Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Russische Skizzen.

"Blitz" mit zwölf flinken Torpedobooten; aus den schwarzen Wandungen der
Fahrzeuge blitzten die blanken Geschütze, und an der Gaffel flatterte die Kriegs¬
flagge des Reiches.

Inzwischen waren die Zollbeamten befriedigt worden, wir konnten "aus-
klariren," gegen ^10 Uhr. Das lebhafte Spiel des Windmessers auf dem
Lootsenhause vor uns ließ keineswegs auf ruhige See schließen, und sobald der
"Magdeburg," langsam zwischen den Molen am Leuchttürme vorübersteuernd,
den Lootsen in das Boot entlassen hatte, das stark arbeitend seitlängs kam,
dehnte sich vor uns die blaue See, rechts und links noch umrahmt von der
hohen Waldküste von Usedom und Wollin, von der die hellen Häuser hier
Misdroys, dort Ahlbecks und Heringsdorfs herüberglänzten, und an ihrem
flachen Sandgestade immer und immer wieder heranrollend, die weißen Linien
ihrer schaumgekrönten Wellen. Jetzt verlor auch unser Dampfer seine Ruhe;
die kurzen Wellen der Ostsee hoben und senkten ihn, bald setzte er Segel und
schlug stampfend seine Bahn nach dem Norden ein. Der Mittagstisch war des¬
halb nur spärlich besetzt.

Gegen zwei Uhr versank die deutsche Küste, und ringsum dehnte sich in
scheinbarer Unendlichkeit das blaue, wogende, weißschäumende, im Sonnenlichte
blitzende Rund der offenen See unter der ungeheuern Glaskuppel des wolken¬
losesten Himmelsgewölbes. Zwei Stunden später kamen im Westen die steilen
Felswände von Bornholm in Sicht; als sie versanken, waren wir wieder allein
mit dem Himmel und dem Meere. Prachtvoll sank im Westen die Sonne;
doch die Nacht brachte keine Verminderung der Seebewegung; das Schiff
stampfte und rollte stark; erst gegen Morgen gewann es ruhigere Fahrt, denn
wir waren unter Gothland, das langgestreckt wie ein riesiger Wellenbrecher
dem Westwinde sich entgegenlegte. Deutlich konnten wir den flachen, sandigen
Strand, den dunkeln Waldstreifen darüber, die roten Dächer, die spitzen Kirch¬
türme einzelner Ortschaften erkennen, sogar den schwedischen Bergungsdampfer,
der an dieser, insbesondre bei Nebel gefährlichen Küste stets in Bereitschaft
liegt. Wie einsam freilich liegt sie heute gegenüber den Tagen der Hanse, da
diese Küsten der Sammelplatz aller seefahrenden Völker des baltischen Meeres
waren! Sobald wir gegen zwei Uhr vorüber waren und nun nordöstlich wieder
in die offene See hinausgingen, begann unser Dampfer wieder stark zu arbeiten,
doch der Wind blieb günstig, der Himmel hell, unter vollen Segeln glitten
zahlreiche Schiffe lautlos an uns vorüber, und wieder sank die Sonne in
strahlender Klarheit in die See.

Als ich am dritten Tage früh fünf Uhr an Deck kam, lief das Schiff ganz
ruhig, dafür hüllte uns grauer, kalter Nebel ein, sodaß wir keine zwei Schiffs¬
längen vor uns sehen konnten, "grau das Wasser, grau die Luft"; das war
der übliche Gruß der jetzt unfernen klippenstarrmden Insel Dagö. In halber
Fahrt schlich der Dampfer durch das mißfarbene Wasser, und von fünf zu fünf


Russische Skizzen.

„Blitz" mit zwölf flinken Torpedobooten; aus den schwarzen Wandungen der
Fahrzeuge blitzten die blanken Geschütze, und an der Gaffel flatterte die Kriegs¬
flagge des Reiches.

Inzwischen waren die Zollbeamten befriedigt worden, wir konnten „aus-
klariren," gegen ^10 Uhr. Das lebhafte Spiel des Windmessers auf dem
Lootsenhause vor uns ließ keineswegs auf ruhige See schließen, und sobald der
„Magdeburg," langsam zwischen den Molen am Leuchttürme vorübersteuernd,
den Lootsen in das Boot entlassen hatte, das stark arbeitend seitlängs kam,
dehnte sich vor uns die blaue See, rechts und links noch umrahmt von der
hohen Waldküste von Usedom und Wollin, von der die hellen Häuser hier
Misdroys, dort Ahlbecks und Heringsdorfs herüberglänzten, und an ihrem
flachen Sandgestade immer und immer wieder heranrollend, die weißen Linien
ihrer schaumgekrönten Wellen. Jetzt verlor auch unser Dampfer seine Ruhe;
die kurzen Wellen der Ostsee hoben und senkten ihn, bald setzte er Segel und
schlug stampfend seine Bahn nach dem Norden ein. Der Mittagstisch war des¬
halb nur spärlich besetzt.

