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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

Minuten heulte die Dampfpfeife. Ein unbehaglicher Zustand und die Ver¬
zweiflung unsers wackern Kapitäns, der nun an Zeit wieder zu verlieren
fürchtete, was er in den beiden ersten Reisetagen durch rasche Fahrt gewonnen
hatte. Indes gegen neun Uhr sank die Nebelhülle fast plötzlich, und wieder
wölbte sich hellblau über uns die Himmelskuppel, diesmal über einer fast ve-
wegungslosen See, die um uns sich dehnte, nur leise wogend wie eme welche,
blaugraue Atlasfläche, an ihren Rändern mit dem Himmelstöne unmerklich
verschmelzend in feinem Dunst, und glühend brannte die Sonne. Ein pracht¬
voller Tag! Das herrliche Wetter nach zwei Tagen stark bewegter See. die
Aussicht ans baldige glückliche Beendigung der Reise versetzte alles in die be¬
haglichste Stimmung. Fast beständig war die ganze kleine Gesellschaft aus der
Kapitänsbrücke versammelt, schwatzend und in die Ferne spähend. Manches
Interessante kam dabei zu Tage. Da hatte der eine, ein Petersburger aus
einem Dampfer der sogenannten freiwilligen Flotte die Reise von Odessa durch
den Suezkanal um ganz Asien herum bis Wladiwostok und zurück gemacht,
unser Steuermann aber das Jahr zuvor die drei großen chinesischen Panzer¬
schiffe, die der "Vulkan" gebaut, mit nach China bringen helfen; in kurzer,
bestimmter und doch bescheidener Weise hob er dabei die ausgezeichnete See¬
tüchtigkeit dieser Kolosse gegenüber den absprechender Urteilen englischen Kon¬
kurrenzneides hervor. Dazwischen fesselten auftauchende Segel oder Küstenpunkte
die Aufmerksamkeit. Die finnische Küste zwar blieb völlig unsichtbar; nur ein
meilenweit in die See hinaus verankertes Feuerschiff (von Kalbaden) deutete
einmal die Nähe an. Dagegen hoben sich rechts im Süden einzelne Punkte
der hohen esthnischen Küste, im feinen, flimmernden Dunst leicht verschleiert: die
lange Insel Nargö vor Neval, dann der dicke, rote Leuchtturm von Kockschar
mit einem Streifen esthnischen Festlandes, am Nachmittage der Leuchtturm von
Eckholm. Die zunehmende Enge des Fahrwassers verriet sich aus der zu¬
nehmenden Zahl der Fahrzeuge: gegen Mittag ging, von Kronstäbe kommend,
die dänische Korvette "Heimdal" an uns vorüber. In der siebenten Abend¬
stunde tauchten aus der lichten, wogenden Fläche gerade vor uns am östlichen
Horizont die zackigen Höhen der Insel Hogland auf. die, fast mitten im fin¬
nischen Meerbusen gelegen, das Fahrwasser beherrscht. Während sie allmählich
höher und höher sich heraushoben und sich endlich an der Basis vereinigten,
färbte sich der Westhimmel mit Purpur, in glühendem Rot versank hinter uns
die Sonne in die See. und purpurne Lichter zitterten in breiten Streifen über
die stille, hellblaue Wasserfläche. Zahlreiche Dampfer kamen uns jetzt entgegen
und zogen lange, dunkle Rauchstreifen in der fast bewegungslosen Luft hinter sich
her. während einzelne Segler obgleich sie alle Leinwand gesetzt hatten, fast auf
derselben Stelle zu verharren schienen. Es war neun Uhr. als wir Hogland
an der Südseite passirten. Als hohe, dunkle, bewaldete Masse dehnte die ^nsel
sich vor uns aus, nur zwei Leuchtfeuer, die auf ihr aufblitzten, verrieten


Russische Skizzen.

