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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zukunftspoeten.

das steht ihnen und ihrer Umgebung bombenfest. Nur der arme Zuschauer
erfährt nichts davon. Aber auch den bescheidensten Anhaltepunkt, der sich ihnen
bietet, wie z. B. die welterschütternde Thatsache, daß das Wasser eines Seebades
durch Kloakenabflüsse verunreinigt wird (kolossale Entdeckung!), benutzen sie zu¬
versichtlich alsbald dazu, um daran die UnHaltbarkeit der gesamten Weltordnung
nachzuweisen. Man wird uns jedoch kaum der Gefühllosigkeit zeihen, daß wir
an der "gesamten Weltordnung" gemessen nicht bloß jene Kloake, sondern auch
die Wechselfälschung einer Frau, den sittlichen Fehltritt eines Familienvaters,
den Kassendiebstahl eines spätern Konsuls, ja selbst die Gehirnerweichung eines
begabten jungen Malers als recht bescheidene Thatsachen bezeichnen. Man
würde es diesen Männlein und Weiblein gar nicht übel nehmen, wenn sie sich
sehr unglücklich fühlten. Aber das thun sie gar nicht, man könnte sie ja sonst
mit den Heroen Ifflands oder gar denen des Herrn Kotzebue verwechseln. Nein,
sie schlagen alsbald den Schopenhauer, Helvetius, Darwin auf, um uns Apho¬
rismen daraus mitzuteilen. Und dabei thun sie immer, als hätten sie den
Entwurf zu einer ganz reizenden Weltordnung nach ihrem Sinne fertig in der
Tasche. Wir wollen nicht sagen, daß dies keine Menschen seien; aber es sind
jedenfalls keine Menschen in jenen unglücklichen Lebenslagen. Es giebt solche
Menschen, aber es sind unausstehliche Menschen. Die Charakterform einer ganz
eigentümlichen Unausstehlichkeit zeigen besonders die Frauen in diesen Stücken.
Es sind natürlich samt und sonders "freie Weiber," ob sie sich nun. je nach
Bedarf in die Aufgabe des starken oder des erlösenden Weibes teilen. Sie sind
es, die den Weltbeglücker zuerst "verstehen," die sich ihm mit souveräner Um¬
gehung ihrer Pflichten an den Hals werfen, auf ihn warten, sich für ihn opfern,
ihm Recht geben, kurz und gut alle jene Mätzchen machen, die "Frauen" für
gewöhnlich unter ihrer Würde halten. Daß dies den Intentionen der betreffenden
Herren Geistpaschas völlig entspricht, daß sie es für selbstverständlich halten,
gar nicht bemerken, das ist ja nur natürlich. Denn in dieser ganzen geistigen
Atmosphäre bildet die eines "moralisch-ästhetischen Serails," wie schon Goethe
stichelt, stets einen integrirenden Bestandteil. Aber was diese Frauen gerade so
unausstehlich macht, das ist die Virtuosität, mit der sie das schöne Erbteil des
Weibes, die gesunde Vernunft, verleugnen können, die Frechheit, mit der sie sein
Heiligtum, den Takt, außer Acht setzen, die Zudringlichkeit, mit der sie sich
schon im zartesten, naivsten Alter ganz bewußt und völlig altweiberhaft um
Dinge kümmern, die sie nichts angehen. Da stürzt so eine widerwärtige Horcheritt
von siebzehn Lenzen zum Vater, der sich mit seinem Bruder in einer erregten
Auseinandersetzung befindet, ins Zimmer und schreit: "Vater, das darfst dn dir
nicht gefallen lassen!" Da ist ein verliebtes Ding von vierzehn Jahren, das ganz
ernsthaft das Geheimnis seiner Geburt ergründen will, und das, nachdem es das¬
selbe glücklich heraus hat, dem Stiefvater zum Tort -- weil er nicht merken
Will, daß der kleine Balg in ihn verliebt ist -- sich eine Pistole durch den Kopf


Zukunftspoeten.

