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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

^eß bei schweren Verbrechen, und auch da nur, wenn man -- ich möchte dies
etonen -- beim Vorliegen sehr starker Verdachtsgründe nach der von der
^rolwg, angenommenen Beweistheorie zu einem Schuldig nur deshalb nicht
°"^en konnte, weil man weder ein Geständnis des Angeklagten noch die zum
beweise für nötig erachteten zwei klassischen, d. h. einwandsfreien Zeugen
^ sondern vielleicht nur einen Zeugen -- erlangen konnte. Um nun das zur
-^crurteilung nötige Beweismittel vollständig zu haben, ließ man sich herbei,
em Angeklagten durch körperliche Qualen mehr oder weniger harter Art ein
Geständnis abzunötigen, von dessen Übereinstimmung mit der Wahrheit mau
UlNerlich in hohem Grade bereits überzeugt war. Es war dies gewiß eine
große Verirrung, aber nicht eine solche, welche dem Hange zur Grausamkeit
entsprang, sondern eine Verirrung, die von einer übertriebenen Gewissenhaftig-
eit herrührte und dadurch verschuldet war, daß man sich damals noch nicht
dazu aufschwingen konnte, die Würdigung des vorhandnen Beweises dem Richter
"ach bester Überzeugung vollständig zu überlassen, vielmehr dem Richter in
stimmten Beweisregeln Schranken aufrichten zu müssen glaubte, um Willkür
Möglichst hintanzuhalten. Es ist bekannt, daß Friedrich dem Großen das Ver-
^erst gebührt, in den preußischen Landen zuerst die Tortur abgeschafft zu haben.
Gotha ist sie formell und ausdrücklich erst im Jahre 1828 beseitigt worden,
^ollständig ausgemerzt sind in der varolma, schon die im Mittelalter üblichen
Gottesurteile, durch welche der Ankläger oder der Angeklagte die Wahrheit
leuier Angaben zu erhärten hatte, namentlich auch der gerichtliche Zweikampf,
"ir in andrer Bedeutung hat sich der Zweikampf noch in unsern Tagen zu
erhalten gewußt, als ein Mittel nicht der Rechtsordnung, sondern ihres
^äenteils, d. h. einer nur gewissen hergebrachten Formen unterliegenden

Für den Zivilprozeß erfolgte eine Kodifikation wie die der varoling. durch
°!e Gesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches nicht. Doch wurden die im
^auf der Zeiten erlassenen verschiednen Reichskammergerichts-Ordnungen -- die
etzte ist aus dem Jahre 1565 -- wichtig für die Fortbildung des Verfahrens,
1°daß die Wissenschaft allmählich aus dem 0orxus M-is oivilis und dein Vorxus
^uri" oiwomt-j im Verein mit diesen Neichsgesetzen ein den Zwiespalt zwischen
ircmdem und deutschem Recht nicht mehr zeigendes gleichmäßiges Lehrgebäude
eines gemeinen deutschen Zivilprozeßrechts entwickelte.




^. Dieses war der Rechtszustand in Deutschland bis zur Mitte des vorige"
Jahrhunderts: wie man zugestehen muß, ein ganz erträglicher im Vergleiche
demjenigen vor der Rezeption, zumal da die Sonderrechte sich verringerten,
nach dem Westfälischen Frieden nämlich entwickelte sich bekanntlich in den einzelnen
rutsche" Landen der Absolutismus. Um sein Gebiet leichter regieren zu können,


Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

^eß bei schweren Verbrechen, und auch da nur, wenn man — ich möchte dies
etonen — beim Vorliegen sehr starker Verdachtsgründe nach der von der
^rolwg, angenommenen Beweistheorie zu einem Schuldig nur deshalb nicht
°"^en konnte, weil man weder ein Geständnis des Angeklagten noch die zum
beweise für nötig erachteten zwei klassischen, d. h. einwandsfreien Zeugen
^ sondern vielleicht nur einen Zeugen — erlangen konnte. Um nun das zur
-^crurteilung nötige Beweismittel vollständig zu haben, ließ man sich herbei,
em Angeklagten durch körperliche Qualen mehr oder weniger harter Art ein
Geständnis abzunötigen, von dessen Übereinstimmung mit der Wahrheit mau
UlNerlich in hohem Grade bereits überzeugt war. Es war dies gewiß eine
große Verirrung, aber nicht eine solche, welche dem Hange zur Grausamkeit
entsprang, sondern eine Verirrung, die von einer übertriebenen Gewissenhaftig-
eit herrührte und dadurch verschuldet war, daß man sich damals noch nicht
dazu aufschwingen konnte, die Würdigung des vorhandnen Beweises dem Richter
"ach bester Überzeugung vollständig zu überlassen, vielmehr dem Richter in
stimmten Beweisregeln Schranken aufrichten zu müssen glaubte, um Willkür
Möglichst hintanzuhalten. Es ist bekannt, daß Friedrich dem Großen das Ver-
^erst gebührt, in den preußischen Landen zuerst die Tortur abgeschafft zu haben.
Gotha ist sie formell und ausdrücklich erst im Jahre 1828 beseitigt worden,
^ollständig ausgemerzt sind in der varolma, schon die im Mittelalter üblichen
Gottesurteile, durch welche der Ankläger oder der Angeklagte die Wahrheit
leuier Angaben zu erhärten hatte, namentlich auch der gerichtliche Zweikampf,
"ir in andrer Bedeutung hat sich der Zweikampf noch in unsern Tagen zu
erhalten gewußt, als ein Mittel nicht der Rechtsordnung, sondern ihres
^äenteils, d. h. einer nur gewissen hergebrachten Formen unterliegenden

