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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Lin leider nicht unnötiger wirt.

in unserm Volke. Hier wie auf dem von uns angedeuteten Gebiete ist die
Wirklichkeit weit hinter den gehegten Erwartungen zurückgeblieben; deutsch-ge¬
schichtlicher Roman und vaterländische Dichtung sind in sehr einsetzen Anlaufen
stecken geblieben, und auch mit dem eifrigen Aufsuchen und Bekanntmachen de sen
was Deutschland in allen seinen Winkeln schönes bietet, ist es bis jetzt nicht weit
gekommen. An "Anläufen" hat es freilich auch hier nicht gefehlt. Verschiedne
unsrer illustrirten Blätter haben sich dankenswerte Mühe gegeben, auf diese und
jene halbverklungene Stadt, auf allerhand geschichtliche Denkmäler in reizender
Umrahmung, ja auf ganze Thäler und Landschaftsgebiete von eigenartiger
Schönheit "in Wort und Bild" aufmerksam zu machen, und haben hiermit
wie wenigstens wir nicht anders wissen, stets großen Anklang gesundem ^etzt
aber scheint ihnen seit längerer Zeit der Stoff ausgegangen zu sem oder sich
doch auf gewisse Hochgebirgs-Szenerien zu beschränken. Und doch will e s Mi o
scheinen, als sei zu einer planmäßigen Ausbeutung dieses geradezu unerschöpf¬
lichen Stoffes noch nicht einmal der Anfang gemacht, ja als müsse sich für
dessen sachgemäße Behandlung erst eine eigne Technik ausbilden.

Man hat früher viel davon gesprochen, daß der Nord- und der Süd¬
deutsche sich nicht lieben, weil sie sich nicht kennen. Man kann diesen Satz
noch sehr bedeutend verallgemeinern; schon die Bewohner benachbarter Provinzen
kennen und würdigen einander nicht sonderlich und hegen vielfach allerhand
recht seltsame Vorurteile gegeneinander. Und wenn wir die Sache ganz bei
Lichte betrachten, so werden wir finden, daß auch die Verhältnisse und Eigen¬
tümlichkeiten der Bewohner unsrer eignen Provinz uns nicht sehr geläufig sind.
Nun. das alles war begreiflich und entschuldbar, so lange es nicht nur keine
Eisenbahnen und sehr vielfach nicht einmal gute Straßen gab, so lange auch die
politische Grenze so viele Hindernisse oder doch Unannehmlichkeiten in den Weg
legte. Auch ist kein Wort darüber zu verlieren, wenn Franzosen und Italiener
es grundsätzlich ablehnen, sich die Mühe persönlicher Studien in ihrem Heimat-
lande zu machen. Wir Deutschen aber sollten doch wirklich, nachdem uns setzt
kein Hindernis mehr entgegensteht, uns der herrlichen, gerade zu kleinen Reisen
so außerordentlich einladenden Heimat freuen und uns ihre verborgensten ^eize
M eigen zu machen suchen. Wie viel Interessantes, wie viel Schönes bietet
sie nicht! Wir kennen ein winziges, einsames, weitab von jedem Verkehr gelegenes
Städtchen in wundervoller Umgebung, mit Schloß und Burgruine, mit dem
Denkmale eines berühmten Mannes auf dem Markte. Hauptort einer Enklave
und infolge dessen als eine Art kleiner Hauptstadt zu betrachten, ohne Gemeinde¬
steuern, einen sehr trinkbaren Wein hervorbringend, der nur -naht versandt
werden kann, weil er sonst - blau wird. Wir kennen ein andres Städtchen
an einem stattlichen Strome Mitteldeutschlands, auf ansehnlichem Hügel über
ihm sich darstellend, einen Roland am Rathause, von Verkehr kaum eme Spur
weil es keine Eisenbahn hat, dabei aber nicht nur billig, sondern anch behaglich


Lin leider nicht unnötiger wirt.

in unserm Volke. Hier wie auf dem von uns angedeuteten Gebiete ist die
Wirklichkeit weit hinter den gehegten Erwartungen zurückgeblieben; deutsch-ge¬
schichtlicher Roman und vaterländische Dichtung sind in sehr einsetzen Anlaufen
stecken geblieben, und auch mit dem eifrigen Aufsuchen und Bekanntmachen de sen
was Deutschland in allen seinen Winkeln schönes bietet, ist es bis jetzt nicht weit
gekommen. An „Anläufen" hat es freilich auch hier nicht gefehlt. Verschiedne
unsrer illustrirten Blätter haben sich dankenswerte Mühe gegeben, auf diese und
jene halbverklungene Stadt, auf allerhand geschichtliche Denkmäler in reizender
Umrahmung, ja auf ganze Thäler und Landschaftsgebiete von eigenartiger
Schönheit „in Wort und Bild" aufmerksam zu machen, und haben hiermit
wie wenigstens wir nicht anders wissen, stets großen Anklang gesundem ^etzt
aber scheint ihnen seit längerer Zeit der Stoff ausgegangen zu sem oder sich
doch auf gewisse Hochgebirgs-Szenerien zu beschränken. Und doch will e s Mi o
scheinen, als sei zu einer planmäßigen Ausbeutung dieses geradezu unerschöpf¬
lichen Stoffes noch nicht einmal der Anfang gemacht, ja als müsse sich für
dessen sachgemäße Behandlung erst eine eigne Technik ausbilden.

