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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Gin leider nicht unnötiger Wink.

Rufes nämlich hatte einst (798) dem Papst nicht bloß die Hand geküßt und
sie gedrückt, sondern ihm auch eine Liebeserklärung gemacht. Der Papst schnitt
sich die infizirte Hand ab, und zum Beweis sieht man noch jetzt die vom Herrn
unversehrt erhaltene Hand im Schatz der Lateran. So ist denn die Vorsicht
erklärlich, nach welcher jetzt der Fuß des heiligen Vaters geküßt wird. Vom
Lateran weiß der gelehrte Herr noch etwas Apartes; er leitet das Wort von
1g.t>ör<z (verborgen sein) und raus, (der Frosch) ab. Nämlich der blutige Ver¬
folger des Glaubens, Nero, brach einst einen mit Blut bedeckten Frosch aus,
und den hielt er für seinen eignen Sohn und ließ ihn in einem Gewölbe eine
Zeit lang verborgen leben. Auf diesem schauerlichen Platz ist später der Lateran
erbaut worden.

Man kann diese Späße beliebig aus andern Quellen vermehren, aber es
mag genug sein. Das Wichtigste ist, daß wir die beiden, so ungleich hervor¬
tretenden Seiten des Mittelalters nicht aus einander fallen lassen, sondern
daß wir sie beide zugleich unsrer Anschauung vorhalten. Wenn Ranke an seine
mittelalterlichen Vorgänger kam, hat er gewiß keinen großen Anstoß an ihrer
Einfalt genommen. Er sah nicht bloß, was man ihren Büchern trotzdem ver¬
dankt, sondern er kannte auch hinlänglich den Bann der Zeit, dem sich niemand
ganz entzieht, und wußte wohl, daß zu seiner Zeit doch immer der Mann er¬
scheint, der den Bann zerbricht und zu höherer Entwicklung den Anstoß giebt.




(An leider nicht unnötiger Wink.

le wir Gottlob wieder anfangen, an uns selbst und unserm Volks-
tum Freude zu haben, so, sollte man meinen, könnte es doch auch
uicht fehlen, daß wir unserm Vaterlande, seinen Schönheiten,
seinen Kunstschätzen, Baudenkmälern und sonstigen Sehenswürdig¬
keiten jetzt unsre volle Aufmerksamkeit zuwenden; umso mehr, als
selbst in den Zeiten unsrer politischen Existenzlosigkeit der Rhein angeschwärmt,
Harz und Schwarzwald gepriesen, die Nixe jedes Heilquells verherrlicht, der
Reiz unsrer mittelalterlichen Städte und Burgen geschildert, kurz nichts ver¬
säumt worden war, um das Bewußtsein der hohen Naturschönheiten Deutschlands,
die ja übrigens von andern Völkern neidlos anerkannt wird, in uns zu wecken
und zu Pflegen. Aber es ist damit gegangen, wie mit den um 1870 gehegten
Hoffnungen auf eine gewaltige Belebung des epischen und historischen Sinnes


Gin leider nicht unnötiger Wink.

Rufes nämlich hatte einst (798) dem Papst nicht bloß die Hand geküßt und
sie gedrückt, sondern ihm auch eine Liebeserklärung gemacht. Der Papst schnitt
sich die infizirte Hand ab, und zum Beweis sieht man noch jetzt die vom Herrn
unversehrt erhaltene Hand im Schatz der Lateran. So ist denn die Vorsicht
erklärlich, nach welcher jetzt der Fuß des heiligen Vaters geküßt wird. Vom
Lateran weiß der gelehrte Herr noch etwas Apartes; er leitet das Wort von
1g.t>ör<z (verborgen sein) und raus, (der Frosch) ab. Nämlich der blutige Ver¬
folger des Glaubens, Nero, brach einst einen mit Blut bedeckten Frosch aus,
und den hielt er für seinen eignen Sohn und ließ ihn in einem Gewölbe eine
Zeit lang verborgen leben. Auf diesem schauerlichen Platz ist später der Lateran
erbaut worden.

Man kann diese Späße beliebig aus andern Quellen vermehren, aber es
mag genug sein. Das Wichtigste ist, daß wir die beiden, so ungleich hervor¬
tretenden Seiten des Mittelalters nicht aus einander fallen lassen, sondern
daß wir sie beide zugleich unsrer Anschauung vorhalten. Wenn Ranke an seine
mittelalterlichen Vorgänger kam, hat er gewiß keinen großen Anstoß an ihrer
Einfalt genommen. Er sah nicht bloß, was man ihren Büchern trotzdem ver¬
dankt, sondern er kannte auch hinlänglich den Bann der Zeit, dem sich niemand
ganz entzieht, und wußte wohl, daß zu seiner Zeit doch immer der Mann er¬
scheint, der den Bann zerbricht und zu höherer Entwicklung den Anstoß giebt.