das steht ihnen und ihrer Umgebung bombenfest. Nur der arme Zuschauer
erfährt nichts davon. Aber auch den bescheidensten Anhaltepunkt, der sich ihnen
bietet, wie z. B. die welterschütternde Thatsache, daß das Wasser eines Seebades
durch Kloakenabflüsse verunreinigt wird (kolossale Entdeckung!), benutzen sie zu¬
versichtlich alsbald dazu, um daran die UnHaltbarkeit der gesamten Weltordnung
nachzuweisen. Man wird uns jedoch kaum der Gefühllosigkeit zeihen, daß wir
an der „gesamten Weltordnung" gemessen nicht bloß jene Kloake, sondern auch
die Wechselfälschung einer Frau, den sittlichen Fehltritt eines Familienvaters,
den Kassendiebstahl eines spätern Konsuls, ja selbst die Gehirnerweichung eines
begabten jungen Malers als recht bescheidene Thatsachen bezeichnen. Man
würde es diesen Männlein und Weiblein gar nicht übel nehmen, wenn sie sich
sehr unglücklich fühlten. Aber das thun sie gar nicht, man könnte sie ja sonst
mit den Heroen Ifflands oder gar denen des Herrn Kotzebue verwechseln. Nein,
sie schlagen alsbald den Schopenhauer, Helvetius, Darwin auf, um uns Apho¬
rismen daraus mitzuteilen. Und dabei thun sie immer, als hätten sie den
Entwurf zu einer ganz reizenden Weltordnung nach ihrem Sinne fertig in der
Tasche. Wir wollen nicht sagen, daß dies keine Menschen seien; aber es sind
jedenfalls keine Menschen in jenen unglücklichen Lebenslagen. Es giebt solche
Menschen, aber es sind unausstehliche Menschen. Die Charakterform einer ganz
eigentümlichen Unausstehlichkeit zeigen besonders die Frauen in diesen Stücken.
Es sind natürlich samt und sonders „freie Weiber," ob sie sich nun. je nach
Bedarf in die Aufgabe des starken oder des erlösenden Weibes teilen. Sie sind
es, die den Weltbeglücker zuerst „verstehen," die sich ihm mit souveräner Um¬
gehung ihrer Pflichten an den Hals werfen, auf ihn warten, sich für ihn opfern,
ihm Recht geben, kurz und gut alle jene Mätzchen machen, die „Frauen" für
gewöhnlich unter ihrer Würde halten. Daß dies den Intentionen der betreffenden
Herren Geistpaschas völlig entspricht, daß sie es für selbstverständlich halten,
gar nicht bemerken, das ist ja nur natürlich. Denn in dieser ganzen geistigen
Atmosphäre bildet die eines „moralisch-ästhetischen Serails," wie schon Goethe
stichelt, stets einen integrirenden Bestandteil. Aber was diese Frauen gerade so
unausstehlich macht, das ist die Virtuosität, mit der sie das schöne Erbteil des
Weibes, die gesunde Vernunft, verleugnen können, die Frechheit, mit der sie sein
Heiligtum, den Takt, außer Acht setzen, die Zudringlichkeit, mit der sie sich
schon im zartesten, naivsten Alter ganz bewußt und völlig altweiberhaft um
Dinge kümmern, die sie nichts angehen. Da stürzt so eine widerwärtige Horcheritt
von siebzehn Lenzen zum Vater, der sich mit seinem Bruder in einer erregten
Auseinandersetzung befindet, ins Zimmer und schreit: „Vater, das darfst dn dir
nicht gefallen lassen!" Da ist ein verliebtes Ding von vierzehn Jahren, das ganz
ernsthaft das Geheimnis seiner Geburt ergründen will, und das, nachdem es das¬
selbe glücklich heraus hat, dem Stiefvater zum Tort — weil er nicht merken
Will, daß der kleine Balg in ihn verliebt ist — sich eine Pistole durch den Kopf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/434>, abgerufen am 17.09.2024.