

Noch unmöglicher aber, noch mehr nichts ist der Tongang in hüpfenden
Takte:



Wieder ist der Anlauf richtig und gut, der Ausgang aber so hinkend, in sich
znsammenbrecheud als nur möglich. Wenn dort der schließende Grundton auf
die schlechte Taktstelle fällt, so gerät er hier auf eine noch schlechtere, wenn man
das sagen kaun, denn im hüpfenden Takte ist der dritte Ton neben dem ersten
noch der bessere, hat etwas mehr Tonkraft als der zweite, der sich ganz unter¬
geordnet zugleich an den ersten und zweiten anlehnt, und soll hier dem Ton¬
gange den Abschluß geben, und das soll der Grundton sein, der zumal hier im
ganzen Gebilde noch gewichtiger sein muß als das erste o — soll doch von
einem Tongange oder einer Melodie der letzte Ton (nebst seiner nächste» Um¬
gebung) die Stelle vertreten, in der sich der Geist oder die Seele des Tor¬
ganges sammelt zur letzten Schlußwirknng im Gemüte; dies it o mit hüpfender,
also der lebhaftesten Bewegung ist das Dürftigste, Erbärmlichste, vom Leben
entfernteste, das man sich musikalisch denken kann, und damit der ganze Ton-
gaug, den die armen Schüler daher leiern müssen, also als allerersten Vor¬
geschmack der hehren, schönen Musikwelt genießen sollen.

Denn mit diesem musikalischen Unding beginnt man allen musikalischen Unter¬
richt in der ganzen weiten Bildungswelt! Ist das zu verantworten? Das


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[0440] Die Tonleiter im Musikunterricht. versucht, eines lange vorher, ehe ich darüber nachdachte, eine rhythmische Glie¬ derung, eine Taktbewegung, also ein wirkliches Klingen, hineinzubringen — un¬ möglich! Jeder Versuch führte mich immer tiefer in musikalischen Widersinn hinein. Man kaun es auf eine doppelte Art versuchen, mit schreitenden oder hüpfenden Takt, um einmal diese Ausdrücke von der Rhythmik auf die Musik zu übertragen, da ja, wie man nun weiß, aller rhythmische Takt von der Be¬ wegung der Füße beim Tanz ausgegangen ist. Beide Versuche aber scheitern aufs kläglichste. Also entweder: [Abbildung] Der Ausgang ist unmöglich und gehört zu dem musikalisch-rhythmisch Unmög¬ lichsten, und so möglich oder richtig der Anfang des Torganges ist: der schließende Haupttor in sogenannter schlechter oder vielmehr der schlechtesten Taktstelle und der letzte Ton (Takt) oder Träger der Wellenbewegung auf dem halben Ton, der immer nur dienende Stellung haben kann als überleitende Brücke, als Vorbe¬ reitung oder gleichsam Ansatz zu einem Schwung in der Klauglinie — unmög¬ lich, häßlich, oder vielmehr nicht einmal häßlich (denn das ist die sogenannte Dissonanz an sich auch), sondern eben nichts! Noch unmöglicher aber, noch mehr nichts ist der Tongang in hüpfenden Takte: [Abbildung] Wieder ist der Anlauf richtig und gut, der Ausgang aber so hinkend, in sich znsammenbrecheud als nur möglich. Wenn dort der schließende Grundton auf die schlechte Taktstelle fällt, so gerät er hier auf eine noch schlechtere, wenn man das sagen kaun, denn im hüpfenden Takte ist der dritte Ton neben dem ersten noch der bessere, hat etwas mehr Tonkraft als der zweite, der sich ganz unter¬ geordnet zugleich an den ersten und zweiten anlehnt, und soll hier dem Ton¬ gange den Abschluß geben, und das soll der Grundton sein, der zumal hier im ganzen Gebilde noch gewichtiger sein muß als das erste o — soll doch von einem Tongange oder einer Melodie der letzte Ton (nebst seiner nächste» Um¬ gebung) die Stelle vertreten, in der sich der Geist oder die Seele des Tor¬ ganges sammelt zur letzten Schlußwirknng im Gemüte; dies it o mit hüpfender, also der lebhaftesten Bewegung ist das Dürftigste, Erbärmlichste, vom Leben entfernteste, das man sich musikalisch denken kann, und damit der ganze Ton- gaug, den die armen Schüler daher leiern müssen, also als allerersten Vor¬ geschmack der hehren, schönen Musikwelt genießen sollen. Denn mit diesem musikalischen Unding beginnt man allen musikalischen Unter¬ richt in der ganzen weiten Bildungswelt! Ist das zu verantworten? Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/440>, abgerufen am 17.09.2024.