Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Znkunftspoeten. wissen, was es rin einer gemachten Zuknnftspoesic auf sich hat, oder verwirrt, Znkunftspoeten. wissen, was es rin einer gemachten Zuknnftspoesic auf sich hat, oder verwirrt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288891"/> <fw type="header" place="top"> Znkunftspoeten.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1231" prev="#ID_1230" next="#ID_1232"> wissen, was es rin einer gemachten Zuknnftspoesic auf sich hat, oder verwirrt,<lb/> wenn sie es nicht wissen. Wir wüßten wirklich nicht, was Deutschland speziell<lb/> vor den andern Ländern an diesem Norweger interessiren sollte, als etwa der<lb/> in solcher Natur tief begründete Haß deutscher Art und deutschen Wesens, seine<lb/> billigen Ankläffungen der deutschen Waffeusiege und der Kolouialbestrcbungcu<lb/> des „Herrn von Eberkopf," seine blöden und wirren Persiflirungen des deutschen<lb/> Geistes im „ Professor Begriffenfeld " oder seine Beschmutzungcn deutscher<lb/> Dichterkleinodien durch jene» echteste» Vertreter „seiner" Dichterphantasie, „Peer<lb/> Gynt." Aber das ist doch nachgerade nicht mehr die einzige Empfehlung eines<lb/> ausländischen Dichters in Deutschland. Wir würden auch im Hinblick auf den ge¬<lb/> wöhnlichen Anfenthalt und die jüngsten „Triumphe" dieses Dichters in Deutschland<lb/> mit Stillschweigen darüber hinweg gegangen sein, wenn es nicht einen offenbar<lb/> ganz unentbehrlichen Schlußstein zu seiner Charakteristik lieferte, wenn es nicht<lb/> auf einen Punkt hinlenkte, der uus wichtiger scheint, als seine und seinesgleichen<lb/> ganze Poesie, und der daher geeignet sein dürfte, dieser sonst manchem vielleicht<lb/> als verloren erscheinenden Untersuchung einer vorübergehenden Litcraturerscheinung<lb/> noch zu guter letzt die ernsten Rechte der Notwendigkeit zu verschaffen. Wenn<lb/> man nämlich diese Zeichen unsrer neuesten Literaturzcit zu deuten versucht und<lb/> ihre Konstellation auch nur mit der vergleicht, die noch vor einem Jahrzehnt<lb/> die ausschließlich herrschende war, so wird man zu dem peinlichen Ergebnis<lb/> gelangen, daß der Prospekt, der uns noch immer unmittelbar mit dem großen Höhen-<lb/> lauf unsrer Literatur verbindet, immer mehr sich zu verschieben und zu weichen<lb/> beginnt, und daß die neuen Erscheinungen, welche dafür eintreten, unheimlich<lb/> genug entweder ganz fremdländisch sind oder den Stempel des Fremdländische»<lb/> dentlich an sich tragen. Keller, Hesse und Gustav Freytag, Grillparzer, Hebbel<lb/> und Ludwig, Auerbach, Storm und Gotthelf, Geibel und Lingg biete» uicht nur<lb/> Ausgestaltungen und Fortbildungen des Lessing-Goethe-Schillerschen Erbes,<lb/> sie tragen sogar uoch Elemente aus, die bis hinauf zu Klopstock und dem<lb/> Hainbund reichen. Dagegen betrachte man schon deren Nachwuchs und nun<lb/> gar die durch Urzeugung entstehenden unzählbaren und unklassifizirbaren lite-<lb/> rarischen „Organismen," welche sich zu einem ärmlichen Tagesdasein täglich und<lb/> stündlich zwischen denselben drängen. Das, was beiden gemeinsam ist, das ist<lb/> nur die Trennung von den Wurzeln der heimischen Literatur, nur daß die<lb/> letzter» überhaupt nie eine Verbindung mit derselben besessen haben, der erstere<lb/> aber diese Verbindung, soweit sie noch besteht, am liebsten ganz leugnen und<lb/> sobald als möglich löffeln möchte. Was will gegen das Übergewicht solcher<lb/> Thatsachen das verstreute Auftreten vereinzelter archaisirender Erscheinungen<lb/> sagen! Sollte das wirklich mehr als einen vorübergehenden Zustand bedeuten?<lb/> Sollten die Deutschen ihrer schönen Originalität schon so rasch überdrüssig ge¬<lb/> worden sein, sollten sich in ihrer Literatur, wie es leider so sehr den Anschein<lb/> hat, die Katastrophen des vierzehnten Jahrhunderts gerade in einem Zeitalter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0438]
Znkunftspoeten.
