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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

schriften und Tagesblättern ist bereits bemüht, von ihren Spalten die Fremd¬
wörter nach Kräften fernzuhalten, und allem Anschein nach darf man sich auch der
Hoffnung hingeben, daß, wie auf dem Gebiete des Postweseus, so auch in andern
Zweigen der staatlichen Verwaltung den Wucherungen der Verwälschung in der
amtlichen Sprache bald ein Ziel gesetzt werden wird.

Bei dieser Sachlage wendet sich der Blick unwillkürlich jenen Männern
zu, die schon vor unsern Tagen für die Reinheit der Muttersprache auf den
Kampfplatz getreten sind. Man wünscht die Waffen zu sehen, die sie ge¬
schwungen, wünscht sich der Siege zu freuen, die sie erfochten haben. Dabei
ist es aber nützlich, auch auf die Blößen zu achten, die sie den Gegnern dar-'
geboten, und auf die Stöße, die sie deshalb empfangen haben. Nur so vermag
die Vergangenheit eine Lehrmeisterin der Gegenwart zu werden, nur so aus dem
Ringen der Vorzeit ein dauernder und sicherer Gewinn auch für die Zukunft
zu erwachsen.

Unter all den frühern Vorkämpfern für die Würde und Reinheit der
Muttersprache tritt nun keine einzige Gestalt der Nachwelt so deutlich und
lebensvoll vor die Augen wie Joachim Heinrich Campe. Dicht umdrängt von
dem Getümmel der Gegner, nur wenige Gefährten zur Seite, schwingt er nach
rechts und links mutvoll sein Schwert. Er achtet nicht des Lärms, der ihn
umtost, nicht der Streiche, die von allen Seiten auf ihn niedersausen; ja er
achtet es kaum, wenn mehrfach seiue eigne Waffe nutzlos und ohne zu treffen
die Luft durchschneidet. So steht er da, fast jenen Necken vergleichbar, von
denen alte Sagen zu erzählen wissen, stets tapfer und unerschrocken, nicht immer
besonnen und maßvoll, wo er unterliegt, mehr durch die eignen Fehlgriffe als
durch die Kunst oder die Kraft der Widersacher besiegt. Es lohnt der Mühe,
die Wendungen und den Verlauf seines Ringens einer nähern Betrachtung zu
unterziehen.

Als Campe zum erstenmale für die Reinheit der deutschen Sprache seine
Stimme erhob, hatte er bereits den Höhepunkt seines Mannesalters erreicht.
Ein bewegtes Leben lag hinter ihm. In dem braunschweigischen Dörfchen
Deensen bei Stadtoldendorf am 29. Juni 1746 geboren, war er fast genau
drei Jahre älter als Goethe, zwei Jahre jünger als Herder. Nachdem er zu
Ostern 1763 seine Schulbildung auf der Amelnngsbvrner Klosterschule zu Holz-
minden vollendet, dann aber bis Ostern 1769 auf den Universitäten zu Helm-
stedt und Halle theologischen und philosophischen Studien obgelegen hatte, war
er mehrere Jahre hindurch abwechselnd im Humboldtschen Hause zu Berlin und
als Geistlicher in Potsdam thätig gewesen, hatte von 1776 bis 1777 dem
Basedowschen Philnnthropin seine Kräfte gewidmet, darauf aber zu Hamburg
eine eigne Erziehungsanstalt gegründet, dort auch die berühmteste von seinen
zahlreichen Schriften, "Robinson den Jüngern," verfaßt. Im Jahre 1786 war
er dann, dem Rufe des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand folgend, in sein


Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

schriften und Tagesblättern ist bereits bemüht, von ihren Spalten die Fremd¬
wörter nach Kräften fernzuhalten, und allem Anschein nach darf man sich auch der
Hoffnung hingeben, daß, wie auf dem Gebiete des Postweseus, so auch in andern
Zweigen der staatlichen Verwaltung den Wucherungen der Verwälschung in der
amtlichen Sprache bald ein Ziel gesetzt werden wird.

Bei dieser Sachlage wendet sich der Blick unwillkürlich jenen Männern
zu, die schon vor unsern Tagen für die Reinheit der Muttersprache auf den
Kampfplatz getreten sind. Man wünscht die Waffen zu sehen, die sie ge¬
schwungen, wünscht sich der Siege zu freuen, die sie erfochten haben. Dabei
ist es aber nützlich, auch auf die Blößen zu achten, die sie den Gegnern dar-'
geboten, und auf die Stöße, die sie deshalb empfangen haben. Nur so vermag
die Vergangenheit eine Lehrmeisterin der Gegenwart zu werden, nur so aus dem
Ringen der Vorzeit ein dauernder und sicherer Gewinn auch für die Zukunft
zu erwachsen.

Unter all den frühern Vorkämpfern für die Würde und Reinheit der
Muttersprache tritt nun keine einzige Gestalt der Nachwelt so deutlich und
lebensvoll vor die Augen wie Joachim Heinrich Campe. Dicht umdrängt von
dem Getümmel der Gegner, nur wenige Gefährten zur Seite, schwingt er nach
rechts und links mutvoll sein Schwert. Er achtet nicht des Lärms, der ihn
umtost, nicht der Streiche, die von allen Seiten auf ihn niedersausen; ja er
achtet es kaum, wenn mehrfach seiue eigne Waffe nutzlos und ohne zu treffen
die Luft durchschneidet. So steht er da, fast jenen Necken vergleichbar, von
denen alte Sagen zu erzählen wissen, stets tapfer und unerschrocken, nicht immer
besonnen und maßvoll, wo er unterliegt, mehr durch die eignen Fehlgriffe als
durch die Kunst oder die Kraft der Widersacher besiegt. Es lohnt der Mühe,
die Wendungen und den Verlauf seines Ringens einer nähern Betrachtung zu
unterziehen.

