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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zukunftspoeten.

der ernste Ausdruck eines notwendigen sozialistischen Rückschlages gegen die Aus¬
schreitungen und Gebrechen der übermütigen, selbstsüchtigen Bourgeoisdemokratie,
sondern im Gegenteil ganz in deren Sinne gehaltenes leichtsinniges Gepränge
eines ehrgeizigen Worthelden sind, dem das rein Physische Elend in der Menschheit
nicht traurig genug für die Befriedigung des Unterhaltungs- und Aufregungs-
bedürfnifses einer beschäftigungslosen, stumpfsinnigen Salongesellschaft scheint.
Um dies verständlich zu finden, braucht man sich die Individualität dieses
Mannes nur etwas genauer anzusehen, braucht mau sich nur zu vergegenwärtigen,
in welchem geistigen Boden er wurzelt und zu was für seltsamen Formen und An¬
passungen die Früchte desselben auch anderswo mit der Zeit gedrängt worden sind.
Man kann seine Schriften bis auf das geringfügigste Gelegenheitsblattchen auf¬
schlagen, wo man will, so wird man unfehlbar alsbald auf den heftigen Aus¬
bruch einer oft geradezu krankhaft erscheinenden -- es läßt sich in dieser All¬
gemeinheit nicht gut anders bezeichnen --, einer bis ins Maßlose gesteigerten
Ichsucht stoßen. Unter welchen Gestalten und Drapirungen dies auch auf¬
treten mag, das höchst naive Ergebnis ist stets die eintönige Klage, daß das
Ich in irgend welcher Umgebung nicht genügend zur Geltung gelangen könne.
Wohlgemerkt: zur Geltung, nicht etwa überhaupt zur Thätigkeit, zum Wirken!
Dies letztere wäre nicht nur möglich, sondern sogar höchst notwendig, wenn
wir an die Vcrrottung ihrer Umgebung glauben wollen, von der diese ver¬
kannten Ichs fortwährend und in den stärksten Ausdrücken reden. Aber sie
beschränken sich eben darauf, zu reden und zu reden, und zwar immer und
immerfort über dasselbe Thema, daß sie verkannt seien, daß sie gekommen seien,
die Welt zu beglücken und zu erlösen, daß aber die stumpfe Welt nicht an sie
glaube und ihnen die für eine solche Mission nötigen Ehren versage u. dergl.
Und dazu wird nun das ernsteste und jämmerlichste Gesicht gemacht, und nicht
der leiseste Schatten einer Andeutung findet sich, daß doch auch in der besten
der möglichen Welten selbst im Sinne dieser Herren der Erfolg unmöglich der
Leistung vorangehen kann, und daß in dieser nach ihrer Ansicht schlechtesten
Welt der unzweifelhaft gute Satz gilt: Wer Dank begehrt, der hat seinen Lohn
dahin. Freilich wenn man diese Leute als einen ganz besondern Typus unsrer
Zeit auffaßt, so wird dem norwegischen Dramenschreiber das zweifelhafte Ver¬
dienst nicht abgesprochen werden können, für sie sozusagen zu einem klassischen
Ort geworden zu sein, auf welchem sie sich alle wie in einem Gesamtexemplar
darstellen. Es sind die Phrasenhelden der Radikalrevolution und Weltver-
himmelung auf ihrer letzten Stufe, der Stufe der Verbitterung und Verein¬
samung. Es ist der Pessimismus der unbefriedigten Eitelkeit, der sie durchdringt,
es ist der Nihilismus der Ohnmacht, den sie predigen.

Aus diesem Geiste heraus hat Henrik Ibsen philosophische Dramen ge¬
schrieben in jenem fanstisch-ironischen Stile, wie ihn das "junge Deutschland"
von der Romantik überkommen, aber mit jener ihm eigentümlichen beneidens-


Zukunftspoeten.

der ernste Ausdruck eines notwendigen sozialistischen Rückschlages gegen die Aus¬
schreitungen und Gebrechen der übermütigen, selbstsüchtigen Bourgeoisdemokratie,
sondern im Gegenteil ganz in deren Sinne gehaltenes leichtsinniges Gepränge
eines ehrgeizigen Worthelden sind, dem das rein Physische Elend in der Menschheit
nicht traurig genug für die Befriedigung des Unterhaltungs- und Aufregungs-
bedürfnifses einer beschäftigungslosen, stumpfsinnigen Salongesellschaft scheint.
Um dies verständlich zu finden, braucht man sich die Individualität dieses
Mannes nur etwas genauer anzusehen, braucht mau sich nur zu vergegenwärtigen,
in welchem geistigen Boden er wurzelt und zu was für seltsamen Formen und An¬
passungen die Früchte desselben auch anderswo mit der Zeit gedrängt worden sind.
Man kann seine Schriften bis auf das geringfügigste Gelegenheitsblattchen auf¬
schlagen, wo man will, so wird man unfehlbar alsbald auf den heftigen Aus¬
bruch einer oft geradezu krankhaft erscheinenden — es läßt sich in dieser All¬
gemeinheit nicht gut anders bezeichnen —, einer bis ins Maßlose gesteigerten
Ichsucht stoßen. Unter welchen Gestalten und Drapirungen dies auch auf¬
treten mag, das höchst naive Ergebnis ist stets die eintönige Klage, daß das
Ich in irgend welcher Umgebung nicht genügend zur Geltung gelangen könne.
Wohlgemerkt: zur Geltung, nicht etwa überhaupt zur Thätigkeit, zum Wirken!
Dies letztere wäre nicht nur möglich, sondern sogar höchst notwendig, wenn
wir an die Vcrrottung ihrer Umgebung glauben wollen, von der diese ver¬
kannten Ichs fortwährend und in den stärksten Ausdrücken reden. Aber sie
beschränken sich eben darauf, zu reden und zu reden, und zwar immer und
immerfort über dasselbe Thema, daß sie verkannt seien, daß sie gekommen seien,
die Welt zu beglücken und zu erlösen, daß aber die stumpfe Welt nicht an sie
glaube und ihnen die für eine solche Mission nötigen Ehren versage u. dergl.
Und dazu wird nun das ernsteste und jämmerlichste Gesicht gemacht, und nicht
der leiseste Schatten einer Andeutung findet sich, daß doch auch in der besten
der möglichen Welten selbst im Sinne dieser Herren der Erfolg unmöglich der
Leistung vorangehen kann, und daß in dieser nach ihrer Ansicht schlechtesten
Welt der unzweifelhaft gute Satz gilt: Wer Dank begehrt, der hat seinen Lohn
dahin. Freilich wenn man diese Leute als einen ganz besondern Typus unsrer
Zeit auffaßt, so wird dem norwegischen Dramenschreiber das zweifelhafte Ver¬
dienst nicht abgesprochen werden können, für sie sozusagen zu einem klassischen
Ort geworden zu sein, auf welchem sie sich alle wie in einem Gesamtexemplar
darstellen. Es sind die Phrasenhelden der Radikalrevolution und Weltver-
himmelung auf ihrer letzten Stufe, der Stufe der Verbitterung und Verein¬
samung. Es ist der Pessimismus der unbefriedigten Eitelkeit, der sie durchdringt,
es ist der Nihilismus der Ohnmacht, den sie predigen.

