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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

ungeheuern Reiches, die Kundigeren vermutlich vielfach Anlaß zu Berichtigungen
und Ausstellungen bieten werden. ^ _ . ^. , ^

Manche Gründe, insbesondre der Gedanke, die nordische Hauptstadt von
ihrer schönsten Seite, von der See her. zuerst zu sehen, sprachen für die See¬
reise von Stettin aus. Seit der Vollendung der Eisenbahn ist diese sruyer
so viel benutzte Linie wenig mehr beliebt, weil die meisten Reisenden die M)re
auf der unruhigen Ostsee scheuen; wer diese Furcht nicht teilt, wird aus den
Schiffen der "Neuen Dampfcrkompagnie" in Stettin billige Fahrt gutes Unter¬
kommen und vortreffliche Verpflegung finden, obwohl sie, da der Personen¬
verkehr so sehr abgenommen hat. diesen nicht mehr als Hauptsache betrachten
können, sondern wesentlich auf Frachten angewiesen sind. Trotzdem Mte dei
wackere Kapitän unsers guten Schiffes "Magdeburg," 650 Tonnen des beste"
der Gesellschaft, seiner kleinen Reisegesellschaft - nur neun Personen - u.
Aussicht, daß er, günstiges Wetter vorausgesetzt, uns in dreiundeinhalb Tage.i
nach Petersburg bringen werde, denn sein Dampfer machte etwa zehn Knoten
i" der Stunde. Es war an einem Sonntage des Juli 1886, früh vier Uhr
als der ..Magdeburg" an der Silberwiese gegenüber dem Stettiner Bahnhof
die Anker hob. Langsam glitt er durch die sich öffnenden Aufzugw.cke^ dann
die breite, dunkle Oder hinab. Es war kühl und frisch. Im grauen Morgen¬
lichte zogen die riesigen Werkstätten des "Vulkan." die reizenden, grünen, vlllen-
bekrönten Uferhöhen von Frauendorf und Bredow vorüber, während zur Rechten
flaches Wiesenland und der Dammsche See sich dehnt. Allmählich wurde auch
das linke Ufer flacher, der Strom breiter; vor dem Buge des Dampfers öffnete
sich jenseits des roten Feuerschiffes die fast uferlose Fläche des Haffs, auf dessen
bewegten, kurzen Wellen die kleinern Fahrzeuge tanzten, während der "Magde¬
burg" unbeweglich blieb. Allmählich stiegen halb zur Rechten die ragenden
Strandhügcl von Wollin, die Lebbiner Berge, auf, mehr links die flacheren,
grünen Ufer von Usedom. Durch die 1880 eröffnete "Kaiserfahrt," den Kana,
der die Windungen der Swine erheblich abkürzt, gelangte der Dampfer rasch
in die breite Fläche des Stromes vor Swinemünde und legte gegen
Uhr am Bollwerk an, um der Zollabfertigung zu harren. Ein heiteres,
freundliches Bild entfaltete sich vor uns wie zum Abschiedsgruß. Im hellen
Sonnenscheine lag links die Stadt im Grün ihrer Gärten voll bunten, fröh¬
lichen Sonntagslebens; flaggengeschmückt kam Dampfer auf Dampfer aus de"
glitzernden Wellen der Swine herab und entlud feine dichtgedrängten FahrgcM
auf das Bollwerk, denn eine große Segelregatta stand für den Nachmittag u.
Aussicht. Doch fehlte diesem Fricdensbilde nicht der Ernst. Durch das sonn¬
täglich heitere Gewühl zog festen Schrittes eine Abteilung Matrosen der tayer-
lichen Marine in ihrer kleidsamen Tracht zur Kirche, und gegenüber am rechten
Ufer lag in schweigender Ruhe ein kleines Geschwader unsrer Kriegsflotte vor
Anker, die Korvette "Ariadne," das Kanonenboot "Brummer" und der Aviso