Als Campe zum erstenmale für die Reinheit der deutschen Sprache seine
Stimme erhob, hatte er bereits den Höhepunkt seines Mannesalters erreicht.
Ein bewegtes Leben lag hinter ihm. In dem braunschweigischen Dörfchen
Deensen bei Stadtoldendorf am 29. Juni 1746 geboren, war er fast genau
drei Jahre älter als Goethe, zwei Jahre jünger als Herder. Nachdem er zu
Ostern 1763 seine Schulbildung auf der Amelnngsbvrner Klosterschule zu Holz-
minden vollendet, dann aber bis Ostern 1769 auf den Universitäten zu Helm-
stedt und Halle theologischen und philosophischen Studien obgelegen hatte, war
er mehrere Jahre hindurch abwechselnd im Humboldtschen Hause zu Berlin und
als Geistlicher in Potsdam thätig gewesen, hatte von 1776 bis 1777 dem
Basedowschen Philnnthropin seine Kräfte gewidmet, darauf aber zu Hamburg
eine eigne Erziehungsanstalt gegründet, dort auch die berühmteste von seinen
zahlreichen Schriften, „Robinson den Jüngern," verfaßt. Im Jahre 1786 war
er dann, dem Rufe des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand folgend, in sein


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[0366] Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache. schriften und Tagesblättern ist bereits bemüht, von ihren Spalten die Fremd¬ wörter nach Kräften fernzuhalten, und allem Anschein nach darf man sich auch der Hoffnung hingeben, daß, wie auf dem Gebiete des Postweseus, so auch in andern Zweigen der staatlichen Verwaltung den Wucherungen der Verwälschung in der amtlichen Sprache bald ein Ziel gesetzt werden wird. Bei dieser Sachlage wendet sich der Blick unwillkürlich jenen Männern zu, die schon vor unsern Tagen für die Reinheit der Muttersprache auf den Kampfplatz getreten sind. Man wünscht die Waffen zu sehen, die sie ge¬ schwungen, wünscht sich der Siege zu freuen, die sie erfochten haben. Dabei ist es aber nützlich, auch auf die Blößen zu achten, die sie den Gegnern dar-' geboten, und auf die Stöße, die sie deshalb empfangen haben. Nur so vermag die Vergangenheit eine Lehrmeisterin der Gegenwart zu werden, nur so aus dem Ringen der Vorzeit ein dauernder und sicherer Gewinn auch für die Zukunft zu erwachsen. Unter all den frühern Vorkämpfern für die Würde und Reinheit der Muttersprache tritt nun keine einzige Gestalt der Nachwelt so deutlich und lebensvoll vor die Augen wie Joachim Heinrich Campe. Dicht umdrängt von dem Getümmel der Gegner, nur wenige Gefährten zur Seite, schwingt er nach rechts und links mutvoll sein Schwert. Er achtet nicht des Lärms, der ihn umtost, nicht der Streiche, die von allen Seiten auf ihn niedersausen; ja er achtet es kaum, wenn mehrfach seiue eigne Waffe nutzlos und ohne zu treffen die Luft durchschneidet. So steht er da, fast jenen Necken vergleichbar, von denen alte Sagen zu erzählen wissen, stets tapfer und unerschrocken, nicht immer besonnen und maßvoll, wo er unterliegt, mehr durch die eignen Fehlgriffe als durch die Kunst oder die Kraft der Widersacher besiegt. Es lohnt der Mühe, die Wendungen und den Verlauf seines Ringens einer nähern Betrachtung zu unterziehen. Als Campe zum erstenmale für die Reinheit der deutschen Sprache seine Stimme erhob, hatte er bereits den Höhepunkt seines Mannesalters erreicht. Ein bewegtes Leben lag hinter ihm. In dem braunschweigischen Dörfchen Deensen bei Stadtoldendorf am 29. Juni 1746 geboren, war er fast genau drei Jahre älter als Goethe, zwei Jahre jünger als Herder. Nachdem er zu Ostern 1763 seine Schulbildung auf der Amelnngsbvrner Klosterschule zu Holz- minden vollendet, dann aber bis Ostern 1769 auf den Universitäten zu Helm- stedt und Halle theologischen und philosophischen Studien obgelegen hatte, war er mehrere Jahre hindurch abwechselnd im Humboldtschen Hause zu Berlin und als Geistlicher in Potsdam thätig gewesen, hatte von 1776 bis 1777 dem Basedowschen Philnnthropin seine Kräfte gewidmet, darauf aber zu Hamburg eine eigne Erziehungsanstalt gegründet, dort auch die berühmteste von seinen zahlreichen Schriften, „Robinson den Jüngern," verfaßt. Im Jahre 1786 war er dann, dem Rufe des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand folgend, in sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/366>, abgerufen am 17.09.2024.