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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Gegensätze in der Kultur des Mittelalters.

glaublich, die alte fabelhafte Königin Semiramis mit der Gründung von Trier
in Verbindung zu bringen. Ein ausgezeichneter Historiker erzählt, daß in der
Regierung des Wilhelm Rufus kurz vor dessen Ermordung drei Wochen lang
aus einer Quelle Blut floß, daß vielen Normannen damals der Teufel in
schrecklicher Gestalt erschien und über den König und andre Leute sich und
ihnen unterhielt. Interessant ist auch, wie die sehr gepflegte Vergillektüre von
den Historikern benutzt wurde. Alle Völker sollten von den Trojanern ihre
Abstammung haben; die Franzosen stammten von einem Frauens, die Buden
von Priamus und Äneas, oder auch von Brutus, der ein Sohn oder Gro߬
enkel von Äneas war. Paris war nach Paris, dem Sohne des Prunus,
benannt, Tours war der Begräbnisplatz des Turonus, eines Trojaners; Troyes
wies besonders deutlich auf Troja hin. Nürnberg ging nur auf Nero zurück,
in dem Flusse Humber ist einmal Humber, ein König der Hunnen, ertrunken,
daher der Name. Das alles bezeugt der gelehrte Matthäus von Westmünster
im dreizehnten Jahrhundert und einige ebenso bedeutende Zeitgenossen. Schlesien
hieß nach dem Propheten Elias. von dem die Schlesier eben abstammten. Daß
Zürich in Abrahams Zeit gegründet wurde, daß die Zigeuner von Abraham
und Sarah abstammten, daß auch die Sarazenen von Sarah entsprungen waren,
war die herrschende Meinung. Die Tataren stammten vom Tartarus ab, und
daraus erklärte man auch, daß die Türken, die mit den Tataren identisch
waren, so viel diabolischen Unfug verübten. Denn seit die Türken in dem
altchristlichen Gebiet herrschten, hatten die christlichen Kinder leider zehn Zahne
weniger als vorher bekommen. Das wurde noch im jetzigen Jahrhundert
geglaubt.

Ich sagte, daß man dieses Unglück erklärte, denn gewiß waren diese Ge¬
lehrten nicht gewillt, auf die Übung der Vernunft in jeder Beziehung zu ver¬
zichten. In unsern Tagen sind wir nicht geneigt, Thatsachen zu erklären, be¬
vor sie als Thatsachen sichergestellt sind; wir sind eben kritisch geworden, sowohl
hinsichtlich der zu erklärenden Thatsachen, wie derjenigen Thatsachen, die die
Erklärung enthalten sollen. Das ist öfters sehr unbequem. Wie leicht erklärten
die damaligen Gelehrten, warum Muhammed den Wein und das Schweinefleisch
verboten hatte! Er hatte sich nämlich einmal berauscht und lag besinnungslos
auf einem Dunghaufen; da hätte beinahe eine herumlaufende Schweinefannl.e
sein Leben gefährdet. Daher dies Doppelverbot, wie der berühmte Matchaus
Parisiensis, ebenfalls im dreizehnten Jahrhundert, uns versichert. Auch die
Ketzerei des Muhammed wird einfach erklärt. Dieser Prophet war namUch
einst Kardinal gewesen; weil es ihm aber nicht gelang. Papst M.werden, er¬
fand er aus Verstimmung diese große Ketzerei des Islam. So wird aues ve-
greiflich. Nach vielen Seiten ist dies angebliche Wissen des Matthäus von
Westmünster enorm; er erzählt z. B. wie es Sitte geworden sei, dem Papst
nicht mehr die Hand, sondern den Fuß zu küssen. Eine Dame zweifelhaften


Gegensätze in der Kultur des Mittelalters.

glaublich, die alte fabelhafte Königin Semiramis mit der Gründung von Trier
in Verbindung zu bringen. Ein ausgezeichneter Historiker erzählt, daß in der
Regierung des Wilhelm Rufus kurz vor dessen Ermordung drei Wochen lang
aus einer Quelle Blut floß, daß vielen Normannen damals der Teufel in
schrecklicher Gestalt erschien und über den König und andre Leute sich und
ihnen unterhielt. Interessant ist auch, wie die sehr gepflegte Vergillektüre von
den Historikern benutzt wurde. Alle Völker sollten von den Trojanern ihre
Abstammung haben; die Franzosen stammten von einem Frauens, die Buden
von Priamus und Äneas, oder auch von Brutus, der ein Sohn oder Gro߬
enkel von Äneas war. Paris war nach Paris, dem Sohne des Prunus,
benannt, Tours war der Begräbnisplatz des Turonus, eines Trojaners; Troyes
wies besonders deutlich auf Troja hin. Nürnberg ging nur auf Nero zurück,
in dem Flusse Humber ist einmal Humber, ein König der Hunnen, ertrunken,
daher der Name. Das alles bezeugt der gelehrte Matthäus von Westmünster
im dreizehnten Jahrhundert und einige ebenso bedeutende Zeitgenossen. Schlesien
hieß nach dem Propheten Elias. von dem die Schlesier eben abstammten. Daß
Zürich in Abrahams Zeit gegründet wurde, daß die Zigeuner von Abraham
und Sarah abstammten, daß auch die Sarazenen von Sarah entsprungen waren,
war die herrschende Meinung. Die Tataren stammten vom Tartarus ab, und
daraus erklärte man auch, daß die Türken, die mit den Tataren identisch
waren, so viel diabolischen Unfug verübten. Denn seit die Türken in dem
altchristlichen Gebiet herrschten, hatten die christlichen Kinder leider zehn Zahne
weniger als vorher bekommen. Das wurde noch im jetzigen Jahrhundert
geglaubt.

Ich sagte, daß man dieses Unglück erklärte, denn gewiß waren diese Ge¬
lehrten nicht gewillt, auf die Übung der Vernunft in jeder Beziehung zu ver¬
zichten. In unsern Tagen sind wir nicht geneigt, Thatsachen zu erklären, be¬
vor sie als Thatsachen sichergestellt sind; wir sind eben kritisch geworden, sowohl
hinsichtlich der zu erklärenden Thatsachen, wie derjenigen Thatsachen, die die
Erklärung enthalten sollen. Das ist öfters sehr unbequem. Wie leicht erklärten
die damaligen Gelehrten, warum Muhammed den Wein und das Schweinefleisch
verboten hatte! Er hatte sich nämlich einmal berauscht und lag besinnungslos
auf einem Dunghaufen; da hätte beinahe eine herumlaufende Schweinefannl.e
sein Leben gefährdet. Daher dies Doppelverbot, wie der berühmte Matchaus
Parisiensis, ebenfalls im dreizehnten Jahrhundert, uns versichert. Auch die
Ketzerei des Muhammed wird einfach erklärt. Dieser Prophet war namUch
einst Kardinal gewesen; weil es ihm aber nicht gelang. Papst M.werden, er¬
fand er aus Verstimmung diese große Ketzerei des Islam. So wird aues ve-
greiflich. Nach vielen Seiten ist dies angebliche Wissen des Matthäus von
Westmünster enorm; er erzählt z. B. wie es Sitte geworden sei, dem Papst
nicht mehr die Hand, sondern den Fuß zu küssen. Eine Dame zweifelhaften


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/331>, abgerufen am 17.09.2024.