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ungeheuern Reiches, die Kundigeren vermutlich vielfach Anlaß zu Berichtigungen
und Ausstellungen bieten werden. ^ _ . ^. , ^

Manche Gründe, insbesondre der Gedanke, die nordische Hauptstadt von
ihrer schönsten Seite, von der See her. zuerst zu sehen, sprachen für die See¬
reise von Stettin aus. Seit der Vollendung der Eisenbahn ist diese sruyer
so viel benutzte Linie wenig mehr beliebt, weil die meisten Reisenden die M)re
auf der unruhigen Ostsee scheuen; wer diese Furcht nicht teilt, wird aus den
Schiffen der „Neuen Dampfcrkompagnie" in Stettin billige Fahrt gutes Unter¬
kommen und vortreffliche Verpflegung finden, obwohl sie, da der Personen¬
verkehr so sehr abgenommen hat. diesen nicht mehr als Hauptsache betrachten
können, sondern wesentlich auf Frachten angewiesen sind. Trotzdem Mte dei
wackere Kapitän unsers guten Schiffes „Magdeburg," 650 Tonnen des beste»
der Gesellschaft, seiner kleinen Reisegesellschaft - nur neun Personen - u.
Aussicht, daß er, günstiges Wetter vorausgesetzt, uns in dreiundeinhalb Tage.i
nach Petersburg bringen werde, denn sein Dampfer machte etwa zehn Knoten
i" der Stunde. Es war an einem Sonntage des Juli 1886, früh vier Uhr
als der ..Magdeburg" an der Silberwiese gegenüber dem Stettiner Bahnhof
die Anker hob. Langsam glitt er durch die sich öffnenden Aufzugw.cke^ dann
die breite, dunkle Oder hinab. Es war kühl und frisch. Im grauen Morgen¬
lichte zogen die riesigen Werkstätten des „Vulkan." die reizenden, grünen, vlllen-
bekrönten Uferhöhen von Frauendorf und Bredow vorüber, während zur Rechten
flaches Wiesenland und der Dammsche See sich dehnt. Allmählich wurde auch
das linke Ufer flacher, der Strom breiter; vor dem Buge des Dampfers öffnete
sich jenseits des roten Feuerschiffes die fast uferlose Fläche des Haffs, auf dessen
bewegten, kurzen Wellen die kleinern Fahrzeuge tanzten, während der „Magde¬
burg" unbeweglich blieb. Allmählich stiegen halb zur Rechten die ragenden
Strandhügcl von Wollin, die Lebbiner Berge, auf, mehr links die flacheren,
grünen Ufer von Usedom. Durch die 1880 eröffnete „Kaiserfahrt," den Kana,
der die Windungen der Swine erheblich abkürzt, gelangte der Dampfer rasch
in die breite Fläche des Stromes vor Swinemünde und legte gegen
Uhr am Bollwerk an, um der Zollabfertigung zu harren. Ein heiteres,
freundliches Bild entfaltete sich vor uns wie zum Abschiedsgruß. Im hellen
Sonnenscheine lag links die Stadt im Grün ihrer Gärten voll bunten, fröh¬
lichen Sonntagslebens; flaggengeschmückt kam Dampfer auf Dampfer aus de»
glitzernden Wellen der Swine herab und entlud feine dichtgedrängten FahrgcM
auf das Bollwerk, denn eine große Segelregatta stand für den Nachmittag u.
Aussicht. Doch fehlte diesem Fricdensbilde nicht der Ernst. Durch das sonn¬
täglich heitere Gewühl zog festen Schrittes eine Abteilung Matrosen der tayer-
lichen Marine in ihrer kleidsamen Tracht zur Kirche, und gegenüber am rechten
Ufer lag in schweigender Ruhe ein kleines Geschwader unsrer Kriegsflotte vor
Anker, die Korvette „Ariadne," das Kanonenboot „Brummer" und der Aviso