Gegen zwei Uhr versank die deutsche Küste, und ringsum dehnte sich in
scheinbarer Unendlichkeit das blaue, wogende, weißschäumende, im Sonnenlichte
blitzende Rund der offenen See unter der ungeheuern Glaskuppel des wolken¬
losesten Himmelsgewölbes. Zwei Stunden später kamen im Westen die steilen
Felswände von Bornholm in Sicht; als sie versanken, waren wir wieder allein
mit dem Himmel und dem Meere. Prachtvoll sank im Westen die Sonne;
doch die Nacht brachte keine Verminderung der Seebewegung; das Schiff
stampfte und rollte stark; erst gegen Morgen gewann es ruhigere Fahrt, denn
wir waren unter Gothland, das langgestreckt wie ein riesiger Wellenbrecher
dem Westwinde sich entgegenlegte. Deutlich konnten wir den flachen, sandigen
Strand, den dunkeln Waldstreifen darüber, die roten Dächer, die spitzen Kirch¬
türme einzelner Ortschaften erkennen, sogar den schwedischen Bergungsdampfer,
der an dieser, insbesondre bei Nebel gefährlichen Küste stets in Bereitschaft
liegt. Wie einsam freilich liegt sie heute gegenüber den Tagen der Hanse, da
diese Küsten der Sammelplatz aller seefahrenden Völker des baltischen Meeres
waren! Sobald wir gegen zwei Uhr vorüber waren und nun nordöstlich wieder
in die offene See hinausgingen, begann unser Dampfer wieder stark zu arbeiten,
doch der Wind blieb günstig, der Himmel hell, unter vollen Segeln glitten
zahlreiche Schiffe lautlos an uns vorüber, und wieder sank die Sonne in
strahlender Klarheit in die See.

