Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Ungehaltene Reden eines NichtgewLhlten. halten Pflegten, heruntergebracht wird. Das Lachen ist am Platze, wenn wir Vermöge unsrer trefflichen Organisation haben wir denn auch den Flanken¬
Ob der liebe Gott diesem Winke gefolgt ist, habe ich nicht erfahren. Mit Grenzboten II. 1337.
Ungehaltene Reden eines NichtgewLhlten. halten Pflegten, heruntergebracht wird. Das Lachen ist am Platze, wenn wir Vermöge unsrer trefflichen Organisation haben wir denn auch den Flanken¬
Ob der liebe Gott diesem Winke gefolgt ist, habe ich nicht erfahren. Mit Grenzboten II. 1337.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288750"/> <fw type="header" place="top"> Ungehaltene Reden eines NichtgewLhlten.</fw><lb/> <p xml:id="ID_881" prev="#ID_880"> halten Pflegten, heruntergebracht wird. Das Lachen ist am Platze, wenn wir<lb/> einen Witz gemacht haben, aber über uns zu lachen, wenn wir im feierlichsten<lb/> Ernste sprechen, ist sehr unschicklich. Es wird Ihnen doch bekannt sein, meme<lb/> Herren, daß Herr Schliemann in Troja eine feuerfeste Kasse ausgefunden hat.<lb/> und in derselben außer den Kroninsignien auch Kassandras Amulet, welches<lb/> ihr die Gabe der Weissagung verlieh — die eingravirte Widmung „Apollo seiner<lb/> lieben Kassandra" beseitigt jeden Zweifel an der Bedeutung dieses Schmuck¬<lb/> stückes. Ferner, daß Herr Virchow dieses Amulet, welches ihm sein Freund<lb/> Schliemann verehrte, nicht nur hat neu vergolden, sondern auch nach den neuesten<lb/> Forderungen der Wissenschaft verbessern lassen, sodaß die Prophezeiungen dessen,<lb/> der es in der Westentasche trügt, weder Glauben finden, noch auch jemals an¬<lb/> treffen. Falls Sie das nicht wissen sollten, wäre es um Ihre Bildung übel<lb/> bestellt; und dennoch nehme ich dies lieber an. als die Herzlosigkeit, zu lachen,<lb/> sobald Kasscmdros Virchow seinen Mund aufthut, um zu weissagen. Rührt<lb/> Sie denn nicht wenigstens die ehrwürdige Gestalt des greisen Sehers, der nut<lb/> eiserner Beharrlichkeit seit einem Vierteljahrhundert immer das nämliche sagt,<lb/> unbekümmert um die zahllosen Fiaskos, welche jeden kleinern Geist längst in<lb/> dem Glauben an sich selbst wankend gemacht haben würden? Oder meinen Sie<lb/> etwa, er mache auch bloß Spaß, wie unser herrlicher Richter? Das Ware ein<lb/> grober Irrtum, die Rollen sind in der Opposition genau verteilt. Richter und<lb/> Windthorst sind erfahrene Regisseure, die wohl wissen, daß man auch Helden¬<lb/> spieler braucht, und daß solche am meisten wirken, wenn sie selbst garnicht<lb/> merken, das Ganze sei nur ein Spiel. Solche Hänel und Virchow muß man<lb/> haben, die sich so sehr in den vorgeschriebenen Charakter hineinleben, daß ste,<lb/> mitten in einer pathetischen Tirade durch die Frage unterbrochen: „Was bist<lb/> du?", ohne Besinnen antworten würden: „Ein Staatsmann!" Ein so starker<lb/> Glaube verdient doch wenigstens Achtung.</p><lb/> <p xml:id="ID_882" next="#ID_883"> Vermöge unsrer trefflichen Organisation haben wir denn auch den Flanken¬<lb/> marsch in den letzten Wochen so glänzend ausführen können. Ja, das hätten<lb/> Sie nicht erwartet, uns plötzlich als Sozialreformer zu sehen! Aber nicht allem<lb/> in der Geschichte der Taktik wird dieser Meisterzug eine unvergängliche Stelle<lb/> behaupten, von ihm wird dereinst eine neue Epoche der Weltgeschichte datirt<lb/> werden. Als der große, so viel verkannte und verlästerte Maximilian Robes¬<lb/> pierre den hochherzigen Entschluß gefaßt hatte, die Verbannung des höchsten<lb/> Wesens aufzuheben, wurde diese That im Göttinger Musenalmanach also besungen:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_9" type="poem"> <l> Darfst, lieber Gott, nun wieder sein,<lb/> So will's der Schach der Franken:<lb/> Laß flugs durch ein paar Engelein<lb/> Dich schön bei ihm bedanken.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_883" prev="#ID_882" next="#ID_884"> Ob der liebe Gott diesem Winke gefolgt ist, habe ich nicht erfahren. Mit<lb/> Sicherheit erwarte ich aber, daß die soziale Frage dem acht wemger großen,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1337.</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0297]
Ungehaltene Reden eines NichtgewLhlten.