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[0339] Russische Skizzen. ungeheuern Reiches, die Kundigeren vermutlich vielfach Anlaß zu Berichtigungen und Ausstellungen bieten werden. ^ _ . ^. , ^ Manche Gründe, insbesondre der Gedanke, die nordische Hauptstadt von ihrer schönsten Seite, von der See her. zuerst zu sehen, sprachen für die See¬ reise von Stettin aus. Seit der Vollendung der Eisenbahn ist diese sruyer so viel benutzte Linie wenig mehr beliebt, weil die meisten Reisenden die M)re auf der unruhigen Ostsee scheuen; wer diese Furcht nicht teilt, wird aus den Schiffen der „Neuen Dampfcrkompagnie" in Stettin billige Fahrt gutes Unter¬ kommen und vortreffliche Verpflegung finden, obwohl sie, da der Personen¬ verkehr so sehr abgenommen hat. diesen nicht mehr als Hauptsache betrachten können, sondern wesentlich auf Frachten angewiesen sind. Trotzdem Mte dei wackere Kapitän unsers guten Schiffes „Magdeburg," 650 Tonnen des beste» der Gesellschaft, seiner kleinen Reisegesellschaft - nur neun Personen - u. Aussicht, daß er, günstiges Wetter vorausgesetzt, uns in dreiundeinhalb Tage.i nach Petersburg bringen werde, denn sein Dampfer machte etwa zehn Knoten i" der Stunde. Es war an einem Sonntage des Juli 1886, früh vier Uhr als der ..Magdeburg" an der Silberwiese gegenüber dem Stettiner Bahnhof die Anker hob. Langsam glitt er durch die sich öffnenden Aufzugw.cke^ dann die breite, dunkle Oder hinab. Es war kühl und frisch. Im grauen Morgen¬ lichte zogen die riesigen Werkstätten des „Vulkan." die reizenden, grünen, vlllen- bekrönten Uferhöhen von Frauendorf und Bredow vorüber, während zur Rechten flaches Wiesenland und der Dammsche See sich dehnt. Allmählich wurde auch das linke Ufer flacher, der Strom breiter; vor dem Buge des Dampfers öffnete sich jenseits des roten Feuerschiffes die fast uferlose Fläche des Haffs, auf dessen bewegten, kurzen Wellen die kleinern Fahrzeuge tanzten, während der „Magde¬ burg" unbeweglich blieb. Allmählich stiegen halb zur Rechten die ragenden Strandhügcl von Wollin, die Lebbiner Berge, auf, mehr links die flacheren, grünen Ufer von Usedom. Durch die 1880 eröffnete „Kaiserfahrt," den Kana, der die Windungen der Swine erheblich abkürzt, gelangte der Dampfer rasch in die breite Fläche des Stromes vor Swinemünde und legte gegen Uhr am Bollwerk an, um der Zollabfertigung zu harren. Ein heiteres, freundliches Bild entfaltete sich vor uns wie zum Abschiedsgruß. Im hellen Sonnenscheine lag links die Stadt im Grün ihrer Gärten voll bunten, fröh¬ lichen Sonntagslebens; flaggengeschmückt kam Dampfer auf Dampfer aus de» glitzernden Wellen der Swine herab und entlud feine dichtgedrängten FahrgcM auf das Bollwerk, denn eine große Segelregatta stand für den Nachmittag u. Aussicht. Doch fehlte diesem Fricdensbilde nicht der Ernst. Durch das sonn¬ täglich heitere Gewühl zog festen Schrittes eine Abteilung Matrosen der tayer- lichen Marine in ihrer kleidsamen Tracht zur Kirche, und gegenüber am rechten Ufer lag in schweigender Ruhe ein kleines Geschwader unsrer Kriegsflotte vor Anker, die Korvette „Ariadne," das Kanonenboot „Brummer" und der Aviso

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/339>, abgerufen am 17.09.2024.