Als ich am dritten Tage früh fünf Uhr an Deck kam, lief das Schiff ganz
ruhig, dafür hüllte uns grauer, kalter Nebel ein, sodaß wir keine zwei Schiffs¬
längen vor uns sehen konnten, „grau das Wasser, grau die Luft"; das war
der übliche Gruß der jetzt unfernen klippenstarrmden Insel Dagö. In halber
Fahrt schlich der Dampfer durch das mißfarbene Wasser, und von fünf zu fünf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288793"/>
          <fw type="header" place="top"> Russische Skizzen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_985" prev="#ID_984"> &#x201E;Blitz" mit zwölf flinken Torpedobooten; aus den schwarzen Wandungen der<lb/>
Fahrzeuge blitzten die blanken Geschütze, und an der Gaffel flatterte die Kriegs¬<lb/>
flagge des Reiches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_986"> Inzwischen waren die Zollbeamten befriedigt worden, wir konnten &#x201E;aus-<lb/>
klariren," gegen ^10 Uhr. Das lebhafte Spiel des Windmessers auf dem<lb/>
Lootsenhause vor uns ließ keineswegs auf ruhige See schließen, und sobald der<lb/>
&#x201E;Magdeburg," langsam zwischen den Molen am Leuchttürme vorübersteuernd,<lb/>
den Lootsen in das Boot entlassen hatte, das stark arbeitend seitlängs kam,<lb/>
dehnte sich vor uns die blaue See, rechts und links noch umrahmt von der<lb/>
hohen Waldküste von Usedom und Wollin, von der die hellen Häuser hier<lb/>
Misdroys, dort Ahlbecks und Heringsdorfs herüberglänzten, und an ihrem<lb/>
flachen Sandgestade immer und immer wieder heranrollend, die weißen Linien<lb/>
ihrer schaumgekrönten Wellen. Jetzt verlor auch unser Dampfer seine Ruhe;<lb/>
die kurzen Wellen der Ostsee hoben und senkten ihn, bald setzte er Segel und<lb/>
schlug stampfend seine Bahn nach dem Norden ein. Der Mittagstisch war des¬<lb/>
halb nur spärlich besetzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_987"> Gegen zwei Uhr versank die deutsche Küste, und ringsum dehnte sich in<lb/>
scheinbarer Unendlichkeit das blaue, wogende, weißschäumende, im Sonnenlichte<lb/>
blitzende Rund der offenen See unter der ungeheuern Glaskuppel des wolken¬<lb/>
losesten Himmelsgewölbes. Zwei Stunden später kamen im Westen die steilen<lb/>
Felswände von Bornholm in Sicht; als sie versanken, waren wir wieder allein<lb/>
mit dem Himmel und dem Meere. Prachtvoll sank im Westen die Sonne;<lb/>
doch die Nacht brachte keine Verminderung der Seebewegung; das Schiff<lb/>
stampfte und rollte stark; erst gegen Morgen gewann es ruhigere Fahrt, denn<lb/>
wir waren unter Gothland, das langgestreckt wie ein riesiger Wellenbrecher<lb/>
dem Westwinde sich entgegenlegte. Deutlich konnten wir den flachen, sandigen<lb/>
Strand, den dunkeln Waldstreifen darüber, die roten Dächer, die spitzen Kirch¬<lb/>
türme einzelner Ortschaften erkennen, sogar den schwedischen Bergungsdampfer,<lb/>
der an dieser, insbesondre bei Nebel gefährlichen Küste stets in Bereitschaft<lb/>
liegt. Wie einsam freilich liegt sie heute gegenüber den Tagen der Hanse, da<lb/>
diese Küsten der Sammelplatz aller seefahrenden Völker des baltischen Meeres<lb/>
waren! Sobald wir gegen zwei Uhr vorüber waren und nun nordöstlich wieder<lb/>
in die offene See hinausgingen, begann unser Dampfer wieder stark zu arbeiten,<lb/>
doch der Wind blieb günstig, der Himmel hell, unter vollen Segeln glitten<lb/>
zahlreiche Schiffe lautlos an uns vorüber, und wieder sank die Sonne in<lb/>
strahlender Klarheit in die See.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_988" next="#ID_989"> Als ich am dritten Tage früh fünf Uhr an Deck kam, lief das Schiff ganz<lb/>
ruhig, dafür hüllte uns grauer, kalter Nebel ein, sodaß wir keine zwei Schiffs¬<lb/>
längen vor uns sehen konnten, &#x201E;grau das Wasser, grau die Luft"; das war<lb/>
der übliche Gruß der jetzt unfernen klippenstarrmden Insel Dagö. In halber<lb/>
Fahrt schlich der Dampfer durch das mißfarbene Wasser, und von fünf zu fünf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] Russische Skizzen. „Blitz" mit zwölf flinken Torpedobooten; aus den schwarzen Wandungen der Fahrzeuge blitzten die blanken Geschütze, und an der Gaffel flatterte die Kriegs¬ flagge des Reiches. Inzwischen waren die Zollbeamten befriedigt worden, wir konnten „aus- klariren," gegen ^10 Uhr. Das lebhafte Spiel des Windmessers auf dem Lootsenhause vor uns ließ keineswegs auf ruhige See schließen, und sobald der „Magdeburg," langsam zwischen den Molen am Leuchttürme vorübersteuernd, den Lootsen in das Boot entlassen hatte, das stark arbeitend seitlängs kam, dehnte sich vor uns die blaue See, rechts und links noch umrahmt von der hohen Waldküste von Usedom und Wollin, von der die hellen Häuser hier Misdroys, dort Ahlbecks und Heringsdorfs herüberglänzten, und an ihrem flachen Sandgestade immer und immer wieder heranrollend, die weißen Linien ihrer schaumgekrönten Wellen. Jetzt verlor auch unser Dampfer seine Ruhe; die kurzen Wellen der Ostsee hoben und senkten ihn, bald setzte er Segel und schlug stampfend seine Bahn nach dem Norden ein. Der Mittagstisch war des¬ halb nur spärlich besetzt. Gegen zwei Uhr versank die deutsche Küste, und ringsum dehnte sich in scheinbarer Unendlichkeit das blaue, wogende, weißschäumende, im Sonnenlichte blitzende Rund der offenen See unter der ungeheuern Glaskuppel des wolken¬ losesten Himmelsgewölbes. Zwei Stunden später kamen im Westen die steilen Felswände von Bornholm in Sicht; als sie versanken, waren wir wieder allein mit dem Himmel und dem Meere. Prachtvoll sank im Westen die Sonne; doch die Nacht brachte keine Verminderung der Seebewegung; das Schiff stampfte und rollte stark; erst gegen Morgen gewann es ruhigere Fahrt, denn wir waren unter Gothland, das langgestreckt wie ein riesiger Wellenbrecher dem Westwinde sich entgegenlegte. Deutlich konnten wir den flachen, sandigen Strand, den dunkeln Waldstreifen darüber, die roten Dächer, die spitzen Kirch¬ türme einzelner Ortschaften erkennen, sogar den schwedischen Bergungsdampfer, der an dieser, insbesondre bei Nebel gefährlichen Küste stets in Bereitschaft liegt. Wie einsam freilich liegt sie heute gegenüber den Tagen der Hanse, da diese Küsten der Sammelplatz aller seefahrenden Völker des baltischen Meeres waren! Sobald wir gegen zwei Uhr vorüber waren und nun nordöstlich wieder in die offene See hinausgingen, begann unser Dampfer wieder stark zu arbeiten, doch der Wind blieb günstig, der Himmel hell, unter vollen Segeln glitten zahlreiche Schiffe lautlos an uns vorüber, und wieder sank die Sonne in strahlender Klarheit in die See. Als ich am dritten Tage früh fünf Uhr an Deck kam, lief das Schiff ganz ruhig, dafür hüllte uns grauer, kalter Nebel ein, sodaß wir keine zwei Schiffs¬ längen vor uns sehen konnten, „grau das Wasser, grau die Luft"; das war der übliche Gruß der jetzt unfernen klippenstarrmden Insel Dagö. In halber Fahrt schlich der Dampfer durch das mißfarbene Wasser, und von fünf zu fünf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/340>, abgerufen am 17.09.2024.