halten Pflegten, heruntergebracht wird. Das Lachen ist am Platze, wenn wir
einen Witz gemacht haben, aber über uns zu lachen, wenn wir im feierlichsten
Ernste sprechen, ist sehr unschicklich. Es wird Ihnen doch bekannt sein, meme
Herren, daß Herr Schliemann in Troja eine feuerfeste Kasse ausgefunden hat.
und in derselben außer den Kroninsignien auch Kassandras Amulet, welches
ihr die Gabe der Weissagung verlieh — die eingravirte Widmung „Apollo seiner
lieben Kassandra" beseitigt jeden Zweifel an der Bedeutung dieses Schmuck¬
stückes. Ferner, daß Herr Virchow dieses Amulet, welches ihm sein Freund
Schliemann verehrte, nicht nur hat neu vergolden, sondern auch nach den neuesten
Forderungen der Wissenschaft verbessern lassen, sodaß die Prophezeiungen dessen,
der es in der Westentasche trügt, weder Glauben finden, noch auch jemals an¬
treffen. Falls Sie das nicht wissen sollten, wäre es um Ihre Bildung übel
bestellt; und dennoch nehme ich dies lieber an. als die Herzlosigkeit, zu lachen,
sobald Kasscmdros Virchow seinen Mund aufthut, um zu weissagen. Rührt
Sie denn nicht wenigstens die ehrwürdige Gestalt des greisen Sehers, der nut
eiserner Beharrlichkeit seit einem Vierteljahrhundert immer das nämliche sagt,
unbekümmert um die zahllosen Fiaskos, welche jeden kleinern Geist längst in
dem Glauben an sich selbst wankend gemacht haben würden? Oder meinen Sie
etwa, er mache auch bloß Spaß, wie unser herrlicher Richter? Das Ware ein
grober Irrtum, die Rollen sind in der Opposition genau verteilt. Richter und
Windthorst sind erfahrene Regisseure, die wohl wissen, daß man auch Helden¬
spieler braucht, und daß solche am meisten wirken, wenn sie selbst garnicht
merken, das Ganze sei nur ein Spiel. Solche Hänel und Virchow muß man
haben, die sich so sehr in den vorgeschriebenen Charakter hineinleben, daß ste,
mitten in einer pathetischen Tirade durch die Frage unterbrochen: „Was bist
du?", ohne Besinnen antworten würden: „Ein Staatsmann!" Ein so starker
Glaube verdient doch wenigstens Achtung.
Vermöge unsrer trefflichen Organisation haben wir denn auch den Flanken¬
marsch in den letzten Wochen so glänzend ausführen können. Ja, das hätten
Sie nicht erwartet, uns plötzlich als Sozialreformer zu sehen! Aber nicht allem
in der Geschichte der Taktik wird dieser Meisterzug eine unvergängliche Stelle
behaupten, von ihm wird dereinst eine neue Epoche der Weltgeschichte datirt
werden. Als der große, so viel verkannte und verlästerte Maximilian Robes¬
pierre den hochherzigen Entschluß gefaßt hatte, die Verbannung des höchsten
Wesens aufzuheben, wurde diese That im Göttinger Musenalmanach also besungen:
Darfst, lieber Gott, nun wieder sein,
So will's der Schach der Franken:
Laß flugs durch ein paar Engelein
Dich schön bei ihm bedanken.
Ob der liebe Gott diesem Winke gefolgt ist, habe ich nicht erfahren. Mit
Sicherheit erwarte ich aber, daß die soziale Frage dem acht wemger großen,
Grenzboten II. 1337.
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