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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Tonleiter im Musikunterricht.

Wiederholen, welches sonst ihrem vierzehnten Jahrhundert so wenig entspricht?
Man überschätze die Gefahren nicht, welchen die deutsche Art, eingezwängt
zwischen die gewaltigen Massen des ihm innerlichst fremden Slawen- und
Keltentums, ausgesetzt ist. Es wäre nicht das erste mal in der Geschichte des
Geistes, daß die Sieger von den Besiegten unterjocht wurden. Und in diesem
Falle gehört wirklich nicht soviel dazu, als bei dem starren und zähen Römer.
Wir wollen nicht hoffen, daß in dieser plötzlichen Erscheinung jenes Dichters
vom "französisch-slawischen Vruderstamme" große Ereignisse ihren Schatten
vorauswerfen. Wir danken für solche Zukunftspoeten und hoffen dermaleinst
doch noch sagen zu können: Sie, ins 8<zrva,vit Apollo!




Die Tonleiter im Musikunterricht.
Aus Tagebuchblättern eines Sonntagsphilosoxhen.

ir ist es, als läge in der Tonleiter, mit der man den ersten
Musikunterricht beginnt als mit der Grundlage alles Touwesens,
eine große, große Verkehrtheit vor. Man hatte dabei offenbar ur¬
sprünglich das ABC als Vorbild im Sinne als Grundlage
alles Schriftwesens und Sprachwesens, also der ganzen ins Leben
tretenden Geisteswelt, wie ja anch die Töne vom ABC her ihre Namen haben.

Ich habe bei der Tonleiter, wie sie vom Schüler hergeleiert werden muß,
von jeher das Gefühl eines entschiedenen Mißbehagens gehabt. So schon in
meinen Knabenjahren, wo ich jenem Leiern bei Bekannten, die damit gequält
wurden, oft zugehört habe (ich selbst habe nie eine Stunde Klavierunterricht
gehabt), es auch für mich selbst nachmachte.

Später, als ich über das Wesen des Rhythmus viel nachdachte, ging mir
der tiefe Grund jenes Mißbehagens auf, und daß es berechtigt wäre, die Ton¬
leiter in jener Form abzulehnen, als ein musikalisches Unding, eigentlich das
größte, das im Tonwesen vorkommen kann. Die acht Töne von o bis wieder
zu e klingen daher -- nein, klingen verdient es gar nicht zu heißen --, tönen
oder klappern daher in ihrer Leiter aufwärts hinkend ohne alles rhythmische
Verhältnis in sich, ja mit Verneinung oder Zerstörung alles Rhythmus, ohne
den ein Klingen gar nicht möglich ist, es bleiben vereinzelte Stückchen oder
Klangbrocken, die sich innerlich gar nichts angehen. Ich habe oft unwillkürlich


Die Tonleiter im Musikunterricht.

Wiederholen, welches sonst ihrem vierzehnten Jahrhundert so wenig entspricht?
Man überschätze die Gefahren nicht, welchen die deutsche Art, eingezwängt
zwischen die gewaltigen Massen des ihm innerlichst fremden Slawen- und
Keltentums, ausgesetzt ist. Es wäre nicht das erste mal in der Geschichte des
Geistes, daß die Sieger von den Besiegten unterjocht wurden. Und in diesem
Falle gehört wirklich nicht soviel dazu, als bei dem starren und zähen Römer.
Wir wollen nicht hoffen, daß in dieser plötzlichen Erscheinung jenes Dichters
vom „französisch-slawischen Vruderstamme" große Ereignisse ihren Schatten
vorauswerfen. Wir danken für solche Zukunftspoeten und hoffen dermaleinst
doch noch sagen zu können: Sie, ins 8<zrva,vit Apollo!




Die Tonleiter im Musikunterricht.
Aus Tagebuchblättern eines Sonntagsphilosoxhen.

ir ist es, als läge in der Tonleiter, mit der man den ersten
Musikunterricht beginnt als mit der Grundlage alles Touwesens,
eine große, große Verkehrtheit vor. Man hatte dabei offenbar ur¬
sprünglich das ABC als Vorbild im Sinne als Grundlage
alles Schriftwesens und Sprachwesens, also der ganzen ins Leben
tretenden Geisteswelt, wie ja anch die Töne vom ABC her ihre Namen haben.

