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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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werte" Selbstgenügsamkeit versetzt hat. durch die das Faustische zum Äffischcn
und die Ironie nur zu leicht zur Selbstironie ward. Stellt "Brand" vor¬
wiegend die eine Seite dar, so belegt "Peer Gynt" hauptsächlich die andre.
Eigentlich sind alle Jbseuscheu Helden von vornherein "Fauste," und sie sind
auch, was ihren Wert allerdings mit einem male sehr verändert, durchgängig
umgekehrte Fauste. Allein dieser norwegische Pastor Brand, der die Welt durch
seinen "Manneswillen" erlösen will und dies dadurch bethätigt, daß er sein
Weib zu Tode quält, -seine Mutter in Verzweiflung sterben läßt und seiue
gläubige Gemeinde in eine Einöde führt, wo sie verhungern muß -- dieser
Schopenhauer mit Bäffcheu, dieser Monologen-Napoleon ist wirklich ein Kanon
für sie alle. Faust ist wirklich die tragische Erscheinung des denkenden Menschen
an sich, weil er die Aussichtslosigkeit auf letztes Wissen im härtesten Geistes¬
kampfe erobert, an einer unermeßlichen Fülle von Einzelheiten mephistophelisch
erhärtet und trotzdem weder zu leben noch geistig zu leben aufhört, die Ele¬
mente weiter in die Schranken ruft und ihnen in unermüdlichem Thatcnsturm
täglich von neuem Freiheit und Leben abringe. Diese Herren dagegen wissen
alles; sie sind nicht einen Augenblick im Zweifel darüber, daß die jeweilige
Meinung ihres göttlichen Ichs das bedeutet, was die Welt im Innersten zu¬
sammenhält. Nur daß sie immer gerade zufällig nichts thun können, daß gerade
sie immer von rüntevollen, boshaften Leuten am Schaffen gehindert werden,
das will ihnen schier das göttliche Herz verbrennen. Und -- man nehme diese
Charakterisirung nicht übel -- das ist nicht nur nicht tragisch, sondern geradezu
komisch. Da es aber nun gleichwohl tragisch gefaßt wird, da es sich all die
tausendfältigen Abstufungen und Kleinigkeiten, an denen die komische Wirkung
hängt, natürlich entgehen lassen muß, sondern immerzu auf dem gleichen, hohen
und hohlen, eintönig klappernden Kothurn einherschreitet, so wirkt das ans die
Länge unsäglich einförmig, ledern, gattuugsartig. Ja, diese Jchheldeu mit ihren
bramarbasirenden Persönlichkeiten wirken gattungsartig, und das ist gar nicht
wunderbar, weil sie ja wirklich im Leben die Regel, die Gattung bilden, wenn
auch glücklicherweise für gewöhnlich nicht in diesem wahnwitzig hohen Grade.
Da ist ein Schema, welches dnrch all diese Stücke, ob philosophische oder ganz
unphilosophische Familienstücke, geht. Wie in den Genieromanen sich die Leute
eines schönen Tages "Dichter fühlen" (so wörtlich bei dem Polen Kraszewsti),
so "fühlen sich" die Jbsenschen "Persönlichkeiten" eines Morgens beim Auf¬
stehen "Volksbeglücker." Sie haben irgendeine welterschütternde Entdeckung
gemacht, stehen von nun an mit dem Weltgeist auf du und du und fangen ganz
gemütlich eine neue Ära an. Das Lustigste in dieser Beziehung leistet der
neueste, rasch auf den Mvdemarkt geworfene Jbsensche Held, der Pastor Rosmer
ans Nosmcrshvlm. Hier ist auch nicht der Schatten einer Idee zu entdecken,
was diesem Manne eigentlich aufgegangen ist, was er weiß und was er will.
Aber daß diese Leute wissen, daß sie wolle" und zwar ganz riesig "wollen,"


Glenzlioleu II. 1387. 54
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werte» Selbstgenügsamkeit versetzt hat. durch die das Faustische zum Äffischcn
und die Ironie nur zu leicht zur Selbstironie ward. Stellt „Brand" vor¬
wiegend die eine Seite dar, so belegt „Peer Gynt" hauptsächlich die andre.
Eigentlich sind alle Jbseuscheu Helden von vornherein „Fauste," und sie sind
auch, was ihren Wert allerdings mit einem male sehr verändert, durchgängig
umgekehrte Fauste. Allein dieser norwegische Pastor Brand, der die Welt durch
seinen „Manneswillen" erlösen will und dies dadurch bethätigt, daß er sein
Weib zu Tode quält, -seine Mutter in Verzweiflung sterben läßt und seiue
gläubige Gemeinde in eine Einöde führt, wo sie verhungern muß — dieser
Schopenhauer mit Bäffcheu, dieser Monologen-Napoleon ist wirklich ein Kanon
für sie alle. Faust ist wirklich die tragische Erscheinung des denkenden Menschen
an sich, weil er die Aussichtslosigkeit auf letztes Wissen im härtesten Geistes¬
kampfe erobert, an einer unermeßlichen Fülle von Einzelheiten mephistophelisch
erhärtet und trotzdem weder zu leben noch geistig zu leben aufhört, die Ele¬
mente weiter in die Schranken ruft und ihnen in unermüdlichem Thatcnsturm
täglich von neuem Freiheit und Leben abringe. Diese Herren dagegen wissen
alles; sie sind nicht einen Augenblick im Zweifel darüber, daß die jeweilige
Meinung ihres göttlichen Ichs das bedeutet, was die Welt im Innersten zu¬
sammenhält. Nur daß sie immer gerade zufällig nichts thun können, daß gerade
sie immer von rüntevollen, boshaften Leuten am Schaffen gehindert werden,
das will ihnen schier das göttliche Herz verbrennen. Und — man nehme diese
Charakterisirung nicht übel — das ist nicht nur nicht tragisch, sondern geradezu
komisch. Da es aber nun gleichwohl tragisch gefaßt wird, da es sich all die
tausendfältigen Abstufungen und Kleinigkeiten, an denen die komische Wirkung
hängt, natürlich entgehen lassen muß, sondern immerzu auf dem gleichen, hohen
und hohlen, eintönig klappernden Kothurn einherschreitet, so wirkt das ans die
Länge unsäglich einförmig, ledern, gattuugsartig. Ja, diese Jchheldeu mit ihren
bramarbasirenden Persönlichkeiten wirken gattungsartig, und das ist gar nicht
wunderbar, weil sie ja wirklich im Leben die Regel, die Gattung bilden, wenn
auch glücklicherweise für gewöhnlich nicht in diesem wahnwitzig hohen Grade.