Aus diesem Geiste heraus hat Henrik Ibsen philosophische Dramen ge¬
schrieben in jenem fanstisch-ironischen Stile, wie ihn das „junge Deutschland"
von der Romantik überkommen, aber mit jener ihm eigentümlichen beneidens-


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[0432] Zukunftspoeten. der ernste Ausdruck eines notwendigen sozialistischen Rückschlages gegen die Aus¬ schreitungen und Gebrechen der übermütigen, selbstsüchtigen Bourgeoisdemokratie, sondern im Gegenteil ganz in deren Sinne gehaltenes leichtsinniges Gepränge eines ehrgeizigen Worthelden sind, dem das rein Physische Elend in der Menschheit nicht traurig genug für die Befriedigung des Unterhaltungs- und Aufregungs- bedürfnifses einer beschäftigungslosen, stumpfsinnigen Salongesellschaft scheint. Um dies verständlich zu finden, braucht man sich die Individualität dieses Mannes nur etwas genauer anzusehen, braucht mau sich nur zu vergegenwärtigen, in welchem geistigen Boden er wurzelt und zu was für seltsamen Formen und An¬ passungen die Früchte desselben auch anderswo mit der Zeit gedrängt worden sind. Man kann seine Schriften bis auf das geringfügigste Gelegenheitsblattchen auf¬ schlagen, wo man will, so wird man unfehlbar alsbald auf den heftigen Aus¬ bruch einer oft geradezu krankhaft erscheinenden — es läßt sich in dieser All¬ gemeinheit nicht gut anders bezeichnen —, einer bis ins Maßlose gesteigerten Ichsucht stoßen. Unter welchen Gestalten und Drapirungen dies auch auf¬ treten mag, das höchst naive Ergebnis ist stets die eintönige Klage, daß das Ich in irgend welcher Umgebung nicht genügend zur Geltung gelangen könne. Wohlgemerkt: zur Geltung, nicht etwa überhaupt zur Thätigkeit, zum Wirken! Dies letztere wäre nicht nur möglich, sondern sogar höchst notwendig, wenn wir an die Vcrrottung ihrer Umgebung glauben wollen, von der diese ver¬ kannten Ichs fortwährend und in den stärksten Ausdrücken reden. Aber sie beschränken sich eben darauf, zu reden und zu reden, und zwar immer und immerfort über dasselbe Thema, daß sie verkannt seien, daß sie gekommen seien, die Welt zu beglücken und zu erlösen, daß aber die stumpfe Welt nicht an sie glaube und ihnen die für eine solche Mission nötigen Ehren versage u. dergl. Und dazu wird nun das ernsteste und jämmerlichste Gesicht gemacht, und nicht der leiseste Schatten einer Andeutung findet sich, daß doch auch in der besten der möglichen Welten selbst im Sinne dieser Herren der Erfolg unmöglich der Leistung vorangehen kann, und daß in dieser nach ihrer Ansicht schlechtesten Welt der unzweifelhaft gute Satz gilt: Wer Dank begehrt, der hat seinen Lohn dahin. Freilich wenn man diese Leute als einen ganz besondern Typus unsrer Zeit auffaßt, so wird dem norwegischen Dramenschreiber das zweifelhafte Ver¬ dienst nicht abgesprochen werden können, für sie sozusagen zu einem klassischen Ort geworden zu sein, auf welchem sie sich alle wie in einem Gesamtexemplar darstellen. Es sind die Phrasenhelden der Radikalrevolution und Weltver- himmelung auf ihrer letzten Stufe, der Stufe der Verbitterung und Verein¬ samung. Es ist der Pessimismus der unbefriedigten Eitelkeit, der sie durchdringt, es ist der Nihilismus der Ohnmacht, den sie predigen. Aus diesem Geiste heraus hat Henrik Ibsen philosophische Dramen ge¬ schrieben in jenem fanstisch-ironischen Stile, wie ihn das „junge Deutschland" von der Romantik überkommen, aber mit jener ihm eigentümlichen beneidens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/432>, abgerufen am 17.09.2024.