Minuten heulte die Dampfpfeife. Ein unbehaglicher Zustand und die Ver¬
zweiflung unsers wackern Kapitäns, der nun an Zeit wieder zu verlieren
fürchtete, was er in den beiden ersten Reisetagen durch rasche Fahrt gewonnen
hatte. Indes gegen neun Uhr sank die Nebelhülle fast plötzlich, und wieder
wölbte sich hellblau über uns die Himmelskuppel, diesmal über einer fast ve-
wegungslosen See, die um uns sich dehnte, nur leise wogend wie eme welche,
blaugraue Atlasfläche, an ihren Rändern mit dem Himmelstöne unmerklich
verschmelzend in feinem Dunst, und glühend brannte die Sonne. Ein pracht¬
voller Tag! Das herrliche Wetter nach zwei Tagen stark bewegter See. die
Aussicht ans baldige glückliche Beendigung der Reise versetzte alles in die be¬
haglichste Stimmung. Fast beständig war die ganze kleine Gesellschaft aus der
Kapitänsbrücke versammelt, schwatzend und in die Ferne spähend. Manches
Interessante kam dabei zu Tage. Da hatte der eine, ein Petersburger aus
einem Dampfer der sogenannten freiwilligen Flotte die Reise von Odessa durch
den Suezkanal um ganz Asien herum bis Wladiwostok und zurück gemacht,
unser Steuermann aber das Jahr zuvor die drei großen chinesischen Panzer¬
schiffe, die der „Vulkan" gebaut, mit nach China bringen helfen; in kurzer,
bestimmter und doch bescheidener Weise hob er dabei die ausgezeichnete See¬
tüchtigkeit dieser Kolosse gegenüber den absprechender Urteilen englischen Kon¬
kurrenzneides hervor. Dazwischen fesselten auftauchende Segel oder Küstenpunkte
die Aufmerksamkeit. Die finnische Küste zwar blieb völlig unsichtbar; nur ein
meilenweit in die See hinaus verankertes Feuerschiff (von Kalbaden) deutete
einmal die Nähe an. Dagegen hoben sich rechts im Süden einzelne Punkte
der hohen esthnischen Küste, im feinen, flimmernden Dunst leicht verschleiert: die
lange Insel Nargö vor Neval, dann der dicke, rote Leuchtturm von Kockschar
mit einem Streifen esthnischen Festlandes, am Nachmittage der Leuchtturm von
Eckholm. Die zunehmende Enge des Fahrwassers verriet sich aus der zu¬
nehmenden Zahl der Fahrzeuge: gegen Mittag ging, von Kronstäbe kommend,
die dänische Korvette „Heimdal" an uns vorüber. In der siebenten Abend¬
stunde tauchten aus der lichten, wogenden Fläche gerade vor uns am östlichen
Horizont die zackigen Höhen der Insel Hogland auf. die, fast mitten im fin¬
nischen Meerbusen gelegen, das Fahrwasser beherrscht. Während sie allmählich
höher und höher sich heraushoben und sich endlich an der Basis vereinigten,
färbte sich der Westhimmel mit Purpur, in glühendem Rot versank hinter uns
die Sonne in die See. und purpurne Lichter zitterten in breiten Streifen über
die stille, hellblaue Wasserfläche. Zahlreiche Dampfer kamen uns jetzt entgegen
und zogen lange, dunkle Rauchstreifen in der fast bewegungslosen Luft hinter sich
her. während einzelne Segler obgleich sie alle Leinwand gesetzt hatten, fast auf
derselben Stelle zu verharren schienen. Es war neun Uhr. als wir Hogland
an der Südseite passirten. Als hohe, dunkle, bewaldete Masse dehnte die ^nsel
sich vor uns aus, nur zwei Leuchtfeuer, die auf ihr aufblitzten, verrieten


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[0341] Russische Skizzen. Minuten heulte die Dampfpfeife. Ein unbehaglicher Zustand und die Ver¬ zweiflung unsers wackern Kapitäns, der nun an Zeit wieder zu verlieren fürchtete, was er in den beiden ersten Reisetagen durch rasche Fahrt gewonnen hatte. Indes gegen neun Uhr sank die Nebelhülle fast plötzlich, und wieder wölbte sich hellblau über uns die Himmelskuppel, diesmal über einer fast ve- wegungslosen See, die um uns sich dehnte, nur leise wogend wie eme welche, blaugraue Atlasfläche, an ihren Rändern mit dem Himmelstöne unmerklich verschmelzend in feinem Dunst, und glühend brannte die Sonne. Ein pracht¬ voller Tag! Das herrliche Wetter nach zwei Tagen stark bewegter See. die Aussicht ans baldige glückliche Beendigung der Reise versetzte alles in die be¬ haglichste Stimmung. Fast beständig war die ganze kleine Gesellschaft aus der Kapitänsbrücke versammelt, schwatzend und in die Ferne spähend. Manches Interessante kam dabei zu Tage. Da hatte der eine, ein Petersburger aus einem Dampfer der sogenannten freiwilligen Flotte die Reise von Odessa durch den Suezkanal um ganz Asien herum bis Wladiwostok und zurück gemacht, unser Steuermann aber das Jahr zuvor die drei großen chinesischen Panzer¬ schiffe, die der „Vulkan" gebaut, mit nach China bringen helfen; in kurzer, bestimmter und doch bescheidener Weise hob er dabei die ausgezeichnete See¬ tüchtigkeit dieser Kolosse gegenüber den absprechender Urteilen englischen Kon¬ kurrenzneides hervor. Dazwischen fesselten auftauchende Segel oder Küstenpunkte die Aufmerksamkeit. Die finnische Küste zwar blieb völlig unsichtbar; nur ein meilenweit in die See hinaus verankertes Feuerschiff (von Kalbaden) deutete einmal die Nähe an. Dagegen hoben sich rechts im Süden einzelne Punkte der hohen esthnischen Küste, im feinen, flimmernden Dunst leicht verschleiert: die lange Insel Nargö vor Neval, dann der dicke, rote Leuchtturm von Kockschar mit einem Streifen esthnischen Festlandes, am Nachmittage der Leuchtturm von Eckholm. Die zunehmende Enge des Fahrwassers verriet sich aus der zu¬ nehmenden Zahl der Fahrzeuge: gegen Mittag ging, von Kronstäbe kommend, die dänische Korvette „Heimdal" an uns vorüber. In der siebenten Abend¬ stunde tauchten aus der lichten, wogenden Fläche gerade vor uns am östlichen Horizont die zackigen Höhen der Insel Hogland auf. die, fast mitten im fin¬ nischen Meerbusen gelegen, das Fahrwasser beherrscht. Während sie allmählich höher und höher sich heraushoben und sich endlich an der Basis vereinigten, färbte sich der Westhimmel mit Purpur, in glühendem Rot versank hinter uns die Sonne in die See. und purpurne Lichter zitterten in breiten Streifen über die stille, hellblaue Wasserfläche. Zahlreiche Dampfer kamen uns jetzt entgegen und zogen lange, dunkle Rauchstreifen in der fast bewegungslosen Luft hinter sich her. während einzelne Segler obgleich sie alle Leinwand gesetzt hatten, fast auf derselben Stelle zu verharren schienen. Es war neun Uhr. als wir Hogland an der Südseite passirten. Als hohe, dunkle, bewaldete Masse dehnte die ^nsel sich vor uns aus, nur zwei Leuchtfeuer, die auf ihr aufblitzten, verrieten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/341>, abgerufen am 17.09.2024.