Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Auf diese Weise entwickelte sich für das gemeine in Deutschland geltende bürger¬
liche Recht jener Dvppelzustand (Dualismus), welcher noch bis zum heutigen
Tage fortdauert.

Daß der Dualismus nur das Privatrecht, nicht auch das Strafrecht, das
Strafprozeßrecht und den Zivilprozeß ergriff, hat man zum großen Teil der
Reichsgesetzgebung zu verdanken, welche ich als die zweite Ursache einer Besse¬
rung der deutschen Rechtszustände nach der Einheit hin nächst der Rezeption
bezeichnet habe. Die größere Thätigkeit des Reichstages hängt zusammen mit
den Reformbestrebungen, die sich zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ja
uicht uur auf kirchlichem, sondern auch auf staatlichem Gebiete geltend machten.
Das römische Strafrecht stand seinem Werte nach tief unter dem römischen
Zivilrecht. Außerdem widersprach es, indem es vorzugsweise auf den ver¬
brecherischen Willen Gewicht legte, dem deutschen Rechte, welches mehr nach
dem verbrecherischen Erfolge fragte. Nach dem römischen Standpunkte z. B. fiel
die Strafbarkeit eines aus Fahrlässigkeit verursachten Schadens in der Regel
weg, während man dazu neigte, den verbrecherischen Versuch dem vollendeten
Verbrechen fast gleich zu behandeln. Das deutsche Recht dagegen berücksichtigte
auch die Fahrlässigkeit und das Fehlen eines Schadens bei einem bloßen Versuch.
Diese beiden Gegensätze, die in ihrem Nebeneinanderbestehen die Rechtssicherheit
gefährdeten, erheischten eine Vermittlung, welche schon wahrend der Rezeption
erfolgte. Mit veranlaßt durch eine Beschwerde des Reichskammergerichts über
die Verwilderung der Strafrechtspflege kam im Jahre 1532, nach mannichfachen
Verhandlungen auf verschiednen Reichstagen, zu Regensburg ein Reichsgesetz
zu stände, betitelt: "Des allerdurchlauchtigsten, großmächtigster, unüberwind¬
lichsten Kaisers Karl V. und des heiligen römischen Reichs peinliche Gerichts¬
ordnung," auch Oonstitutio orlmirmlis (ÜMolmg. oder schlechtweg LÄroliiig.
genannt, womit ein subsidiäres gemeines deutsches Strafrecht und Strafprozeß-
recht geschaffen war, welches aber bald die Partikularrechte fast ganz verdrängte.
Als den Verfasser dieses Gesetzes kann man den Landhofmeister des Bischofs
von Bamberg, Freiherrn von Schwarzenberg und Hohenlandsberg bezeichnen,
welcher die bambergische Halsgerichtsorduung verfaßt hatte, ein Gesetz, dessen
Inhalt dann, wenn auch erst nach mehrfachen Überarbeitungen, in der genannten
Oarolwg, zum Reichsrecht erhoben wurde. In den durch die Lg-rolin". vor¬
geschriebenen grausamen Strafen (sie kennt außer dem Feuertode, der Enthaup¬
tung mit dem Schwert, dem Rädern und Hängen auch noch das Ertränken,
Lebendigbegraben und Pfählen, das Vierteilen, das Abhauen der Hand, der
Finger, der Ohren und der Zunge) spiegelt sich der Geist der Zeit, der mit
solchen Strafen vollkommen einverstanden war. In strafprozessualischer Hinsicht
erkannte die Laroling, als ein Mittel zur Erforschung der Wahrheit die dem
römischen Recht entlehnte Tortur oder Folter an, deren Gebrauch sie jedoch ein¬
schränkte und im Gegensatz zu ihrer frühern willkürlichen Anwendung nur zu-


Auf diese Weise entwickelte sich für das gemeine in Deutschland geltende bürger¬
liche Recht jener Dvppelzustand (Dualismus), welcher noch bis zum heutigen
Tage fortdauert.