(An leider nicht unnötiger Wink.

le wir Gottlob wieder anfangen, an uns selbst und unserm Volks-
tum Freude zu haben, so, sollte man meinen, könnte es doch auch
uicht fehlen, daß wir unserm Vaterlande, seinen Schönheiten,
seinen Kunstschätzen, Baudenkmälern und sonstigen Sehenswürdig¬
keiten jetzt unsre volle Aufmerksamkeit zuwenden; umso mehr, als
selbst in den Zeiten unsrer politischen Existenzlosigkeit der Rhein angeschwärmt,
Harz und Schwarzwald gepriesen, die Nixe jedes Heilquells verherrlicht, der
Reiz unsrer mittelalterlichen Städte und Burgen geschildert, kurz nichts ver¬
säumt worden war, um das Bewußtsein der hohen Naturschönheiten Deutschlands,
die ja übrigens von andern Völkern neidlos anerkannt wird, in uns zu wecken
und zu Pflegen. Aber es ist damit gegangen, wie mit den um 1870 gehegten
Hoffnungen auf eine gewaltige Belebung des epischen und historischen Sinnes


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[0332] Gin leider nicht unnötiger Wink. Rufes nämlich hatte einst (798) dem Papst nicht bloß die Hand geküßt und sie gedrückt, sondern ihm auch eine Liebeserklärung gemacht. Der Papst schnitt sich die infizirte Hand ab, und zum Beweis sieht man noch jetzt die vom Herrn unversehrt erhaltene Hand im Schatz der Lateran. So ist denn die Vorsicht erklärlich, nach welcher jetzt der Fuß des heiligen Vaters geküßt wird. Vom Lateran weiß der gelehrte Herr noch etwas Apartes; er leitet das Wort von 1g.t>ör<z (verborgen sein) und raus, (der Frosch) ab. Nämlich der blutige Ver¬ folger des Glaubens, Nero, brach einst einen mit Blut bedeckten Frosch aus, und den hielt er für seinen eignen Sohn und ließ ihn in einem Gewölbe eine Zeit lang verborgen leben. Auf diesem schauerlichen Platz ist später der Lateran erbaut worden. Man kann diese Späße beliebig aus andern Quellen vermehren, aber es mag genug sein. Das Wichtigste ist, daß wir die beiden, so ungleich hervor¬ tretenden Seiten des Mittelalters nicht aus einander fallen lassen, sondern daß wir sie beide zugleich unsrer Anschauung vorhalten. Wenn Ranke an seine mittelalterlichen Vorgänger kam, hat er gewiß keinen großen Anstoß an ihrer Einfalt genommen. Er sah nicht bloß, was man ihren Büchern trotzdem ver¬ dankt, sondern er kannte auch hinlänglich den Bann der Zeit, dem sich niemand ganz entzieht, und wußte wohl, daß zu seiner Zeit doch immer der Mann er¬ scheint, der den Bann zerbricht und zu höherer Entwicklung den Anstoß giebt. (An leider nicht unnötiger Wink. le wir Gottlob wieder anfangen, an uns selbst und unserm Volks- tum Freude zu haben, so, sollte man meinen, könnte es doch auch uicht fehlen, daß wir unserm Vaterlande, seinen Schönheiten, seinen Kunstschätzen, Baudenkmälern und sonstigen Sehenswürdig¬ keiten jetzt unsre volle Aufmerksamkeit zuwenden; umso mehr, als selbst in den Zeiten unsrer politischen Existenzlosigkeit der Rhein angeschwärmt, Harz und Schwarzwald gepriesen, die Nixe jedes Heilquells verherrlicht, der Reiz unsrer mittelalterlichen Städte und Burgen geschildert, kurz nichts ver¬ säumt worden war, um das Bewußtsein der hohen Naturschönheiten Deutschlands, die ja übrigens von andern Völkern neidlos anerkannt wird, in uns zu wecken und zu Pflegen. Aber es ist damit gegangen, wie mit den um 1870 gehegten Hoffnungen auf eine gewaltige Belebung des epischen und historischen Sinnes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/332>, abgerufen am 17.09.2024.