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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

bange, denn es war vorauszusehen, daß schon die leiseste Äußerung eines solchen
Gedankens den Vater in den Harnisch bringen würde.

In meiner Seele schlummerten ganz andre Lebenspläne, die ich mir sehr
rosig ausmalte. Mich zog die Natur an und das geheimnisvolle Leben und
Schaffen derselben. Dies zu erkennen und tiefer zu ergründen war mein sehn¬
lichster Wunsch. Nur wußte ich nicht, wie ich es anfangen sollte, dieser Neigung
mich ganz hingeben zu können. Meinem Dafürhalten nach konnte ich dem zu
erreichenden Ziele nur näher kommen, wenn ich mich zunächst der praktischen
Ökonomie ergäbe und damit theoretische Studien verbände. Zweck und Wunsch
meines Strebens war deshalb, dem Vater womöglich die Erlaubnis abzuge¬
winnen, mich eine Landwirtschafts- oder Forstschule besuchen zu lassen.

Bestärkt in diesen Gedanken und Wünschen wurde ich noch durch das zeit¬
weilige Erscheinen eines jungen Mannes, der diese Laufbahn eingeschlagen hatte
und sich allem Anscheine nach sehr wohl dabei fühlte. Es war dies der einzige
Sohn unsers Organisten und Kirchschulmeisters, welcher auf einem großen ad-
lichen Gute die Stelle eines Inspektors bekleidete. Es ebensoweit zu bringen,
schien mir ein sehr bescheidner Wunsch zu sein, obwohl ich mir im Gedanken
ein höheres Ziel steckte, indem ich mir ausmalte, ich könne wohl städtischer
Kämmereiverwaltcr werden oder etwas dergleichen.

Mit solchen Gedanken mich tragend, that ich nach Kräften meine Pflicht,
ohne mich ängstlich um die Zukunft zu kümmern. Nur wenn die Schularbeiten,
die mir vom Vater zugewiesen wurden, gemacht waren, vertiefte ich mich in
Träumereien aller Art,' suchte mir ein Buch, das mir gefiel, und legte mich bei
schönem Wetter unter einen schattigen Baum unsrer großen Gärten ins Gras.
Höhen Genuß verschaffte mir aber auch ein ckolos tar niövtk eigner Art, dem
ich mich gern überließ. Ich legte mich nämlich auf den Rücken im Freien und
blickte lange unverwandt in die dunkelblaue Tiefe des Weltraumes, den Flug
der verschiednen Vögel beobachtend, die in diesem sonnendurchleuchteten Luft¬
ozeane schwingend und singend sich badeten. Ich fühlte mich wunderbar gestärkt
und erhoben, wenn ich geraume Zeit so selig gewissermaßen ins Blaue hinein¬
gelebt hatte, fuhr aber wie ein Verbrecher zusammen, wenn mich irgend jemand
unvermutet darin störte. Für mich lag in diesem Betrachten der Himmels-
kuppel, während Bienen um mein Haupt summten und bunt beschwingte Falter
mich umgaukelten, ein Suchen nach Gott, den ich von den Menschen auf so
verschiedene Weise anbeten sah. Weshalb sollte es dem anbetungsbedürftigen
Knaben nicht erlaubt sein, sich auch einen eignen, seinem Naturell und Be¬
dürfnis zusagenden Kultus zurechtzulegen?

Die Frage der Gottesverehrung machte mir überhaupt viel zu schaffen
und beunruhigte mich oft. Seit meinem Besuche in der altjüdischen Synagoge
regte sich in mir die Zweifelsucht. Ich konnte mich nicht mehr zufrieden geben
mit dem Glauben an das, was uns gelehrt und als das wahre Heil in den


Jugenderinnerungen.

bange, denn es war vorauszusehen, daß schon die leiseste Äußerung eines solchen
Gedankens den Vater in den Harnisch bringen würde.

In meiner Seele schlummerten ganz andre Lebenspläne, die ich mir sehr
rosig ausmalte. Mich zog die Natur an und das geheimnisvolle Leben und
Schaffen derselben. Dies zu erkennen und tiefer zu ergründen war mein sehn¬
lichster Wunsch. Nur wußte ich nicht, wie ich es anfangen sollte, dieser Neigung
mich ganz hingeben zu können. Meinem Dafürhalten nach konnte ich dem zu
erreichenden Ziele nur näher kommen, wenn ich mich zunächst der praktischen
Ökonomie ergäbe und damit theoretische Studien verbände. Zweck und Wunsch
meines Strebens war deshalb, dem Vater womöglich die Erlaubnis abzuge¬
winnen, mich eine Landwirtschafts- oder Forstschule besuchen zu lassen.

Bestärkt in diesen Gedanken und Wünschen wurde ich noch durch das zeit¬
weilige Erscheinen eines jungen Mannes, der diese Laufbahn eingeschlagen hatte
und sich allem Anscheine nach sehr wohl dabei fühlte. Es war dies der einzige
Sohn unsers Organisten und Kirchschulmeisters, welcher auf einem großen ad-
lichen Gute die Stelle eines Inspektors bekleidete. Es ebensoweit zu bringen,
schien mir ein sehr bescheidner Wunsch zu sein, obwohl ich mir im Gedanken
ein höheres Ziel steckte, indem ich mir ausmalte, ich könne wohl städtischer
Kämmereiverwaltcr werden oder etwas dergleichen.

Mit solchen Gedanken mich tragend, that ich nach Kräften meine Pflicht,
ohne mich ängstlich um die Zukunft zu kümmern. Nur wenn die Schularbeiten,
die mir vom Vater zugewiesen wurden, gemacht waren, vertiefte ich mich in
Träumereien aller Art,' suchte mir ein Buch, das mir gefiel, und legte mich bei
schönem Wetter unter einen schattigen Baum unsrer großen Gärten ins Gras.
Höhen Genuß verschaffte mir aber auch ein ckolos tar niövtk eigner Art, dem
ich mich gern überließ. Ich legte mich nämlich auf den Rücken im Freien und
blickte lange unverwandt in die dunkelblaue Tiefe des Weltraumes, den Flug
der verschiednen Vögel beobachtend, die in diesem sonnendurchleuchteten Luft¬
ozeane schwingend und singend sich badeten. Ich fühlte mich wunderbar gestärkt
und erhoben, wenn ich geraume Zeit so selig gewissermaßen ins Blaue hinein¬
gelebt hatte, fuhr aber wie ein Verbrecher zusammen, wenn mich irgend jemand
unvermutet darin störte. Für mich lag in diesem Betrachten der Himmels-
kuppel, während Bienen um mein Haupt summten und bunt beschwingte Falter
mich umgaukelten, ein Suchen nach Gott, den ich von den Menschen auf so
verschiedene Weise anbeten sah. Weshalb sollte es dem anbetungsbedürftigen
Knaben nicht erlaubt sein, sich auch einen eignen, seinem Naturell und Be¬
dürfnis zusagenden Kultus zurechtzulegen?

Die Frage der Gottesverehrung machte mir überhaupt viel zu schaffen
und beunruhigte mich oft. Seit meinem Besuche in der altjüdischen Synagoge
regte sich in mir die Zweifelsucht. Ich konnte mich nicht mehr zufrieden geben
mit dem Glauben an das, was uns gelehrt und als das wahre Heil in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/187>, abgerufen am 17.09.2024.