Für den Zivilprozeß erfolgte eine Kodifikation wie die der varoling. durch
°!e Gesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches nicht. Doch wurden die im
^auf der Zeiten erlassenen verschiednen Reichskammergerichts-Ordnungen — die
etzte ist aus dem Jahre 1565 — wichtig für die Fortbildung des Verfahrens,
1°daß die Wissenschaft allmählich aus dem 0orxus M-is oivilis und dein Vorxus
^uri« oiwomt-j im Verein mit diesen Neichsgesetzen ein den Zwiespalt zwischen
ircmdem und deutschem Recht nicht mehr zeigendes gleichmäßiges Lehrgebäude
eines gemeinen deutschen Zivilprozeßrechts entwickelte.




^. Dieses war der Rechtszustand in Deutschland bis zur Mitte des vorige»
Jahrhunderts: wie man zugestehen muß, ein ganz erträglicher im Vergleiche
demjenigen vor der Rezeption, zumal da die Sonderrechte sich verringerten,
nach dem Westfälischen Frieden nämlich entwickelte sich bekanntlich in den einzelnen
rutsche» Landen der Absolutismus. Um sein Gebiet leichter regieren zu können,


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[0211] Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit. ^eß bei schweren Verbrechen, und auch da nur, wenn man — ich möchte dies etonen — beim Vorliegen sehr starker Verdachtsgründe nach der von der ^rolwg, angenommenen Beweistheorie zu einem Schuldig nur deshalb nicht °"^en konnte, weil man weder ein Geständnis des Angeklagten noch die zum beweise für nötig erachteten zwei klassischen, d. h. einwandsfreien Zeugen ^ sondern vielleicht nur einen Zeugen — erlangen konnte. Um nun das zur -^crurteilung nötige Beweismittel vollständig zu haben, ließ man sich herbei, em Angeklagten durch körperliche Qualen mehr oder weniger harter Art ein Geständnis abzunötigen, von dessen Übereinstimmung mit der Wahrheit mau UlNerlich in hohem Grade bereits überzeugt war. Es war dies gewiß eine große Verirrung, aber nicht eine solche, welche dem Hange zur Grausamkeit entsprang, sondern eine Verirrung, die von einer übertriebenen Gewissenhaftig- eit herrührte und dadurch verschuldet war, daß man sich damals noch nicht dazu aufschwingen konnte, die Würdigung des vorhandnen Beweises dem Richter "ach bester Überzeugung vollständig zu überlassen, vielmehr dem Richter in stimmten Beweisregeln Schranken aufrichten zu müssen glaubte, um Willkür Möglichst hintanzuhalten. Es ist bekannt, daß Friedrich dem Großen das Ver- ^erst gebührt, in den preußischen Landen zuerst die Tortur abgeschafft zu haben. Gotha ist sie formell und ausdrücklich erst im Jahre 1828 beseitigt worden, ^ollständig ausgemerzt sind in der varolma, schon die im Mittelalter üblichen Gottesurteile, durch welche der Ankläger oder der Angeklagte die Wahrheit leuier Angaben zu erhärten hatte, namentlich auch der gerichtliche Zweikampf, "ir in andrer Bedeutung hat sich der Zweikampf noch in unsern Tagen zu erhalten gewußt, als ein Mittel nicht der Rechtsordnung, sondern ihres ^äenteils, d. h. einer nur gewissen hergebrachten Formen unterliegenden Für den Zivilprozeß erfolgte eine Kodifikation wie die der varoling. durch °!e Gesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches nicht. Doch wurden die im ^auf der Zeiten erlassenen verschiednen Reichskammergerichts-Ordnungen — die etzte ist aus dem Jahre 1565 — wichtig für die Fortbildung des Verfahrens, 1°daß die Wissenschaft allmählich aus dem 0orxus M-is oivilis und dein Vorxus ^uri« oiwomt-j im Verein mit diesen Neichsgesetzen ein den Zwiespalt zwischen ircmdem und deutschem Recht nicht mehr zeigendes gleichmäßiges Lehrgebäude eines gemeinen deutschen Zivilprozeßrechts entwickelte. ^. Dieses war der Rechtszustand in Deutschland bis zur Mitte des vorige» Jahrhunderts: wie man zugestehen muß, ein ganz erträglicher im Vergleiche demjenigen vor der Rezeption, zumal da die Sonderrechte sich verringerten, nach dem Westfälischen Frieden nämlich entwickelte sich bekanntlich in den einzelnen rutsche» Landen der Absolutismus. Um sein Gebiet leichter regieren zu können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/211>, abgerufen am 17.09.2024.