Daß der Dualismus nur das Privatrecht, nicht auch das Strafrecht, das
Strafprozeßrecht und den Zivilprozeß ergriff, hat man zum großen Teil der
Reichsgesetzgebung zu verdanken, welche ich als die zweite Ursache einer Besse¬
rung der deutschen Rechtszustände nach der Einheit hin nächst der Rezeption
bezeichnet habe. Die größere Thätigkeit des Reichstages hängt zusammen mit
den Reformbestrebungen, die sich zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ja
uicht uur auf kirchlichem, sondern auch auf staatlichem Gebiete geltend machten.
Das römische Strafrecht stand seinem Werte nach tief unter dem römischen
Zivilrecht. Außerdem widersprach es, indem es vorzugsweise auf den ver¬
brecherischen Willen Gewicht legte, dem deutschen Rechte, welches mehr nach
dem verbrecherischen Erfolge fragte. Nach dem römischen Standpunkte z. B. fiel
die Strafbarkeit eines aus Fahrlässigkeit verursachten Schadens in der Regel
weg, während man dazu neigte, den verbrecherischen Versuch dem vollendeten
Verbrechen fast gleich zu behandeln. Das deutsche Recht dagegen berücksichtigte
auch die Fahrlässigkeit und das Fehlen eines Schadens bei einem bloßen Versuch.
Diese beiden Gegensätze, die in ihrem Nebeneinanderbestehen die Rechtssicherheit
gefährdeten, erheischten eine Vermittlung, welche schon wahrend der Rezeption
erfolgte. Mit veranlaßt durch eine Beschwerde des Reichskammergerichts über
die Verwilderung der Strafrechtspflege kam im Jahre 1532, nach mannichfachen
Verhandlungen auf verschiednen Reichstagen, zu Regensburg ein Reichsgesetz
zu stände, betitelt: „Des allerdurchlauchtigsten, großmächtigster, unüberwind¬
lichsten Kaisers Karl V. und des heiligen römischen Reichs peinliche Gerichts¬
ordnung," auch Oonstitutio orlmirmlis (ÜMolmg. oder schlechtweg LÄroliiig.
genannt, womit ein subsidiäres gemeines deutsches Strafrecht und Strafprozeß-
recht geschaffen war, welches aber bald die Partikularrechte fast ganz verdrängte.
Als den Verfasser dieses Gesetzes kann man den Landhofmeister des Bischofs
von Bamberg, Freiherrn von Schwarzenberg und Hohenlandsberg bezeichnen,
welcher die bambergische Halsgerichtsorduung verfaßt hatte, ein Gesetz, dessen
Inhalt dann, wenn auch erst nach mehrfachen Überarbeitungen, in der genannten
Oarolwg, zum Reichsrecht erhoben wurde. In den durch die Lg-rolin». vor¬
geschriebenen grausamen Strafen (sie kennt außer dem Feuertode, der Enthaup¬
tung mit dem Schwert, dem Rädern und Hängen auch noch das Ertränken,
Lebendigbegraben und Pfählen, das Vierteilen, das Abhauen der Hand, der
Finger, der Ohren und der Zunge) spiegelt sich der Geist der Zeit, der mit
solchen Strafen vollkommen einverstanden war. In strafprozessualischer Hinsicht
erkannte die Laroling, als ein Mittel zur Erforschung der Wahrheit die dem
römischen Recht entlehnte Tortur oder Folter an, deren Gebrauch sie jedoch ein¬
schränkte und im Gegensatz zu ihrer frühern willkürlichen Anwendung nur zu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288663"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_602" prev="#ID_601"> Auf diese Weise entwickelte sich für das gemeine in Deutschland geltende bürger¬<lb/>
liche Recht jener Dvppelzustand (Dualismus), welcher noch bis zum heutigen<lb/>
