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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

nicht weniger verkannten und verlästerten Ludwig Bamberger ihre Anerkennung
aussprechen wird, "ut auch die Engelein stehen zur Verfügung -- denn wer
sonst als die Herren Sabor und Singer würden sich dazu eignen? Die soziale
Frage, bisher bald ein Hirngespinst, bald eine tückische Erfindung zur Beun¬
ruhigung des Kapitals oder ein Mittel schnöder Agitation gegen das liberale
Bürgertum: jetzt darf sie sein, ihre Existenz ist anerkannt, ihr ist eine frei¬
sinnige Aufenthaltskarte ausgestellt worden. Und jetzt wird sie auch gelöst
werden, und sollte die freisinnige Fraktion deswegen die ganze Nacht aufbleiben.
Zwar wird das Scheusal der Reaktion nichts unversucht lassen, die Beratungen
zu stören, sie wird vermutlich Reptile beauftragen, unter den Klnbfenstern "Hoch
Bismarck!" und ähnliche aufreizende Rufe ertönen zu lassen. Doch umsonst.
Was wir einmal anpacken, das ist geliefert. Die Arbeit wird sogleich ihren
Anfang nehmen, wenn die aus Paris verschriebenen blauen Blousen ange¬
kommen sind; denn die Arbeiter sind die Erzeuger des Wohlstandes, sagt
Herr Singer, und der muß es ja wissen, und er bringt auch die Wohlstand
erzeugende" Arbeiter in einen Gegensatz zu den Sozialdemokraten; wahrscheinlich
meint er die Führer der sozial-demokratischen Partei, welche allerdings etwas
andres zu thun haben, als Wohlstand zu erzeugen. Unser einer Flügel wird
nun arbeiterfreundlich arbeiten, der andre behauptet die alte Stellung, um
auch öffentlich Fühlung mit den -- wie soll ich sagen? -- mit den Nicht-
arbeiterfrennden und Arbeiternichtfreunden zu behalten. So sind wir in doppelt
gedeckter Stellung, oder vielmehr dreifach, denn gegen unsre neuen lieben Freunde
und Bundesgenossen können wir uns zuletzt doch auf Polizei und Soldaten
verlassen. Und wer etwa nicht an unsern Ernst glauben sollte, der ist darauf
zu verweisen, daß wir bereits zur Innung, diesem schmählichen Ueberrest aus
dem Mittelalter, dieser verabscheuungswürdigen Schranke des "freien Spiels
der Kräfte," in achtungsvolle Beziehung getreten sind.

Wie Ihnen auf jeden Fall bekannt ist, meine Herren, gehört uns die
Zukunft. Daß der Kulturkampf aufhören soll, ist zwar unangenehm, aber auch
wir haben mehr als ein Eisen im Feuer. Sollte das Zentrum gespalten
werden, so hindert uns nichts, den Arbeitern einzureden, daß mit allen erreich¬
baren sozialen Reformen nichts erreicht werde und sie in den Forderungen zu
bestärken, deren Erfüllung glücklicherweise unerreichbar ist. Und die Arbeiter
werden ja hoffentlich nicht so bald gescheit werden. Zufrieden würde die Welt
nicht einmal werden, wenn wir das Staatsruder in die Hände bekämen. Also
noch ist unser Polen nicht verloren!




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

nicht weniger verkannten und verlästerten Ludwig Bamberger ihre Anerkennung
aussprechen wird, »ut auch die Engelein stehen zur Verfügung — denn wer
sonst als die Herren Sabor und Singer würden sich dazu eignen? Die soziale
Frage, bisher bald ein Hirngespinst, bald eine tückische Erfindung zur Beun¬
ruhigung des Kapitals oder ein Mittel schnöder Agitation gegen das liberale
Bürgertum: jetzt darf sie sein, ihre Existenz ist anerkannt, ihr ist eine frei¬
sinnige Aufenthaltskarte ausgestellt worden. Und jetzt wird sie auch gelöst
werden, und sollte die freisinnige Fraktion deswegen die ganze Nacht aufbleiben.
Zwar wird das Scheusal der Reaktion nichts unversucht lassen, die Beratungen
zu stören, sie wird vermutlich Reptile beauftragen, unter den Klnbfenstern „Hoch
Bismarck!" und ähnliche aufreizende Rufe ertönen zu lassen. Doch umsonst.
Was wir einmal anpacken, das ist geliefert. Die Arbeit wird sogleich ihren
Anfang nehmen, wenn die aus Paris verschriebenen blauen Blousen ange¬
kommen sind; denn die Arbeiter sind die Erzeuger des Wohlstandes, sagt
Herr Singer, und der muß es ja wissen, und er bringt auch die Wohlstand
erzeugende» Arbeiter in einen Gegensatz zu den Sozialdemokraten; wahrscheinlich
meint er die Führer der sozial-demokratischen Partei, welche allerdings etwas
andres zu thun haben, als Wohlstand zu erzeugen. Unser einer Flügel wird
nun arbeiterfreundlich arbeiten, der andre behauptet die alte Stellung, um
auch öffentlich Fühlung mit den — wie soll ich sagen? — mit den Nicht-
arbeiterfrennden und Arbeiternichtfreunden zu behalten. So sind wir in doppelt
gedeckter Stellung, oder vielmehr dreifach, denn gegen unsre neuen lieben Freunde
und Bundesgenossen können wir uns zuletzt doch auf Polizei und Soldaten
verlassen. Und wer etwa nicht an unsern Ernst glauben sollte, der ist darauf
zu verweisen, daß wir bereits zur Innung, diesem schmählichen Ueberrest aus
dem Mittelalter, dieser verabscheuungswürdigen Schranke des „freien Spiels
der Kräfte," in achtungsvolle Beziehung getreten sind.

Wie Ihnen auf jeden Fall bekannt ist, meine Herren, gehört uns die
Zukunft. Daß der Kulturkampf aufhören soll, ist zwar unangenehm, aber auch
wir haben mehr als ein Eisen im Feuer. Sollte das Zentrum gespalten
werden, so hindert uns nichts, den Arbeitern einzureden, daß mit allen erreich¬
baren sozialen Reformen nichts erreicht werde und sie in den Forderungen zu
bestärken, deren Erfüllung glücklicherweise unerreichbar ist. Und die Arbeiter
werden ja hoffentlich nicht so bald gescheit werden. Zufrieden würde die Welt
nicht einmal werden, wenn wir das Staatsruder in die Hände bekämen. Also
noch ist unser Polen nicht verloren!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/298>, abgerufen am 17.09.2024.