wissen, was es rin einer gemachten Zuknnftspoesic auf sich hat, oder verwirrt,
wenn sie es nicht wissen. Wir wüßten wirklich nicht, was Deutschland speziell
vor den andern Ländern an diesem Norweger interessiren sollte, als etwa der
in solcher Natur tief begründete Haß deutscher Art und deutschen Wesens, seine
billigen Ankläffungen der deutschen Waffeusiege und der Kolouialbestrcbungcu
des „Herrn von Eberkopf," seine blöden und wirren Persiflirungen des deutschen
Geistes im „ Professor Begriffenfeld " oder seine Beschmutzungcn deutscher
Dichterkleinodien durch jene» echteste» Vertreter „seiner" Dichterphantasie, „Peer
Gynt." Aber das ist doch nachgerade nicht mehr die einzige Empfehlung eines
ausländischen Dichters in Deutschland. Wir würden auch im Hinblick auf den ge¬
wöhnlichen Anfenthalt und die jüngsten „Triumphe" dieses Dichters in Deutschland
mit Stillschweigen darüber hinweg gegangen sein, wenn es nicht einen offenbar
ganz unentbehrlichen Schlußstein zu seiner Charakteristik lieferte, wenn es nicht
auf einen Punkt hinlenkte, der uus wichtiger scheint, als seine und seinesgleichen
ganze Poesie, und der daher geeignet sein dürfte, dieser sonst manchem vielleicht
als verloren erscheinenden Untersuchung einer vorübergehenden Litcraturerscheinung
noch zu guter letzt die ernsten Rechte der Notwendigkeit zu verschaffen. Wenn
man nämlich diese Zeichen unsrer neuesten Literaturzcit zu deuten versucht und
ihre Konstellation auch nur mit der vergleicht, die noch vor einem Jahrzehnt
die ausschließlich herrschende war, so wird man zu dem peinlichen Ergebnis
gelangen, daß der Prospekt, der uns noch immer unmittelbar mit dem großen Höhen-
lauf unsrer Literatur verbindet, immer mehr sich zu verschieben und zu weichen
beginnt, und daß die neuen Erscheinungen, welche dafür eintreten, unheimlich
genug entweder ganz fremdländisch sind oder den Stempel des Fremdländische»
dentlich an sich tragen. Keller, Hesse und Gustav Freytag, Grillparzer, Hebbel
und Ludwig, Auerbach, Storm und Gotthelf, Geibel und Lingg biete» uicht nur
Ausgestaltungen und Fortbildungen des Lessing-Goethe-Schillerschen Erbes,
sie tragen sogar uoch Elemente aus, die bis hinauf zu Klopstock und dem
Hainbund reichen. Dagegen betrachte man schon deren Nachwuchs und nun
gar die durch Urzeugung entstehenden unzählbaren und unklassifizirbaren lite-
rarischen „Organismen," welche sich zu einem ärmlichen Tagesdasein täglich und
stündlich zwischen denselben drängen. Das, was beiden gemeinsam ist, das ist
nur die Trennung von den Wurzeln der heimischen Literatur, nur daß die
letzter» überhaupt nie eine Verbindung mit derselben besessen haben, der erstere
aber diese Verbindung, soweit sie noch besteht, am liebsten ganz leugnen und
sobald als möglich löffeln möchte. Was will gegen das Übergewicht solcher
Thatsachen das verstreute Auftreten vereinzelter archaisirender Erscheinungen
sagen! Sollte das wirklich mehr als einen vorübergehenden Zustand bedeuten?
Sollten die Deutschen ihrer schönen Originalität schon so rasch überdrüssig ge¬
worden sein, sollten sich in ihrer Literatur, wie es leider so sehr den Anschein
hat, die Katastrophen des vierzehnten Jahrhunderts gerade in einem Zeitalter
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