Tage fortdauert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_603" next="#ID_604"> Daß der Dualismus nur das Privatrecht, nicht auch das Strafrecht, das<lb/>
Strafprozeßrecht und den Zivilprozeß ergriff, hat man zum großen Teil der<lb/>
Reichsgesetzgebung zu verdanken, welche ich als die zweite Ursache einer Besse¬<lb/>
rung der deutschen Rechtszustände nach der Einheit hin nächst der Rezeption<lb/>
bezeichnet habe. Die größere Thätigkeit des Reichstages hängt zusammen mit<lb/>
den Reformbestrebungen, die sich zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ja<lb/>
uicht uur auf kirchlichem, sondern auch auf staatlichem Gebiete geltend machten.<lb/>
Das römische Strafrecht stand seinem Werte nach tief unter dem römischen<lb/>
Zivilrecht. Außerdem widersprach es, indem es vorzugsweise auf den ver¬<lb/>
brecherischen Willen Gewicht legte, dem deutschen Rechte, welches mehr nach<lb/>
dem verbrecherischen Erfolge fragte. Nach dem römischen Standpunkte z. B. fiel<lb/>
die Strafbarkeit eines aus Fahrlässigkeit verursachten Schadens in der Regel<lb/>
weg, während man dazu neigte, den verbrecherischen Versuch dem vollendeten<lb/>
Verbrechen fast gleich zu behandeln. Das deutsche Recht dagegen berücksichtigte<lb/>
auch die Fahrlässigkeit und das Fehlen eines Schadens bei einem bloßen Versuch.<lb/>
Diese beiden Gegensätze, die in ihrem Nebeneinanderbestehen die Rechtssicherheit<lb/>
gefährdeten, erheischten eine Vermittlung, welche schon wahrend der Rezeption<lb/>
erfolgte. Mit veranlaßt durch eine Beschwerde des Reichskammergerichts über<lb/>
die Verwilderung der Strafrechtspflege kam im Jahre 1532, nach mannichfachen<lb/>
Verhandlungen auf verschiednen Reichstagen, zu Regensburg ein Reichsgesetz<lb/>
zu stände, betitelt: &#x201E;Des allerdurchlauchtigsten, großmächtigster, unüberwind¬<lb/>
lichsten Kaisers Karl V. und des heiligen römischen Reichs peinliche Gerichts¬<lb/>
ordnung," auch Oonstitutio orlmirmlis (ÜMolmg. oder schlechtweg LÄroliiig.<lb/>
genannt, womit ein subsidiäres gemeines deutsches Strafrecht und Strafprozeß-<lb/>
recht geschaffen war, welches aber bald die Partikularrechte fast ganz verdrängte.<lb/>
Als den Verfasser dieses Gesetzes kann man den Landhofmeister des Bischofs<lb/>
von Bamberg, Freiherrn von Schwarzenberg und Hohenlandsberg bezeichnen,<lb/>
welcher die bambergische Halsgerichtsorduung verfaßt hatte, ein Gesetz, dessen<lb/>
Inhalt dann, wenn auch erst nach mehrfachen Überarbeitungen, in der genannten<lb/>
Oarolwg, zum Reichsrecht erhoben wurde. In den durch die Lg-rolin». vor¬<lb/>
geschriebenen grausamen Strafen (sie kennt außer dem Feuertode, der Enthaup¬<lb/>
tung mit dem Schwert, dem Rädern und Hängen auch noch das Ertränken,<lb/>
Lebendigbegraben und Pfählen, das Vierteilen, das Abhauen der Hand, der<lb/>
Finger, der Ohren und der Zunge) spiegelt sich der Geist der Zeit, der mit<lb/>
solchen Strafen vollkommen einverstanden war. In strafprozessualischer Hinsicht<lb/>
erkannte die Laroling, als ein Mittel zur Erforschung der Wahrheit die dem<lb/>
römischen Recht entlehnte Tortur oder Folter an, deren Gebrauch sie jedoch ein¬<lb/>
