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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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wesenen Ostfriesland nebst Nachbarschaft das preußische Recht --, bestehen.
Endlich hat auch das den Franzosen 1870/71 entrissene Reichsland Elsaß-
Lothringen das französische Zivilrecht behalten. Was das Strafrecht betrifft,
so wurden im Laufe dieses Jahrhunderts zunächst fast in allen deutschen Staaten
neue Strafgesetzbücher, so in Preußen das von 1851, geschaffen, sodaß schon
im Jahre 1870, mit dessen Ablauf das alsbald auch in die süddeutschen Staaten
eingeführte Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund in Kraft trat, das ge¬
meine deutsche Strafrecht, das heißt die durch die Praxis sehr ungeänderte,
namentlich gemilderte Oarolina, nur noch in wenigen kleinern norddeutschen
Staaten, darunter den mecklenburgischen, Geltung hatte. Auch für den bürger¬
lichen und für deu Strafprozeß ergingen vielerlei Gesetze, bis uns das neue
deutsche Reich im Jahre 1877 zu dem deutschen Strafgesetzbuch auch eine ein-
heitliche deutsche Zivilprozeßordnung, Konkursvrdnung und Strafprozeßordnung
schuf, die bekannten, am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen großen Justiz¬
gesetze, deren Beratung im deutschen Reichstage vor zehn Jahren das Interesse
der Politiker erheblich in Anspruch nahm, und die ihren Schlußstein in dem
gemeinsamen deutschen Reichsgericht zu Leipzig erhielten.

Daß das Kirchenrecht so lange nicht wohl ein einheitliches sein kann, als
verschiedne Kirchen in Deutschland bestehen, und daß namentlich ein Bedürfnis
hierzu insofern nicht vorhanden ist, als das kirchliche Leben sich ja im wesent¬
lichen innerhalb der einzelnen Kirchengemeinschaft bewegt, bedarf keiner weitern
Ausführung. Wenn weiter einleuchtet, daß das Staatsrecht in einem Bundes¬
staat, wie es das neue deutsche Reich ist, naturgemäß in das von selbst die
Einheitlichkeit erlangende Bundesstaatsrecht und in das Territorialstaatsrecht
der Einzelstanten zerfällt, so ergiebt sich auch hier nur die Notwendigkeit, daß
der Einzelstaat dafür zu sorgen hat, daß seine einzelnen Provinzen gemeinsame
verwaltungsrechtliche Einrichtungen erhalten, wie sie z. B. in Preußen seit dem
Jahre 1872 durch die neuern Verwaltungsgesetze (Kreisordnung, Prvvinzial-
vrdnung u. s. w.) nunmehr ziemlich vollendet sind. Übrig bleibt für unsre
Betrachtung noch das Privatrecht oder bürgerliche Recht. Hier ist die Rechts¬
einheit bisher noch nicht erlangt, aber der Erreichung des Zieles der Weg
geebnet.

Es gilt hier, sowohl die verschiednen großen Gesetzgebungen, wie auch die
Provinziell-, Lokal- und Statutarrechte -- in Berlin gilt z. B. ein andres
Erbrecht als in Torgau -- zu vereinheitlichen, die letztern insoweit, als nicht
fest im Volksleben gegründete Verschiedenheiten zur Zeit noch die Schonung
und das Bestehenlassen des Alten erheischen. Von diesen in kleinen Gebieten
geltenden Rechten abgesehen, zählt man, selbst wenn man Deutsch-Österreich
beiseite läßt, im deutschen Reiche an Stelle des frühern einen gemeinen Privat¬
rechts sechs verschiedne Rechtssysteme: 1. das gemeine Recht; 2. das altpreußische
Recht; 3. das französische Recht; 4. das badische Recht; 5. das sächsische Recht;


wesenen Ostfriesland nebst Nachbarschaft das preußische Recht —, bestehen.
Endlich hat auch das den Franzosen 1870/71 entrissene Reichsland Elsaß-
Lothringen das französische Zivilrecht behalten. Was das Strafrecht betrifft,
so wurden im Laufe dieses Jahrhunderts zunächst fast in allen deutschen Staaten
neue Strafgesetzbücher, so in Preußen das von 1851, geschaffen, sodaß schon
im Jahre 1870, mit dessen Ablauf das alsbald auch in die süddeutschen Staaten
eingeführte Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund in Kraft trat, das ge¬
meine deutsche Strafrecht, das heißt die durch die Praxis sehr ungeänderte,
namentlich gemilderte Oarolina, nur noch in wenigen kleinern norddeutschen
Staaten, darunter den mecklenburgischen, Geltung hatte. Auch für den bürger¬
lichen und für deu Strafprozeß ergingen vielerlei Gesetze, bis uns das neue
deutsche Reich im Jahre 1877 zu dem deutschen Strafgesetzbuch auch eine ein-
heitliche deutsche Zivilprozeßordnung, Konkursvrdnung und Strafprozeßordnung
schuf, die bekannten, am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen großen Justiz¬
gesetze, deren Beratung im deutschen Reichstage vor zehn Jahren das Interesse
der Politiker erheblich in Anspruch nahm, und die ihren Schlußstein in dem
gemeinsamen deutschen Reichsgericht zu Leipzig erhielten.

Daß das Kirchenrecht so lange nicht wohl ein einheitliches sein kann, als
verschiedne Kirchen in Deutschland bestehen, und daß namentlich ein Bedürfnis
hierzu insofern nicht vorhanden ist, als das kirchliche Leben sich ja im wesent¬
lichen innerhalb der einzelnen Kirchengemeinschaft bewegt, bedarf keiner weitern
Ausführung. Wenn weiter einleuchtet, daß das Staatsrecht in einem Bundes¬
staat, wie es das neue deutsche Reich ist, naturgemäß in das von selbst die
Einheitlichkeit erlangende Bundesstaatsrecht und in das Territorialstaatsrecht
der Einzelstanten zerfällt, so ergiebt sich auch hier nur die Notwendigkeit, daß
der Einzelstaat dafür zu sorgen hat, daß seine einzelnen Provinzen gemeinsame
verwaltungsrechtliche Einrichtungen erhalten, wie sie z. B. in Preußen seit dem
Jahre 1872 durch die neuern Verwaltungsgesetze (Kreisordnung, Prvvinzial-
vrdnung u. s. w.) nunmehr ziemlich vollendet sind. Übrig bleibt für unsre
Betrachtung noch das Privatrecht oder bürgerliche Recht. Hier ist die Rechts¬
einheit bisher noch nicht erlangt, aber der Erreichung des Zieles der Weg
geebnet.

Es gilt hier, sowohl die verschiednen großen Gesetzgebungen, wie auch die
Provinziell-, Lokal- und Statutarrechte — in Berlin gilt z. B. ein andres
Erbrecht als in Torgau — zu vereinheitlichen, die letztern insoweit, als nicht
fest im Volksleben gegründete Verschiedenheiten zur Zeit noch die Schonung
und das Bestehenlassen des Alten erheischen. Von diesen in kleinen Gebieten
geltenden Rechten abgesehen, zählt man, selbst wenn man Deutsch-Österreich
beiseite läßt, im deutschen Reiche an Stelle des frühern einen gemeinen Privat¬
rechts sechs verschiedne Rechtssysteme: 1. das gemeine Recht; 2. das altpreußische
Recht; 3. das französische Recht; 4. das badische Recht; 5. das sächsische Recht;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/270>, abgerufen am 17.09.2024.