Ich habe bei der Tonleiter, wie sie vom Schüler hergeleiert werden muß,
von jeher das Gefühl eines entschiedenen Mißbehagens gehabt. So schon in
meinen Knabenjahren, wo ich jenem Leiern bei Bekannten, die damit gequält
wurden, oft zugehört habe (ich selbst habe nie eine Stunde Klavierunterricht
gehabt), es auch für mich selbst nachmachte.

Später, als ich über das Wesen des Rhythmus viel nachdachte, ging mir
der tiefe Grund jenes Mißbehagens auf, und daß es berechtigt wäre, die Ton¬
leiter in jener Form abzulehnen, als ein musikalisches Unding, eigentlich das
größte, das im Tonwesen vorkommen kann. Die acht Töne von o bis wieder
zu e klingen daher — nein, klingen verdient es gar nicht zu heißen —, tönen
oder klappern daher in ihrer Leiter aufwärts hinkend ohne alles rhythmische
Verhältnis in sich, ja mit Verneinung oder Zerstörung alles Rhythmus, ohne
den ein Klingen gar nicht möglich ist, es bleiben vereinzelte Stückchen oder
Klangbrocken, die sich innerlich gar nichts angehen. Ich habe oft unwillkürlich


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[0439] Die Tonleiter im Musikunterricht. Wiederholen, welches sonst ihrem vierzehnten Jahrhundert so wenig entspricht? Man überschätze die Gefahren nicht, welchen die deutsche Art, eingezwängt zwischen die gewaltigen Massen des ihm innerlichst fremden Slawen- und Keltentums, ausgesetzt ist. Es wäre nicht das erste mal in der Geschichte des Geistes, daß die Sieger von den Besiegten unterjocht wurden. Und in diesem Falle gehört wirklich nicht soviel dazu, als bei dem starren und zähen Römer. Wir wollen nicht hoffen, daß in dieser plötzlichen Erscheinung jenes Dichters vom „französisch-slawischen Vruderstamme" große Ereignisse ihren Schatten vorauswerfen. Wir danken für solche Zukunftspoeten und hoffen dermaleinst doch noch sagen zu können: Sie, ins 8<zrva,vit Apollo! Die Tonleiter im Musikunterricht. Aus Tagebuchblättern eines Sonntagsphilosoxhen. ir ist es, als läge in der Tonleiter, mit der man den ersten Musikunterricht beginnt als mit der Grundlage alles Touwesens, eine große, große Verkehrtheit vor. Man hatte dabei offenbar ur¬ sprünglich das ABC als Vorbild im Sinne als Grundlage alles Schriftwesens und Sprachwesens, also der ganzen ins Leben tretenden Geisteswelt, wie ja anch die Töne vom ABC her ihre Namen haben. Ich habe bei der Tonleiter, wie sie vom Schüler hergeleiert werden muß, von jeher das Gefühl eines entschiedenen Mißbehagens gehabt. So schon in meinen Knabenjahren, wo ich jenem Leiern bei Bekannten, die damit gequält wurden, oft zugehört habe (ich selbst habe nie eine Stunde Klavierunterricht gehabt), es auch für mich selbst nachmachte. Später, als ich über das Wesen des Rhythmus viel nachdachte, ging mir der tiefe Grund jenes Mißbehagens auf, und daß es berechtigt wäre, die Ton¬ leiter in jener Form abzulehnen, als ein musikalisches Unding, eigentlich das größte, das im Tonwesen vorkommen kann. Die acht Töne von o bis wieder zu e klingen daher — nein, klingen verdient es gar nicht zu heißen —, tönen oder klappern daher in ihrer Leiter aufwärts hinkend ohne alles rhythmische Verhältnis in sich, ja mit Verneinung oder Zerstörung alles Rhythmus, ohne den ein Klingen gar nicht möglich ist, es bleiben vereinzelte Stückchen oder Klangbrocken, die sich innerlich gar nichts angehen. Ich habe oft unwillkürlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/439>, abgerufen am 29.11.2024.