Da ist ein Schema, welches dnrch all diese Stücke, ob philosophische oder ganz
unphilosophische Familienstücke, geht. Wie in den Genieromanen sich die Leute
eines schönen Tages „Dichter fühlen" (so wörtlich bei dem Polen Kraszewsti),
so „fühlen sich" die Jbsenschen „Persönlichkeiten" eines Morgens beim Auf¬
stehen „Volksbeglücker." Sie haben irgendeine welterschütternde Entdeckung
gemacht, stehen von nun an mit dem Weltgeist auf du und du und fangen ganz
gemütlich eine neue Ära an. Das Lustigste in dieser Beziehung leistet der
neueste, rasch auf den Mvdemarkt geworfene Jbsensche Held, der Pastor Rosmer
ans Nosmcrshvlm. Hier ist auch nicht der Schatten einer Idee zu entdecken,
was diesem Manne eigentlich aufgegangen ist, was er weiß und was er will.
Aber daß diese Leute wissen, daß sie wolle» und zwar ganz riesig „wollen,"


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[0433] Znkmiftspocten, werte» Selbstgenügsamkeit versetzt hat. durch die das Faustische zum Äffischcn und die Ironie nur zu leicht zur Selbstironie ward. Stellt „Brand" vor¬ wiegend die eine Seite dar, so belegt „Peer Gynt" hauptsächlich die andre. Eigentlich sind alle Jbseuscheu Helden von vornherein „Fauste," und sie sind auch, was ihren Wert allerdings mit einem male sehr verändert, durchgängig umgekehrte Fauste. Allein dieser norwegische Pastor Brand, der die Welt durch seinen „Manneswillen" erlösen will und dies dadurch bethätigt, daß er sein Weib zu Tode quält, -seine Mutter in Verzweiflung sterben läßt und seiue gläubige Gemeinde in eine Einöde führt, wo sie verhungern muß — dieser Schopenhauer mit Bäffcheu, dieser Monologen-Napoleon ist wirklich ein Kanon für sie alle. Faust ist wirklich die tragische Erscheinung des denkenden Menschen an sich, weil er die Aussichtslosigkeit auf letztes Wissen im härtesten Geistes¬ kampfe erobert, an einer unermeßlichen Fülle von Einzelheiten mephistophelisch erhärtet und trotzdem weder zu leben noch geistig zu leben aufhört, die Ele¬ mente weiter in die Schranken ruft und ihnen in unermüdlichem Thatcnsturm täglich von neuem Freiheit und Leben abringe. Diese Herren dagegen wissen alles; sie sind nicht einen Augenblick im Zweifel darüber, daß die jeweilige Meinung ihres göttlichen Ichs das bedeutet, was die Welt im Innersten zu¬ sammenhält. Nur daß sie immer gerade zufällig nichts thun können, daß gerade sie immer von rüntevollen, boshaften Leuten am Schaffen gehindert werden, das will ihnen schier das göttliche Herz verbrennen. Und — man nehme diese Charakterisirung nicht übel — das ist nicht nur nicht tragisch, sondern geradezu komisch. Da es aber nun gleichwohl tragisch gefaßt wird, da es sich all die tausendfältigen Abstufungen und Kleinigkeiten, an denen die komische Wirkung hängt, natürlich entgehen lassen muß, sondern immerzu auf dem gleichen, hohen und hohlen, eintönig klappernden Kothurn einherschreitet, so wirkt das ans die Länge unsäglich einförmig, ledern, gattuugsartig. Ja, diese Jchheldeu mit ihren bramarbasirenden Persönlichkeiten wirken gattungsartig, und das ist gar nicht wunderbar, weil sie ja wirklich im Leben die Regel, die Gattung bilden, wenn auch glücklicherweise für gewöhnlich nicht in diesem wahnwitzig hohen Grade. Da ist ein Schema, welches dnrch all diese Stücke, ob philosophische oder ganz unphilosophische Familienstücke, geht. Wie in den Genieromanen sich die Leute eines schönen Tages „Dichter fühlen" (so wörtlich bei dem Polen Kraszewsti), so „fühlen sich" die Jbsenschen „Persönlichkeiten" eines Morgens beim Auf¬ stehen „Volksbeglücker." Sie haben irgendeine welterschütternde Entdeckung gemacht, stehen von nun an mit dem Weltgeist auf du und du und fangen ganz gemütlich eine neue Ära an. Das Lustigste in dieser Beziehung leistet der neueste, rasch auf den Mvdemarkt geworfene Jbsensche Held, der Pastor Rosmer ans Nosmcrshvlm. Hier ist auch nicht der Schatten einer Idee zu entdecken, was diesem Manne eigentlich aufgegangen ist, was er weiß und was er will. Aber daß diese Leute wissen, daß sie wolle» und zwar ganz riesig „wollen," Glenzlioleu II. 1387. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/433>, abgerufen am 17.09.2024.