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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.
von Lrnst Willkomm. (Schluß.)

n der Schule lebte ich mich nach und nach ein, auch gelang mir
die Herstellung eines leidlichen Verhältnisses zu meinen Mit¬
schülern. Nur zu freundschaftlichem Umgange mit irgend einem
derselben kam es nicht, weil ich eben der fortwährenden Hänse¬
leien wegen zu keinem rechtes Vertrauen fassen konnte. So ver¬
lief das erste Jahr. Da trat ein Ereignis ein, das geraume Zeit einen dunkeln
Schatten auf unsre ehrwürdige Bildungsanstalt werfen sollte.

Unser Direktor ward unerwartet von einer Geisteskrankheit befallen, die
ihm die Verwaltung seines Amtes ganz unmöglich machte und zu seiner bal¬
digen Pensionirung führte. Die Oberleitung des Gymnasiums ging während
dieses Interregnums vereint in die Hände des Kor- und Subrektors über.
Beide waren gelehrte und von Charakter treffliche Männer, denen das Wohl
der Anstalt, der sie selbst ihre Bildung verdankten, gewiß am Herzen lag; allem
der Mangel einer einheitlichen Leitung und die Überbürdung beider mit zu
vielen Stunden machten sich doch bald in unerquicklicher Weise bemerkbar.
Unser Korrektor war bereits ein Mann hoch in den Jahren, sanft und wohl¬
wollend und von bedeutender Gelehrsamkeit; Direktorialtalent aber ging ihm
schon wegen seiner zu großen Milde ab. Darunter litt die Disziplin in der
Schule, besonders in den beiden obersten Klassen, die häusig kombinirt wurden,
um den genannten beiden Lehrern die Arbeit etwas zu erleichtern. Vertiefte
sich der wackere Korrektor in den Gegenstand seines Vortrages -- und das
war eigentlich immer der Fall --, so sah und hörte er nicht, was seine Zu¬
hörer in der fast überfüllten Klasse vornahmen. Viele achteten kaum auf seine
Worte, mehrere waren wohl auch noch nicht weit genug vorgeschritten, um aus




Jugenderinnerungen.
von Lrnst Willkomm. (Schluß.)

n der Schule lebte ich mich nach und nach ein, auch gelang mir
die Herstellung eines leidlichen Verhältnisses zu meinen Mit¬
schülern. Nur zu freundschaftlichem Umgange mit irgend einem
derselben kam es nicht, weil ich eben der fortwährenden Hänse¬
leien wegen zu keinem rechtes Vertrauen fassen konnte. So ver¬
lief das erste Jahr. Da trat ein Ereignis ein, das geraume Zeit einen dunkeln
Schatten auf unsre ehrwürdige Bildungsanstalt werfen sollte.

Unser Direktor ward unerwartet von einer Geisteskrankheit befallen, die
ihm die Verwaltung seines Amtes ganz unmöglich machte und zu seiner bal¬
digen Pensionirung führte. Die Oberleitung des Gymnasiums ging während
dieses Interregnums vereint in die Hände des Kor- und Subrektors über.
Beide waren gelehrte und von Charakter treffliche Männer, denen das Wohl
der Anstalt, der sie selbst ihre Bildung verdankten, gewiß am Herzen lag; allem
der Mangel einer einheitlichen Leitung und die Überbürdung beider mit zu
vielen Stunden machten sich doch bald in unerquicklicher Weise bemerkbar.
Unser Korrektor war bereits ein Mann hoch in den Jahren, sanft und wohl¬
wollend und von bedeutender Gelehrsamkeit; Direktorialtalent aber ging ihm
schon wegen seiner zu großen Milde ab. Darunter litt die Disziplin in der
Schule, besonders in den beiden obersten Klassen, die häusig kombinirt wurden,
um den genannten beiden Lehrern die Arbeit etwas zu erleichtern. Vertiefte
sich der wackere Korrektor in den Gegenstand seines Vortrages — und das
war eigentlich immer der Fall —, so sah und hörte er nicht, was seine Zu¬
hörer in der fast überfüllten Klasse vornahmen. Viele achteten kaum auf seine
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[0299] [Abbildung] Jugenderinnerungen. von Lrnst Willkomm. (Schluß.) n der Schule lebte ich mich nach und nach ein, auch gelang mir die Herstellung eines leidlichen Verhältnisses zu meinen Mit¬ schülern. Nur zu freundschaftlichem Umgange mit irgend einem derselben kam es nicht, weil ich eben der fortwährenden Hänse¬ leien wegen zu keinem rechtes Vertrauen fassen konnte. So ver¬ lief das erste Jahr. Da trat ein Ereignis ein, das geraume Zeit einen dunkeln Schatten auf unsre ehrwürdige Bildungsanstalt werfen sollte. Unser Direktor ward unerwartet von einer Geisteskrankheit befallen, die ihm die Verwaltung seines Amtes ganz unmöglich machte und zu seiner bal¬ digen Pensionirung führte. Die Oberleitung des Gymnasiums ging während dieses Interregnums vereint in die Hände des Kor- und Subrektors über. Beide waren gelehrte und von Charakter treffliche Männer, denen das Wohl der Anstalt, der sie selbst ihre Bildung verdankten, gewiß am Herzen lag; allem der Mangel einer einheitlichen Leitung und die Überbürdung beider mit zu vielen Stunden machten sich doch bald in unerquicklicher Weise bemerkbar. Unser Korrektor war bereits ein Mann hoch in den Jahren, sanft und wohl¬ wollend und von bedeutender Gelehrsamkeit; Direktorialtalent aber ging ihm schon wegen seiner zu großen Milde ab. Darunter litt die Disziplin in der Schule, besonders in den beiden obersten Klassen, die häusig kombinirt wurden, um den genannten beiden Lehrern die Arbeit etwas zu erleichtern. Vertiefte sich der wackere Korrektor in den Gegenstand seines Vortrages — und das war eigentlich immer der Fall —, so sah und hörte er nicht, was seine Zu¬ hörer in der fast überfüllten Klasse vornahmen. Viele achteten kaum auf seine Worte, mehrere waren wohl auch noch nicht weit genug vorgeschritten, um aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/299>, abgerufen am 17.09.2024.