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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.
von Veto Kaemmel.

MGs wird uns Deutschen gelegentlich zum Vorwurf gemacht, daß wir
von unserm östlichen Nachbarreiche ungefähr ebensowenig wüßten,
wie die Franzosen von uns. Das ist nicht ganz richtig und wäre,
wenn es richtig wäre, auch nicht ganz unbedenklich, weil es uns
in Illusionen wiegen könnte, die des thatsächlichen Grundes ebenso
entbehren, wie etwa die unsern Nachbarn jenseits des Wasgaus scherzweise zu¬
geschriebene Vorstellung, daß die Deutschen von Bier, Sauerkraut und Tabak
leben. Aber unzweifelhaft ist doch, daß der reiselustige Deutsche nur sehr selten
die Versuchung empfindet, Moskau oder Se. Petersburg zu besuchen, obwohl
dort vielleicht in mancher wichtigen Beziehung für ihn es ebensoviel zu lernen
gäbe, wie in London oder Paris. Die großen Entfernungen, die vorausgesetzte
landschaftliche Reizlosigkeit und nicht zum mindesten die Schwierigkeit der Sprache
schrecken ab. Und doch wäre die Frage, ob es nicht für den oder jenen unter
den gebildeten Deutschen, die alljährlich in der Schweiz in Natur, in Italien
daneben auch in Kunst schwelgen, am Platze wäre, nach der Weise der guten
alten Zeit einmal zu reisen, nicht um für beide gewohnheitsmäßig zu schwärmen,
sondern mehr um Land und Leute eines Reiches kennen zu lernen, dessen Wichtig¬
keit für uns immer eine sehr bedeutende gewesen ist und eher zu- als abnimmt.
In solcher Erwägung und der liebenswürdigen Einladung einer deutschen Fa¬
milie folgend, unternahm der Schreiber dieser Zeilen seine Sommerfahrt nach
Rußland.

Der Zweck der folgenden Seiten ist es natürlich nicht, dem übrigens vor¬
trefflichen Bädeker über Rußland nachzuschreiben oder irgend etwas Vollstän¬
diges im Stoffe oder ein maßgebendes Urteil zu geben; es handelt sich ledig¬
lich um persönliche Beobachtungen auf einem sehr beschränkten Gebiete des




Russische Skizzen.
von Veto Kaemmel.

MGs wird uns Deutschen gelegentlich zum Vorwurf gemacht, daß wir
von unserm östlichen Nachbarreiche ungefähr ebensowenig wüßten,
wie die Franzosen von uns. Das ist nicht ganz richtig und wäre,
wenn es richtig wäre, auch nicht ganz unbedenklich, weil es uns
in Illusionen wiegen könnte, die des thatsächlichen Grundes ebenso
entbehren, wie etwa die unsern Nachbarn jenseits des Wasgaus scherzweise zu¬
geschriebene Vorstellung, daß die Deutschen von Bier, Sauerkraut und Tabak
leben. Aber unzweifelhaft ist doch, daß der reiselustige Deutsche nur sehr selten
die Versuchung empfindet, Moskau oder Se. Petersburg zu besuchen, obwohl
dort vielleicht in mancher wichtigen Beziehung für ihn es ebensoviel zu lernen
gäbe, wie in London oder Paris. Die großen Entfernungen, die vorausgesetzte
landschaftliche Reizlosigkeit und nicht zum mindesten die Schwierigkeit der Sprache
schrecken ab. Und doch wäre die Frage, ob es nicht für den oder jenen unter
den gebildeten Deutschen, die alljährlich in der Schweiz in Natur, in Italien
daneben auch in Kunst schwelgen, am Platze wäre, nach der Weise der guten
alten Zeit einmal zu reisen, nicht um für beide gewohnheitsmäßig zu schwärmen,
sondern mehr um Land und Leute eines Reiches kennen zu lernen, dessen Wichtig¬
keit für uns immer eine sehr bedeutende gewesen ist und eher zu- als abnimmt.
In solcher Erwägung und der liebenswürdigen Einladung einer deutschen Fa¬
milie folgend, unternahm der Schreiber dieser Zeilen seine Sommerfahrt nach
Rußland.

Der Zweck der folgenden Seiten ist es natürlich nicht, dem übrigens vor¬
trefflichen Bädeker über Rußland nachzuschreiben oder irgend etwas Vollstän¬
diges im Stoffe oder ein maßgebendes Urteil zu geben; es handelt sich ledig¬
lich um persönliche Beobachtungen auf einem sehr beschränkten Gebiete des


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[0338] [Abbildung] Russische Skizzen. von Veto Kaemmel. MGs wird uns Deutschen gelegentlich zum Vorwurf gemacht, daß wir von unserm östlichen Nachbarreiche ungefähr ebensowenig wüßten, wie die Franzosen von uns. Das ist nicht ganz richtig und wäre, wenn es richtig wäre, auch nicht ganz unbedenklich, weil es uns in Illusionen wiegen könnte, die des thatsächlichen Grundes ebenso entbehren, wie etwa die unsern Nachbarn jenseits des Wasgaus scherzweise zu¬ geschriebene Vorstellung, daß die Deutschen von Bier, Sauerkraut und Tabak leben. Aber unzweifelhaft ist doch, daß der reiselustige Deutsche nur sehr selten die Versuchung empfindet, Moskau oder Se. Petersburg zu besuchen, obwohl dort vielleicht in mancher wichtigen Beziehung für ihn es ebensoviel zu lernen gäbe, wie in London oder Paris. Die großen Entfernungen, die vorausgesetzte landschaftliche Reizlosigkeit und nicht zum mindesten die Schwierigkeit der Sprache schrecken ab. Und doch wäre die Frage, ob es nicht für den oder jenen unter den gebildeten Deutschen, die alljährlich in der Schweiz in Natur, in Italien daneben auch in Kunst schwelgen, am Platze wäre, nach der Weise der guten alten Zeit einmal zu reisen, nicht um für beide gewohnheitsmäßig zu schwärmen, sondern mehr um Land und Leute eines Reiches kennen zu lernen, dessen Wichtig¬ keit für uns immer eine sehr bedeutende gewesen ist und eher zu- als abnimmt. In solcher Erwägung und der liebenswürdigen Einladung einer deutschen Fa¬ milie folgend, unternahm der Schreiber dieser Zeilen seine Sommerfahrt nach Rußland. Der Zweck der folgenden Seiten ist es natürlich nicht, dem übrigens vor¬ trefflichen Bädeker über Rußland nachzuschreiben oder irgend etwas Vollstän¬ diges im Stoffe oder ein maßgebendes Urteil zu geben; es handelt sich ledig¬ lich um persönliche Beobachtungen auf einem sehr beschränkten Gebiete des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/338>, abgerufen am 17.09.2024.