Man hat früher viel davon gesprochen, daß der Nord- und der Süd¬
deutsche sich nicht lieben, weil sie sich nicht kennen. Man kann diesen Satz
noch sehr bedeutend verallgemeinern; schon die Bewohner benachbarter Provinzen
kennen und würdigen einander nicht sonderlich und hegen vielfach allerhand
recht seltsame Vorurteile gegeneinander. Und wenn wir die Sache ganz bei
Lichte betrachten, so werden wir finden, daß auch die Verhältnisse und Eigen¬
tümlichkeiten der Bewohner unsrer eignen Provinz uns nicht sehr geläufig sind.
Nun. das alles war begreiflich und entschuldbar, so lange es nicht nur keine
Eisenbahnen und sehr vielfach nicht einmal gute Straßen gab, so lange auch die
politische Grenze so viele Hindernisse oder doch Unannehmlichkeiten in den Weg
legte. Auch ist kein Wort darüber zu verlieren, wenn Franzosen und Italiener
es grundsätzlich ablehnen, sich die Mühe persönlicher Studien in ihrem Heimat-
lande zu machen. Wir Deutschen aber sollten doch wirklich, nachdem uns setzt
kein Hindernis mehr entgegensteht, uns der herrlichen, gerade zu kleinen Reisen
so außerordentlich einladenden Heimat freuen und uns ihre verborgensten ^eize
M eigen zu machen suchen. Wie viel Interessantes, wie viel Schönes bietet
sie nicht! Wir kennen ein winziges, einsames, weitab von jedem Verkehr gelegenes
Städtchen in wundervoller Umgebung, mit Schloß und Burgruine, mit dem
Denkmale eines berühmten Mannes auf dem Markte. Hauptort einer Enklave
und infolge dessen als eine Art kleiner Hauptstadt zu betrachten, ohne Gemeinde¬
steuern, einen sehr trinkbaren Wein hervorbringend, der nur -naht versandt
werden kann, weil er sonst - blau wird. Wir kennen ein andres Städtchen
an einem stattlichen Strome Mitteldeutschlands, auf ansehnlichem Hügel über
ihm sich darstellend, einen Roland am Rathause, von Verkehr kaum eme Spur
weil es keine Eisenbahn hat, dabei aber nicht nur billig, sondern anch behaglich


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[0333] Lin leider nicht unnötiger wirt. in unserm Volke. Hier wie auf dem von uns angedeuteten Gebiete ist die Wirklichkeit weit hinter den gehegten Erwartungen zurückgeblieben; deutsch-ge¬ schichtlicher Roman und vaterländische Dichtung sind in sehr einsetzen Anlaufen stecken geblieben, und auch mit dem eifrigen Aufsuchen und Bekanntmachen de sen was Deutschland in allen seinen Winkeln schönes bietet, ist es bis jetzt nicht weit gekommen. An „Anläufen" hat es freilich auch hier nicht gefehlt. Verschiedne unsrer illustrirten Blätter haben sich dankenswerte Mühe gegeben, auf diese und jene halbverklungene Stadt, auf allerhand geschichtliche Denkmäler in reizender Umrahmung, ja auf ganze Thäler und Landschaftsgebiete von eigenartiger Schönheit „in Wort und Bild" aufmerksam zu machen, und haben hiermit wie wenigstens wir nicht anders wissen, stets großen Anklang gesundem ^etzt aber scheint ihnen seit längerer Zeit der Stoff ausgegangen zu sem oder sich doch auf gewisse Hochgebirgs-Szenerien zu beschränken. Und doch will e s Mi o scheinen, als sei zu einer planmäßigen Ausbeutung dieses geradezu unerschöpf¬ lichen Stoffes noch nicht einmal der Anfang gemacht, ja als müsse sich für dessen sachgemäße Behandlung erst eine eigne Technik ausbilden. Man hat früher viel davon gesprochen, daß der Nord- und der Süd¬ deutsche sich nicht lieben, weil sie sich nicht kennen. Man kann diesen Satz noch sehr bedeutend verallgemeinern; schon die Bewohner benachbarter Provinzen kennen und würdigen einander nicht sonderlich und hegen vielfach allerhand recht seltsame Vorurteile gegeneinander. Und wenn wir die Sache ganz bei Lichte betrachten, so werden wir finden, daß auch die Verhältnisse und Eigen¬ tümlichkeiten der Bewohner unsrer eignen Provinz uns nicht sehr geläufig sind. Nun. das alles war begreiflich und entschuldbar, so lange es nicht nur keine Eisenbahnen und sehr vielfach nicht einmal gute Straßen gab, so lange auch die politische Grenze so viele Hindernisse oder doch Unannehmlichkeiten in den Weg legte. Auch ist kein Wort darüber zu verlieren, wenn Franzosen und Italiener es grundsätzlich ablehnen, sich die Mühe persönlicher Studien in ihrem Heimat- lande zu machen. Wir Deutschen aber sollten doch wirklich, nachdem uns setzt kein Hindernis mehr entgegensteht, uns der herrlichen, gerade zu kleinen Reisen so außerordentlich einladenden Heimat freuen und uns ihre verborgensten ^eize M eigen zu machen suchen. Wie viel Interessantes, wie viel Schönes bietet sie nicht! Wir kennen ein winziges, einsames, weitab von jedem Verkehr gelegenes Städtchen in wundervoller Umgebung, mit Schloß und Burgruine, mit dem Denkmale eines berühmten Mannes auf dem Markte. Hauptort einer Enklave und infolge dessen als eine Art kleiner Hauptstadt zu betrachten, ohne Gemeinde¬ steuern, einen sehr trinkbaren Wein hervorbringend, der nur -naht versandt werden kann, weil er sonst - blau wird. Wir kennen ein andres Städtchen an einem stattlichen Strome Mitteldeutschlands, auf ansehnlichem Hügel über ihm sich darstellend, einen Roland am Rathause, von Verkehr kaum eme Spur weil es keine Eisenbahn hat, dabei aber nicht nur billig, sondern anch behaglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/333>, abgerufen am 17.09.2024.