schränkte und im Gegensatz zu ihrer frühern willkürlichen Anwendung nur zu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] Auf diese Weise entwickelte sich für das gemeine in Deutschland geltende bürger¬ liche Recht jener Dvppelzustand (Dualismus), welcher noch bis zum heutigen Tage fortdauert. Daß der Dualismus nur das Privatrecht, nicht auch das Strafrecht, das Strafprozeßrecht und den Zivilprozeß ergriff, hat man zum großen Teil der Reichsgesetzgebung zu verdanken, welche ich als die zweite Ursache einer Besse¬ rung der deutschen Rechtszustände nach der Einheit hin nächst der Rezeption bezeichnet habe. Die größere Thätigkeit des Reichstages hängt zusammen mit den Reformbestrebungen, die sich zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ja uicht uur auf kirchlichem, sondern auch auf staatlichem Gebiete geltend machten. Das römische Strafrecht stand seinem Werte nach tief unter dem römischen Zivilrecht. Außerdem widersprach es, indem es vorzugsweise auf den ver¬ brecherischen Willen Gewicht legte, dem deutschen Rechte, welches mehr nach dem verbrecherischen Erfolge fragte. Nach dem römischen Standpunkte z. B. fiel die Strafbarkeit eines aus Fahrlässigkeit verursachten Schadens in der Regel weg, während man dazu neigte, den verbrecherischen Versuch dem vollendeten Verbrechen fast gleich zu behandeln. Das deutsche Recht dagegen berücksichtigte auch die Fahrlässigkeit und das Fehlen eines Schadens bei einem bloßen Versuch. Diese beiden Gegensätze, die in ihrem Nebeneinanderbestehen die Rechtssicherheit gefährdeten, erheischten eine Vermittlung, welche schon wahrend der Rezeption erfolgte. Mit veranlaßt durch eine Beschwerde des Reichskammergerichts über die Verwilderung der Strafrechtspflege kam im Jahre 1532, nach mannichfachen Verhandlungen auf verschiednen Reichstagen, zu Regensburg ein Reichsgesetz zu stände, betitelt: „Des allerdurchlauchtigsten, großmächtigster, unüberwind¬ lichsten Kaisers Karl V. und des heiligen römischen Reichs peinliche Gerichts¬ ordnung," auch Oonstitutio orlmirmlis (ÜMolmg. oder schlechtweg LÄroliiig. genannt, womit ein subsidiäres gemeines deutsches Strafrecht und Strafprozeß- recht geschaffen war, welches aber bald die Partikularrechte fast ganz verdrängte. Als den Verfasser dieses Gesetzes kann man den Landhofmeister des Bischofs von Bamberg, Freiherrn von Schwarzenberg und Hohenlandsberg bezeichnen, welcher die bambergische Halsgerichtsorduung verfaßt hatte, ein Gesetz, dessen Inhalt dann, wenn auch erst nach mehrfachen Überarbeitungen, in der genannten Oarolwg, zum Reichsrecht erhoben wurde. In den durch die Lg-rolin». vor¬ geschriebenen grausamen Strafen (sie kennt außer dem Feuertode, der Enthaup¬ tung mit dem Schwert, dem Rädern und Hängen auch noch das Ertränken, Lebendigbegraben und Pfählen, das Vierteilen, das Abhauen der Hand, der Finger, der Ohren und der Zunge) spiegelt sich der Geist der Zeit, der mit solchen Strafen vollkommen einverstanden war. In strafprozessualischer Hinsicht erkannte die Laroling, als ein Mittel zur Erforschung der Wahrheit die dem römischen Recht entlehnte Tortur oder Folter an, deren Gebrauch sie jedoch ein¬ schränkte und im Gegensatz zu ihrer frühern willkürlichen Anwendung nur zu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/210>, abgerufen am 17.09.2024.